O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der gezeigten Aufführung in anderer Besetzung - Foto © Gernot Wöltje

Aktuelle Aufführungen

Fehlendes Menstruationsblut

HEXPLOITATION
(She She Pop)

Besuch am
10. Dezember 2021
(Premiere)

 

Forum Freies Theater, Düsseldorf, Bühne 1

So möchte man das Forum Freies Theater in Düsseldorf am liebsten jeden Abend sehen. Von jungen Menschen überlaufen. Dabei hätte man doch gerade heute Abend mit einem älteren Publikum gerechnet. Denn es wird um alte Frauen gehen. Aber She She Pop aus Berlin haben offenbar gerade bei jungen Leuten eine hohe Anziehungskraft. In den 1990-er Jahren am Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft gegründet, versteht sich She She Pop als Performance-Kollektiv, das seine Stücke vom Konzept über die Inhalte bis zur Aufführung selbst gestaltet. Das neue Stück der Truppe, die überwiegend aus Frauen besteht, ist so ganz neu nicht. Am 19. September 2020 im HAU Hebbel am Ufer, Berlin, uraufgeführt, ist Hexploitation bereits in Hamburg, Basel und Frankfurt in wechselnden Besetzungen zu sehen gewesen. Am Konrad-Adenauer-Platz in Düsseldorf werden drei Aufführungen an aufeinanderfolgenden Tagen auf der großen Bühne gezeigt.

Die Frauen des Ensembles sind inzwischen alle um die 50 Jahre alt. Zeit, sich mal Gedanken über die Menopause, die anschließende Gebärunfähigkeit und die gesellschaftliche Bedeutung des biologischen Vorgangs zu machen. Findet das Kollektiv. Ein überraschendes Thema, von dem Mann gedacht hat, dass es längst überwunden sei. Damit soll die Bedeutung der Hormonumstellung und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die viele Frauen nach wie vor damit erleben, in keiner Weise geschmälert werden. Aber auch Männer wissen, dass es in dem Alter allmählich Zeit wird, von elegantem auf praktisches Schuhwerk umzusteigen, entdecken, wie sich die einstmals schlanke Silhouette im Spiegel in Doppelkinn und Bauchansatz verwandelt, und was den Frauen das nachlassende Bindegewebe, erleben Männer, wenn das Haar allmählich vom Kopf auf den Rücken wandert. Über den Alterungsprozess kann man lamentieren, aber was hilft es? Nichts. Dass Frauen allerdings die entfallende Gebärfähigkeit als Mangel betrachten, der sie im gesellschaftlichen Leben nach hinten wirft, ist vielleicht doch eher ein Gefühl, das einem Rollenmodell von vor 30 Jahren entspricht. Selbst für Schauspielerinnen, zieht man Fernsehserien als Beispiel heran, gilt das heute wohl kaum noch. Die Behauptung, es gebe für Schauspielerinnen über 40 keine Rollen mehr, ist eher ein Gerücht, das in der Vergangenheit mal so gewesen sein mag.

Foto © Gernot Wöltje

Lässt man allerdings die Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte außer Acht, erlebt man einen grandiosen Theaterabend. Die Klammer des Abends liefert der Film Whatever happened to Baby Jane aus dem Jahr 1962 (!), der das Genre der Psycho-Biddy-Filme begründete. Das sind Horrorfilme, in denen ältere Frauen in den Wahnsinn getrieben werden. Eine der Darstellerinnen erzählt davon, während sie – nur mit einem Negligé bekleidet, das freien Blick auf ihre Genitale bietet – im Schneidersitz vor dem Publikum sitzt. Im Hintergrund etwas, das man als Filmstudio deuten könnte, rechts von ihr etwas, das die Akteure später als Werkstatt bezeichnen: Eine Gerümpel-Ecke, in der alles Mögliche Platz findet. Nackte Körper werden an diesem Abend großgeschrieben. She She Pop überschreitet auch heute wieder viele Grenzen, aber nicht die des guten Geschmacks. Da sind auf den raumfüllenden Projektionen von Benjamin Krieg sämtliche Körperöffnungen in Großaufnahmen zu sehen. Aber es gibt weder Pornografie noch Erotik. Stattdessen schonungslose Ehrlichkeit. Künstliche Zähne, Cellulitis, Altersflecken, verdoppelte Kinnpartien und Bäuche, die ihre Straffheit längst verloren haben, sind der Beweis dafür, dass die Frauen gelebt haben, nichts sonst.

Einigermaßen abstruse Ideen, die ein seit der Hexenverfolgung geändertes Bild der Frauen beschwören bis zum Kapitalismus, der den Frauenkörper bis zur Gebärunfähigkeit als Arbeitskapital einsetzt, kann man sich anhören, lustiger ist da aber schon die Selbstironie. Als die vier Frauen gern die „Flugsalbe“ ausprobieren wollen, stellen sie fest, dass sie dazu Menstruationsblut brauchen. Das ist blöd, wenn man die Menopause hinter sich hat. Also muss auch noch ein solches Blut hergestellt werden. In all dem Durcheinander eigener Befindlichkeiten, historischer Thesen und nackter Tatsachen finden sich in den Projektionen immer auch ungeheuer packende, weil fantasievolle Collagen – und immer gibt es auch einen Hauch Poesie.

Was bedeutet das Stück für einen älteren Mann, der seit seinem 50. Lebensjahr von jüngeren Frauen schier über den Haufen gerannt wird, weil er für sie unsichtbar geworden ist? Im besten Fall, dass er sich den Selbstversuch mit der Flugsalbe – denn die hat auch bei den Frauen nichts gebracht – ersparen kann und ein ganzes Stückchen Trost, dass nicht nur ihm das Alter zu schaffen macht, obwohl er sich eigentlich überhaupt noch nicht so alt fühlt. Für das junge Publikum bedeutet dieser Abend richtig viel Spaß – zumindest, wenn man dem tosenden Applaus Glauben schenken darf.

Vielleicht wäre es für uns alle einfacher gewesen, wenn unsere Eltern nicht nur einfach alt geworden wären, sondern uns davon erzählt hätten, wie es ist, in die Jahre zu kommen. Da können wir was besser machen. Davon hat She She Pop heute Abend auch erzählt. Indirekt.

Michael S. Zerban