O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Spannung im Quintett

GEBURTSTAGE
(Krzysztof Meyer et al.)

Besuch am
26. April 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Helmut-Hentrich-Saal, Tonhalle, Düsseldorf

Gerade sind die Wittener Tage für neue Kammermusik zu Ende gegangen, da lädt das Notabu-Ensemble in den Kammermusiksaal der Tonhalle, den Helmut-Hentrich-Saal, ein, um zeitgenössische Musik aufzuführen. Zwischen den beiden Veranstaltungen liegen nicht nur Komponistengenerationen, sondern auch Paradigmenwechsel. Das kann interessant sein, muss es aber nicht unbedingt. Während man in Witten so manchen Blick in die Zukunft wagte, blickt man in Düsseldorf lieber in die Vergangenheit. Da wollte man heute Abend eigentlich den 100. Geburtstag von György Ligeti feiern, will langsam die Feierlichkeiten einläuten, dass das Ensemble 40 Jahre alt wird, und schließlich hat der Leiter des Ensembles, Mark-Andreas Schlingensiepen, heute Geburtstag. Die entspannte Atmosphäre des Wochenendes will sich hier aber nicht so recht einstellen. Dabei geben nicht nur die Geburtstage, so auch der Titel des Kammermusikabends, Gelegenheit zur Freude. Denn der Saal ist brechend voll.

Georg Bongartz, Xenia Narati und Mitsuru Morita-Uno – Foto © O-Ton

Gut, es läuft nicht so richtig rund. Die Pianistin, die die Etüden Ligetis aufführen sollte, hat sich mit einer Handverletzung so kurzfristig krankgemeldet, dass kein Ersatz gefunden werden konnte. Aber bei den Proben hat man ganz überraschend festgestellt, dass das Klarinettenquintett viel länger dauert als angenommen. Und so kann man den Ligeti ersatzlos streichen. Das klingt zwar lustig, aber professionell ist dann doch irgendwie anders. Mit ernsten Gesichtern betreten die drei Musiker die ebenerdige Bühne, schreiten zu ihren Instrumenten, um Isang Yuns Espace II aus dem Jahr 1993 zu präsentieren. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Musizieren bereite immer Spaß und gute Laune. Aber auch Berufsmusiker erledigen nur ihre Arbeit. Trotzdem gehört es zu ihren Berufspflichten wie zu denen einer Bäckereifachverkäuferin, sich ihren Kunden gutgelaunt zu präsentiert, auch wenn ihnen mal nicht gerade so danach ist. Zu diesem Zeitpunkt erscheinen einem die Leichenbittermienen des Oboisten Georg Bongartz, der Harfenistin Xenia Narati und der Cellistin Mitsuru Morita-Uno unverständlich. Dass man das noch steigern kann, lernt das Publikum später. Vorerst gilt es, sich auf Espace II zu konzentrieren. Wortreich wird auf dem Abendzettel der theoretische Hintergrund der Komposition beschrieben. Was zählt, ist aber nicht das, was gemeint ist, sondern das, was zu hören ist. Und da klingt es eher so, als habe ein Kind seine Ideen zu einer Komposition äußern dürfen. Ach, jetzt kannst du doch mal das auf der Harfe machen, und du mit der Oboe kannst jetzt mal so schön laut werden – und so weiter. Linien und Entwicklungen sind schwer nachzuvollziehen. Das Verständnis wird noch dadurch erschwert, dass Bongartz die Technik seines Tablets nicht im Griff hat und damit sogar die Aufführung unterbrochen werden muss, bis die Noten wiedergefunden sind. Shit happens. Die Musiker wahren, so gut es geht, Haltung und beim Applaus gelingt ihnen sogar ein Lächeln.

Damit ist dann aber erst mal endgültig Schluss. Um als Solist aufzutreten, bedarf es mehr als die Beherrschung seines Instruments. Diese Erfahrung muss Adya Khanna Fontenla sammeln, als sie auf ihrem Cello die Sequenza XIV für Violoncello solo von Luciano Berio vorträgt. Es ist das neueste Stück des Abends, gerade mal 21 Jahre alt. Es ist gewiss ein anspruchsvolles Werk, und da kann man es der jungen Künstlerin nicht verdenken, dass die Konzentration ihr Gesicht zur Maske werden lässt. Da fehlt es eindeutig noch an Souveränität. Ob es am Stück oder an der Musikerin liegt, dass die Wechsel zwischen Perkussion und Bogeneinsatz in Einzelteile zerlegt werden, sei dahingestellt. Im einen Fall überzeugt die Komposition nicht, im andern ist die Cellistin überfordert. Dem zuvorzukommen, wäre aber Aufgabe des Ensemble-Leiters gewesen. Das Publikum reagiert mit größtmöglicher Fairness und applaudiert artig.

Adya Khanna Fontenla – Foto © O-Ton

Die Talsohle ist durchschritten. Salome Amend, Vera Seedorf und Arturo U Portugal betreten als Perkussionisten die Bühne, um Raintree von Turo Takemitsu aus dem Jahr 1981 vorzustellen. Ein Stück für zwei Marimbafone, ein Vibrafon und 16 Zimbeln, das die Klangvorstellung aus dem Zen-Buddhismus verfolgt, nach der die Töne „die Verdichtung des im Kosmos hörbaren Klangs sind“. Zwölf Minuten dauert die Geschichte vom Regenbaum, der auch nach dem längst vergangenen Regen noch lange weiter Wasser abwirft. Virtuos bedienen die drei Musiker die Schlaginstrumente, und einmal mehr darf man über die motorischen Fähigkeiten staunen, wenn die Hände vollkommen entkoppelt in ihren Bewegungen wirken. Eine großartige Leistung, die auch dem Publikum den nötigen Respekt abnötigt.

Nach der Pause steht nunmehr ein einzelnes Werk auf dem Programm. Das Klarinettenquintett hat Krzysztof Meyer 1986 komponiert. Mit seinen inzwischen 80 Jahren lässt es sich Meyer nicht nehmen, zur Aufführung zu erscheinen. Und das viersätzige Stück wirkt so frisch wie der Komponist selbst. Morito-Uno übernimmt wieder das Cello, Seunghae Kürten und Aki Yasuda begeistern an den Geigen ebenso wie Doris Funke an der Bratsche. Als Solist betreibt Christoph Hilger einen ziemlichen Aufwand mit zwischenzeitlichen Reinigungen seiner Klarinette, gefällt aber vor allem mit seinen fröhlichen Versuchen, die Mitspieler zu motivieren. Denn mit diesem Werk kann man das Publikum wirklich in seinen Bann ziehen. In 40 Minuten gibt es hier keine Durststrecken, stattdessen eilen insbesondere die Geigerinnen von Spannungsbögen zum nächsten Höhepunkt. Steht die Klarinette zunächst deutlich im Vordergrund, zieht sie sich im Verlauf mehr und mehr in den Klang der Streicher zurück.

Nach knapp zwei Stunden gibt es herzlichen Beifall für alle Beteiligten, ehe das Publikum von dannen zieht. Bestens gelaunt. Geht doch.

Michael S. Zerban