O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ralf Puder

Aktuelle Aufführungen

Sommermärchen

HARAKA HARAKA HAINA BARAKA
(Maura Morales)

Besuch am
4. Juli 2022
(Premiere am 3. Juli 2022)

 

Asphalt-Festival, Glashalle im Weltkunstzimmer, Düsseldorf

Die Geschichte ist alt, aber glücklicherweise weiterhin hochaktuell. Nach wie vor sind Künstler dabei, Projekte zu verwirklichen, die dem Verbot von Kulturveranstaltungen in den vergangenen Jahren zum Opfer fielen. Eines dieser Projekte nahm seinen Anfang 2019, als die Maura Morales Cooperativa zu Muda Africa zu einem Workshop eingeladen wurde. In dem professionellen Tanzzentrum in Dar Es Salaam, Tansania, werden Kinder unterrichtet, um bei ausreichendem Talent ein vollständiges Studium durchlaufen zu können. Schwerpunkte liegen dabei auf den traditionellen Tänzen des Landes und zeitgenössischem Tanz. Am Ende des Workshops erhielt Morales die Einladung, mit Absolventen des Tanzzentrums eine Choreografie einzustudieren, die 2020 erstmalig aufgeführt werden sollte. Es ist einer der eher seltenen Fälle, in denen sich die Verschiebung nicht in Luft auflöste, sondern gar zu einem Glücksfall entwickelte, weil so zusätzliche Geldgeber gefunden wurden, die dafür sorgten, dass die Aufführung der Choreografie nicht auf Tansania beschränkt blieb.

Einen Monat bekamen Maura Morales und Michio Woirgardt Zeit, eine neue Truppe aufzubauen – die alte war bis auf einen Tänzer in alle Winde verstreut – und das Stück fertigzustellen. Um die Herausforderung zu erhöhen, erkrankten die beiden an Corona, kaum, dass sie wieder in Tansania eintrafen. Aber das Sommermärchen wurde wahr. Am 3. Juli konnte die Uraufführung von Haraka haraka haina baraka – zu Deutsch: Eile mit Weile – beim Asphalt-Festival in Düsseldorf stattfinden.

Foto © Ralf Puder

Seine zehnte Ausgabe feiert das Asphalt-Festival in diesem Sommer. Und wenn man den Künstlerischen Leitern eines zugutehalten kann, dann ist es, dass sie in all der Zeit immer versucht haben, das Festival weiterzuentwickeln, obwohl es längst Ausgaben gab, in denen sich andere Festivalleiter zurückgelehnt hätten, um das Erreichte zu genießen und beizubehalten. Eine Zeit lang sah es auch im Weltkunstzimmer, dem Campus des Festivals, so aus, als seien die Strukturen festgelegt. Umso angenehmer die Überraschung, dass hier noch mal jemand gründlich nachgedacht hat. So führt der Weg zum Eingang jetzt nicht mehr über einen tristen Hinterhofparkplatz, sondern durch die ständige Ausstellung, die dadurch in den Mittelpunkt rückt. Sehr gelungen. Auch der Innenhof als Festivaltreffpunkt hat gewonnen. Der Dekorschnickschnack ist weitgehend Sitzgelegenheiten mit Tischen gewichen. Ein echter Gewinn. Man kann sich gut vorstellen, dass ein wunderbares Ambiente entsteht, wenn hier viele Menschen zusammenkommen. An diesem Montagabend ist es immerhin so gemütlich, dass um halb acht am Abend niemand in die Glashalle drängt, obwohl dort genau jetzt ein ganz besonderer Tanzabend beginnen soll.

