O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Virtuoses Kinderspielzeug

HAPPY BIRTHDAY E.T.A. HOFFMANN
(Diverse Komponisten)

Besuch am
28. November 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Palais Wittgenstein, Düsseldorf

Frederike Möller begann im fünften Lebensjahr mit dem Klavierspiel und blieb dabei. Es gefiel ihr so gut, dass sie ihr Studium damit verbrachte. Aber wem reicht schon ein Studium? Also studierte sie auch Musikwissenschaft, Kunstmanagement und Philosophie. In München, Köln, Düsseldorf und Warschau. Abgeschlossen hat sie ihre Ausbildung mit einer Promotion zum Thema der Wahnsinnigen in der Oper. Wird man mit einer solchen Erziehung Konzertpianist? Eher nicht. Das wäre Möller wohl auch zu langweilig. Spätestens seitdem sie das Spielzeugklavier für sich entdeckte. Heute nennt man diese Instrumente, die früher in die Kinderzimmer gestellt wurden, damit die lieben Kleinen etwas zum Klimpern hatten, Toy Piano. Geändert hat sich am Gegenstand seither nicht viel. Auch wenn es John Cage mit seiner Suite for Toy Piano 1948 adelte und ihm seither zahlreiche Komponisten folgten. Gerade die einfache Beschaffenheit des Instruments stellt eine besondere Herausforderung für Pianisten dar. Nicht virtuos gespielt, macht das Kinderspielzeug das, wozu es geschaffen wurde: Es klimpert.

Vor zwei Jahren rief Möller das Düsseldorfer Toy-Piano-Festival ins Leben, um zu zeigen, auf welch hohem Niveau man mit diesen kleinen Biestern Spaß haben kann. Es ist mit zwei Spieltagen – noch – kein großes Festival, hat aber bereits in der zweiten Ausgabe eine Fan-Gemeinde gefunden, die sich auch an diesem Sonntagnachmittag im Düsseldorfer Palais Wittgenstein, einem der Kammermusiksäle der Stadt, einfindet. Die möglichen Sitzplätze sind fast vollständig belegt. Die Künstlerische Leiterin hat zu einem Nachmittag unter dem Titel Happy Birthday E.T.A. Hoffmann eingeladen. Der Zeitpunkt zur Vorstellung des Programms ist geschickt gewählt. Denn der 200. Todestag wird erst im kommenden Jahr begangen. Am 25. Juni 1822 verstarb der damals 45-jährige Jurist, Komponist, Kapellmeister, Musikkritiker, Zeichner und Karikaturist an einer Atemlähmung in Berlin. Dementsprechend wird es im nächsten Jahr Bedarf an einer qualitativ hochwertigen Aufführung geben. Und nach diesem Nachmittag steht wohl so gut wie fest, dass Frederike Möller mit ihrem Team auf Reisen gehen wird. Denn die Musikerin hat keinen Aufwand gescheut, ein extrem dichtes und kurzweiliges Programm auf die Beine zu stellen. So gut es geplant war, wird es gleich zu Beginn erst mal geändert. Und das liegt an der Spielfreude des zehnköpfigen Kammerorchesters, das Möller für diesen Anlass zusammengestellt hat. Weil im Moment nämlich niemand weiß, wann man wieder zusammenkommen wird, um gemeinsam zu musizieren, haben die Musiker beschlossen, Wolfgang Amadeus Mozarts Fantasie in f-moll komplett zu spielen, anstatt nur mit dem ersten Satz einzusteigen. Der ursprüngliche Plan hätte sicher die Spritzigkeit des Programms besser bedient, aber die Ankündigung Möllers sorgt für Wohlwollen im Publikum. Die Fantasie hat Mozart für einen Orgelautomaten namens Flötenuhr in einem Wachsfigurenkabinett komponiert. Er brauchte halt das Geld … Möller steht am Pult und führt souverän und wachsam durch das Werk. Yukiko Fujieda am Flügel begeistert schon mal mit einer kleinen Einlage an einem Toy Piano. Wenn man es kann, ist das Kinderklavier eine Bereicherung für diese Fantasie.

