Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
HILFE, DIE HERDMANNS KOMMEN!
(Barbara Robinson)
Besuch am
2. Dezember 2017
(Premiere)
Es ist schade. Vorstellungen am Samstagnachmittag in der Vorweihnachtszeit funktionieren einfach nicht. Die Eltern treiben sich bestenfalls auf Weihnachtsmärkten herum, die Kinder fest im Blick, und haben wirklich anderes zu tun, als daran zu denken, mit ihren Kindern ins Musiktheater zu gehen. Dabei wissen sie gar nicht, was sie da verpassen.
Wie beispielsweise beim Theater Kontra-Punkt, das an diesem Nachmittag eine Aufführung im Düsseldorfer Stadtmuseum gibt. Da gibt es im Ibach-Saal eine kleine Bühne, genau das Richtige, um die Geschichte Hilfe, die Herdmanns kommen von Barbara Robinson zu erzählen. Sicher, das geht auch schneller. Eigentlich ist es besser, den fünf Kindern der – ursprünglich amerikanischen – Familie Herdmann nicht zu begegnen. Bälger, die mit der Schule nichts am Hut haben, aber trotzdem regelmäßig versetzt werden, weil kein Lehrer sie länger als ein Schuljahr ertragen möchte. Sie rauchen gern Zigarre, ihre besten Argumente sind ihre Fäuste und Manieren ist ein Begriff aus einer anderen Welt. Als ihre Mutter in der Sonntagsschule einspringen muss, um das Krippenspiel zu organisieren, bestehen die Kinder darauf, daran teilzunehmen. Obwohl die Mitglieder der Kirchengemeinde davon ausgehen, dass die Kinder die Schule eher in Brand stecken als ein Krippenspiel durchzuführen, setzen die Kinder sich durch. Und die Proben können beginnen. Das kann man auch so erzählen, zum Beispiel auf einer Bühne, dass es etwas mehr als eine Stunde dauert, und dann aber schnell, laut und bunt. Dann macht es den lieben Kleinen ja auch erst richtig Spaß.
Musik | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Gesang | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Regie | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Bühne | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Publikum | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Chat-Faktor | ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
Vor zehn Jahren hat Kontra-Punkt die Geschichte schon einmal auf die Bühne gebracht, jetzt also in vollkommen neuer Aufmachung und Musiker-Besetzung. Annette Bieker ist für die Regie zuständig. Da ist Akrobatik ebenso vorgesehen wie originelle Einfälle, der Humor und das Gefühl stecken im Detail. Gleich zum Einstand warten Bieker und Frank Schulz mit einer akrobatischen Einlage auf, die schlicht atemberaubend ist. Da klettert die Bieker auf dem Schulz rum …, aber nein, das muss man gesehen haben. Bieker und Schulz sind das Theater Kontra-Punkt, und sie fallen immer wieder durch außergewöhnliche Produktionen auf.
Jetzt haben sie die kleine Bühne vollstellen lassen. Rechts findet ein Weihnachtsbaum Platz, an der Rückseite die Plätze für die Musiker, links ist noch ein Flügel in die Ecke gequetscht. Der Spielraum wird mitunter auf den Zuschauerraum erweitert. Das Lichtdesign ist auf das absolut Notwendige reduziert, so können auch andere Spielstätten ohne Schwierigkeiten bespielt werden.
Bei den Kostümen hat sich Jan Kocman, der auch für die Bühne verantwortlich zeichnet, auf die Raffinesse der Einfachheit und Praktikabilität verlassen. Die Musiker treten im Frack auf, die Musikerin im „Punk-Leder-Kostüm“. Die Mutter ist in roséfarbener Rüschenbluse und lilafarbenem Rock so typisch wie nur möglich gekleidet. Der Vater könnte nicht grauer und spießiger herüberkommen. Das passt bis zu Arbeitskittel und Hosenträgern.
Bieker in der Rolle der Mutter führt in die Geschichte ein, stellt das Personal vor. Wenn die Musiker als Herdmann-Kinder auftreten, gibt es bereits viel Spaß, weil allein die Instrumente sich schon als renitent erweisen. Und man weiß nicht, worüber man sich mehr amüsieren soll: Über die brillante Intonation der Schauspielerin oder die Störfeuer der Musiker. In der Folge entwickelt sich ein rasantes Spiel, in dem die Herdmann-Kinder zunehmend an Stärke gewinnen, je mehr sie sich in all ihrer Ungehobeltheit mit dem Krippenspiel auf ihre Weise identifizieren.
Foto © Susanne Diesner
Man weiß bei diesem ganzen Musiktheater gar nicht, was eigentlich eindrucksvoller ist, Musik oder Schauspiel. Die Musik jedenfalls reicht von der Klassik bis zum Punk. Arrangiert hat sie das Bremer Kaffeehaus-Orchester nach Ideen von Frank Schulz, durchmischt mit Eigenkompositionen von Constantin Dorsch. Wie heute eben üblich: Wir machen mal was zusammen, da ist die Urheberschaft hinterher zweitrangig, Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Und da haben die Musiker auf der Bühne bei vier Stücken auch noch mal selber arrangiert.
Die Geige hat Zsuzsa Debre mit ziemlich schrägen Strichen im Griff und spielt gleich auch noch die Herdmann-Tochter Hedwig. Klarinette und Saxophon bedient Bernd Bolsinger, der auch Eugenia verkörpert. Am Cello streicht Bruder Olli herum, der von Volker Kamp gegeben wird. Den Kontrabass bedient ausgesprochen rhythmisch und mit allerlei ungewöhnlichen Einfällen Nils Imhorst. Theo Pauss schließlich schreckt auch nicht davor zurück, den Flügel als Zupfinstrument zu verwenden. Und wenn der Mix aus We are the champions und dem Triumphmarsch aus Verdis Aida ertönt, zeigt das eigentlich am besten, in welche Richtung es geht.
Am Ende nölt Hedwig, die Herodes nicht als eigentlichen Verursacher allen Unglücks hängen durfte, „hey, Euch ist ein Kind geboren“. Sie könnte auch schreien, kommt mal wieder zur Vernunft. Aber das ist nicht so schön wie dieses „hey, Euch ist ein Kind geboren“, obwohl sie nicht mal den Namen selbst wählen darf. Was eigentlich ganz gut ist.
Die Kinder grölen und klatschen, aber auch die Erwachsenen wischen eine Träne aus dem Augenwinkel und applaudieren auf das Herzlichste. Am Ende sitzt eine glücklich erschöpfte Annette Bieker am Bühnenrand und nimmt die Glückwünsche für eine unglaublich schöne Geschichte entgegen. Frank Schulz turnt derweil durch das Publikum und schüttelt die Hände der begeisterten Kinder.
Schöner kann ein Samstagnachmittag nicht sein. Auf der Website vom Theater Kontra-Punkt sind die weiteren Aufführungen nachzulesen. Besonders empfehlenswert ist wohl die Abend-Aufführung am 21. Dezember in der Düsseldorfer Johanneskirche.
Michael S. Zerban