Die Tänzer Ian Ephraim Mwaisunga, Godchance Mariko Eben, Sisti Richard Mushi, Ulonzi Rajabu Almasi und Catherine John Mkude erwarten ihre Gäste bereits und begrüßen sie auf das Freundlichste. Vier von ihnen sind in weiße Hosen und Westen gekleidet, die mit kleinen Motiven bedruckt sind. Mwaisunga trägt Hose und Sakko buntbedruckt und nimmt damit eine Sonderrolle ein. Die braucht es in dem Stück auch, das Morales mit den Tänzern erarbeitet hat. Das Thema ist universal. Die Jungen verlieren den Respekt gegenüber den Alten. Was wie der beleidigte Ausspruch des alten, weißen Mannes klingt, ist etwas, das durchaus genügend Sprengstoff beinhaltet, Gesellschaften zu zerstören. Nein, es geht nicht um verletzte Eitelkeit. Als wir Alten jung waren, haben wir uns an den Altvorderen gerieben, mit ihnen Konflikte ausgefochten, manchmal resigniert, manchmal haben wir uns durchgesetzt. Aber immer mit Respekt. Die Achtung des anderen ist ein wichtiger Schutzmechanismus, sich nicht in Haltlosigkeiten und damit in unkorrigierbaren Irrtümern zu verlieren. Dabei ist jede Schuldzuweisung fehl am Platz. Wenn die Alten zulassen, dass die Jungen den Respekt verlieren, weil sie ihnen keine Schranken aufweisen, müssen sie die Verantwortung dafür tragen.

Foto © Ralf Puder

Maura Morales setzt den Konflikt tänzerisch um. Was in der Gruppe beginnt, zerfasert schnell. Da bleibt der Altvordere außen vor, während die „Jungen“ ihre eigenen Tanzrituale finden, sich in Soli im Hiphop-Bereich versuchen, tänzerisch Kampfsportarten miteinander ausprobieren, den Alten immer wieder ignorieren, ihn gar vorführen. Von früheren Arbeiten unterscheidet Morales hier den Rhythmus. Ihm ist alles untergeordnet. Ob Mwaisunga versucht, mit den Füßen wieder eine Ordnung herzustellen oder die anderen in synchronen Gruppenbewegungen ihre Ansichten lautstark durchsetzen wollen, dabei auch vor Gesängen nicht zurückschrecken – die versteht in der Glashalle kein Mensch, aber das scheint auch nicht wichtig – es geht hart, laut und immer scheinbar existenziell zu. Unterstützt wird dieser Eindruck von der Musik Woirgardts. Die kommt diesmal nicht nur von der Festplatte, sondern ist auch von harten Trommelschlägen durchsetzt. Ein afrikanischer Einfluss ist gewollt und hörbar, aber bewusst vermeidet der Komponist folkloristische Klänge. So entstehen intensive Klangbilder, die das Geschehen auf der Bühne massiv unterstützen. Mit Disco-Rhythmen durchmischt, präsentiert Woirgardt eine neue Klangqualität, die an die Grenzen geht. Morales schont ihre Tänzer in kaum einem Moment. Schließlich ist der Kampf gegen den Respekt anstrengend. Und die Tänzer gehen in dem schweißtreibenden Prozess leidenschaftlich mit. Am Ende sitzt Mwaisunga vereinsamt auf einer kleinen Bank, während die anderen vier am weitest entfernten Ende der Bühne auf dem Boden liegen, kraftlos, ermattet.

Nein, Morales erhebt hier nicht den moralischen Zeigefinger, eher warnt sie unabhängig vom Land vor gesellschaftlichen Entwicklungen, die uns allen schaden können. Und die Tänzer liefern dazu eine überzeugende Aufführung, die mitreißender nicht sein könnte. Morales hat hier ebenso wie Woirgardt einen neuerlichen Meilenstein ihrer kreativen Entwicklung gesetzt, der vom Publikum mit stehendem Applaus gefeiert wird. Am 5. Juli gibt es noch eine Aufführung beim Asphalt-Festival, ehe die letzte Möglichkeit, dieses außergewöhnliche Werk zu sehen, am 9. Juli in Chemnitz beim Festival Tanz | Moderne | Tanz gegeben ist.

Michael S. Zerban