O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Theater an der Luegallee

Aktuelle Aufführungen

Heimat satt

DAS GASTHAUS AN DER DÜSSEL
(Stefan Schroeder)

Besuch am
11. Juli 2024
(Premiere)

 

Theater an der Luegallee, Düsseldorf

Der Sommer, so durchwachsen er auch sein mag, ist die Zeit des Lichts, der Leichtigkeit, des Lachens. Deshalb macht es auch Spaß, nach einem langen Tag abends in das Theater an der Luegallee zu gehen, um eine Kriminalkomödie zu erleben. Das Gasthaus an der Volme würde dabei wohl kaum auch nur einen Düsseldorfer bewegen, das heimische Sofa zu verlassen. Die wenigsten Bewohner der Landeshauptstadt wüssten wohl die Kreuzworträtselfrage zu beantworten: Fluss durch Hagen mit fünf Buchstaben. Dort ist auch das Theater an der Volme angesiedelt, längst eine feste kulturelle Größe in der südwestfälischen Stadt. Im vergangenen Jahr hat Stefan Schroeder, der für Regie und Dramaturgie zuständig ist, aber auch selbst auf der Bühne steht und Stücke schreibt, die Leitung des Theaters von Dario Weberg übernommen. Mit dem Gasthaus an der Volme ist ihm ein Volltreffer gelungen, der Christiane Reichert, Leiterin des Theaters an der Luegallee, veranlasste, eine eigene Düsseldorfer Fassung mit Zustimmung Schroeders zu erarbeiten.

Foto © Theater an der Luegallee

So findet heute die Premiere von Das Gasthaus an der Düssel vor komplett ausverkauftem Haus statt. Die Geschichte ist knifflig, wendungsreich, bezieht ihr Vergnügen aber am ehesten aus den Figuren auf der Bühne. Und da, das darf schon verraten werden, sind echte Typen gefragt. Ein Verbrecher ist in Düsseldorf unterwegs. Er überfällt wohlhabende Menschen, tötet sie bei Notwendigkeit mit einem Blasrohr und ist mit Maske und Umhang eher wie der Rächer der Enterbten gekleidet. Inspektor Platt mit seinem Chef, Graf Archibald, im Nacken, sucht nach der Schwarzen Hand, die bei ihren Einbrüchen einen Aufkleber hinterlässt. Die Ermittlungen verlaufen schwerfällig, werden immer unübersichtlicher, führen aber auch in das Gasthaus an der Düssel, einem Lokal im Rotlichtmilieu, wo sich Menschen aus dem grauen Alltag in ein paar bunte Stunden flüchten, wie die Betreiberin berichten wird. Erst in Schloss Benrath werden erste Lösungsansätze sichtbar – und schon führt die Spur an den Amazonas. Derweil gibt es auf und hinter der Bühne zahlreiche weitere Opfer. Inspektor Platt, der längst zum Chefinspektor befördert gehört, muss sich en passant noch mit einem Amazonas-Diamanten, der Entführung der Sekretärin des Polizeichefs, in die er mehr oder weniger heimlich verliebt ist, und einer Bande beschäftigen, die gegen die Schwarze Hand arbeitet. Da muss man sich als Zuschauer schon gehörig konzentrieren, um der Handlung folgen zu können. Obwohl. Muss man eigentlich nicht. Denn Reichert inszeniert das Stück so, dass sie voll auf ihr Personal und komische Einfälle setzt.

Foto © Theater an der Luegallee

Hat man die Bühne im Oberkasseler Kellertheater jemals so leer gesehen wie heute? Um es vornehm auszudrücken, sind die Wände schmucklos in schmutzigbraun gestrichen. Drei schwarze Hocker und ein Projektor am Rand vervollständigen die Ausstattung. Mit dem Projektor werden in frakturähnlicher Schrift die Orte der Handlung angezeigt. Da geht es munter durch ganz Düsseldorf. Von der Wohnung in Pempelfort über das Polizeipräsidium in Unterbilk zum Schloss Benrath. Zwischenstationen gibt es im Gasthaus an der Düssel, verschiedenen Kellergewölben, gar von einem Verlies ist die Rede, und Straßenzügen in verschiedenen Stadtteilen. Wem das an Lokalkolorit nicht reicht, der wird sich an den Namen der Akteure nicht satthören können. Von denen gibt es reichlich.

Ob man Komödie mag, ob einem die Krimikomödie gefällt, spielt im Gasthaus an der Düssel keine Rolle. Allein das Ensemble zu erleben, ist jede Minute eines Besuchs wert. Weil hier jeder der Beteiligten bis auf den Inspektor gleich mehrere Rollen spielt, haben die Schauspieler einen Kostümwechsel-Marathon vor sich, der oft innerhalb von Sekunden vollzogen werden muss und schon deshalb alle Bewunderung verdient. Regisseurin Reichert lässt es sich nicht nehmen, in zahlreichen Nebenrollen, unter anderem köstlich als Telefon oder als Hebel, aufzutreten. Nadine Karbacher gelingt es, nicht nur sprachlich, sondern auch im Spiel ganz wunderbar den unterschiedlichen Charakteren eigene Prägung zu verleihen. Als Inspektor Platt scheint es Marc-Oliver Teschke vergleichsweise einfach zu haben, wenn er mit zwei Kostümwechseln und der Hauptfigur auskommen muss. Dafür überzeugt er schlicht als Typ. Am anspruchsvollsten aber ist unter den großartigen Leistungen aller Darsteller Dirk Volpert, der jeder einzelnen Figur noch eine eigene Sprachfarbe verleiht, die vom Falsett-Singsang über Sprachverzögerung bis zum Bass reicht. Hut ab!

Nach mehr als anderthalb Stunden haben die vier auf der Bühne alles gegeben, sind so gut wie fehlerfrei bis an die Grenzen ihrer Kondition gegangen. Da ist es nachgerade schade, dass Reichert ihren Kollegen den Wunsch ausschlägt, im kommenden Jahr das Stück Der Henker von Hubbelrath aufzuführen. Mit diesem letzten Scherz verabschieden sich die Darsteller unter nicht enden wollendem Applaus, mit dem sich das Publikum für einen unbedingt empfehlenswerten Abend bedankt.

Michael S. Zerban