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Während das Orchester nach gehörigem Beifall das Podium verlässt, startet die Künstlerische Leiterin ihre kleine Reise durch das Leben Hoffmanns. Mit begeisterndem Vortrag wird sie das Publikum mit weitgehend unbekannten Informationen aus dem Leben des Multitalents füttern und damit geschickt durch das Programm leiten. Ein rhetorisches Vergnügen, das man nicht so oft erlebt. Und dann nimmt das Programm an Fahrt auf, wie es ursprünglich geplant war. Das kleine Rote, das Möller längst zu ihrem Markenzeichen gemacht hat, steht auf dem Boden der Bühne. Da lässt sich ein weiteres Stück Mozarts, nämlich Ah, vous dirais-je maman, und das Präludium in c-moll von Johann Sebastian Bach leicht spielen, wenn man sich auf den Boden hockt. Dass sich Möller damit vielen Blicken des Publikums entzieht, nimmt sie bewusst in Kauf. Und „leicht spielen“ ist hier relativ, denn das Instrument muss so bearbeitet werden, dass es auch nach Mozart und Bach klingt – und nicht nach Kinderzimmern, in denen verwöhnte kleine Prinzessinnen herumklimpern. Umso erfrischender die Virtuosität, mit der die Pianistin sich an dem chromatischen Miniaturflügel vergnügt.

Nach einer weiteren Moderation präsentiert Möller eine Überraschung. Dafür geht sie allerdings an den Flügel. Denn bis zu diesem Zeitpunkt dürften die meisten Zuhörer den Namen des folgenden Komponisten eher für einen Druckfehler gehalten haben. Es erklingt das Andante aus der Sonate A-Dur von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann als Klavier-Solo. Die Begeisterung Hoffmanns für Mozart, die auch in dieser Sonate herauszuhören ist, führte dazu, dass er seinen Taufnamen Ernst Theodor Wilhelm änderte. Und so wurde, gerade rechtzeitig für die Nachwelt, aus der Eigentumswohnung ein E.T.A. Der sich übrigens auch als Musikkritiker hervortat und den Freischütz von Carl Maria von Weber liebte. Er sollte da ja nicht der einzige bleiben. In der Begleitung von Alex Pistor an der Geige präsentiert Möller am Toy Piano, wiederum am Boden, Durch die Wälder, durch die Auen, um direkt mit Wir winden dir den Jungfernkranz in Begleitung des Flötisten Stefan Oechsle anzuschließen.

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Die beiden Sätze aus dem Konzert für Klavier in Es-Dur von Ludwig van Beethoven, der dritte Komponist der von Hoffmann meistbewunderten, werden im Arrangement für Flügel und Streichquintett vorgetragen. Das kann man ohne Weiteres machen, wenn man schon den nächsten Joker im Ärmel hat. Zuvor sorgt Bratschist Georg Sarkissjan noch für ein Schmunzeln, als er Möller am Flügel ein weiteres Toy Piano bereitstellt. Den Blumenwalzer aus Peter Iljitsch Tschaikowskys Nussknacker spielen Fujieda und Möller elegant an zwei Toy-Piano-Flügeln. Selbstverständlich darf auch Musik aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach nicht fehlen, um das Gesamtbild abzurunden. Ja, und jetzt wird dem Publikum gedient. Denn was anderes als die Barcarole käme in Frage? Auch wenn das Arrangement ein wenig unrund klingt: Die schwelgerischen Phrasen erklingen – und was will man mehr?

Noch einmal versammelt sich das Orchester und wiederholt Mozarts Fantasie, diesmal ohne Kinderklavier. Na gut, wenn es den Musikern Spaß macht. Dem Publikum schadet es nicht. Aber selbstverständlich darf die zweite Ausgabe des Toy-Piano-Festivals nicht ohne das kleine Rote enden. Da schiebt nach begeistertem Applaus Frederike Möller noch einmal die Barcarole als Zugabe hinterher. Ein wunderbares Programm geht nach rund anderthalb Stunden zu Ende. Ausgereift, abwechslungsreich und stimmig, dabei auf hohem musikalischem Niveau begeistern die Musiker an diesem Nachmittag das Publikum, das noch lange verweilt, um sich persönlich bei der Künstlerischen Leiterin zu bedanken.

Das nächste Toy-Piano-Festival ist für den kommenden November geplant. Dann darf es Möller gern noch ein wenig größer angehen lassen. Es wäre doch schön, auch Dorrit Bauerecker, Eva Meitner oder Jennifer Hymer einmal in Düsseldorf begrüßen zu dürfen.

Michael S. Zerban