O-Ton

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Verpatzter Pusch-Versuch

ERSTKLASSIK!
(Young Soloists)

Besuch am
1. November 2018
(Einmaliges Gastspiel)

 

Kunstpalast, Robert-Schumann-Saal, Düsseldorf

Ein Solisten-Orchester? Das klingt erst mal ziemlich elitär. Und eigentlich kaum durchführbar. Denn regelmäßige Proben eines Orchesters stehen der Reisetätigkeit eines Solisten schon rein terminlich diametral entgegen. Und wenn die Solisten im Grunde eher angehende Solisten sind, weil sie gerade mal zwischen 12 und 23 Jahren alt sind, kommt der erhöhte Übungsbedarf für das eigene Repertoire nicht den Aufgaben eines Ensembles zugute.

2013 sahen Alexander Gilman und Marina Seltenreich das ganz anders. Zu dem Zeitpunkt war er als Geiger und Lehrer unterwegs, sie trat als Klavier-Solistin und in Kammermusik-Ensembles auf. Beide wissen, wie wichtig es ist, beide Seiten zu kennen, um auch Solisten die Bodenhaftung zu erhalten. Sie wischten also alle Bedenken beiseite und gründeten mit Hilfe einer schweizerischen Privatbank die Young Soloists mit Sitz in Zug. Heute umfasst das Streicher-Ensemble 25 Mitglieder im Alter zwischen 12 und 23 Jahren aus 15 Nationen. Allesamt sind hochtalentierte Musiker.

Im Robert-Schumann-Saal des Düsseldorfer Kunstpalastes, gleich am Rheinufer gelegen, kann man sich jetzt ein eigenes Bild davon machen, was aus dem Experiment geworden ist. 16 junge Musiker betreten die vollständig schmucklose Bühne und stellen sich im Halbkreis auf. Die Jungs salopp in dunklen Hemden und Hosen, manche haben die Ärmel hochgekrempelt, die Mädchen in Abendkleidern. Ein Jugendorchester, wie man es kennt und liebt: Frisch, strahlend und voller Tatendrang. Links außen steht Gilman und setzt seinen Körper ein, um die Jugendlichen mit Hinweisen für ihre Einsätze und die Tempi zu versorgen. Das sieht sehr lässig aus und hat mit einem Dirigat nichts zu tun. Schon nach den ersten Strichen wird klar, dass es sich hier nicht um ein „normales“ jugendliches Ensemble handelt. Hier herrscht eine Verbundenheit auf Augenhöhe, die von außergewöhnlicher Professionalität geprägt ist. Und wer versuchsweise die Augen schließt, möchte über das Alter der Musiker keine verlässlichen Angaben mehr machen. Hier treten Vollprofis auf, die sich gegenseitig mit höchstem Respekt behandeln. Im Verlauf des Konzertes wird sich zeigen, dass Gilman dabei nicht als Künstlerischer Leiter, sondern eher als Vater der Kompanie im besten Sinne agiert. Viel anderes bleibt ihm auch gar nicht übrig, weil die Jugendlichen sich höchst eigenverantwortlich verhalten. Klar, dass sich das auch im Spiel und in der Atmosphäre auf der Bühne ausdrückt, wenn die Young Soloists ihr Programm erstKLASSIK! absolvieren.

Selbstverständlich bleiben die Notenblätter im Gepäck, wenn das Ensemble mit Gustav Holsts St. Paul’s Suite für Streichorchester beginnt. Und mit der viersätzigen Suite aus dem Jahr 1912, die Holst der Mädchenschule widmete, der er als Musikdirektor vorstand, ist das Niveau des Abends vorgegeben. Es liegt verdammt hoch. Und schon beim nächsten Werk wird das Prinzip der Young Soloists deutlich. Aus dem Halbkreis tritt die 18-jährige Anuschka Pedano aus den Niederlanden in die Mitte des Halbkreises, um auf der Bratsche das Stück darzubieten, das sie einst bewog, von der Geige auf die Bratsche umzusteigen. 1911 in Berlin uraufgeführt, ist Max Bruchs Romanze Op.85 für Viola und Streichorchester bei Bratschenschülern bis heute sehr beliebt, weil es viel an Können einfordert, ohne mit überhöhten Anforderungen abzuschrecken. Anuschka schöpft die Möglichkeiten des Stücks vollständig aus. Dass sie sich bei Gilman mit Händedruck und bei den Kollegen mit angedeutetem Applaus bedankt, gehört zum guten Ton des Ensembles. Dazu gehört auch, dass die Solisten sich kurz vorstellen und das Werk ankündigen, das sie präsentieren werden.

Esther Yoo – Foto © O-Ton

So hält es auch der Geiger Ludwig Balser, Jahrgang 1999, der gemeinsam mit dem 23-jährigen Dušan Kostić das Gran Duo Concertante für Violine, Kontrabass und Streichorchester von Giovanni Bottesini aufführt. Bottesini gilt als Paganini des Kontrabasses, sein Stück als eines der am schwierigsten zu spielenden Werke für Kontrabass, das „Dušan aber jetzt so aus dem Ärmel schütteln wird“, juxt Balser, dem selbst so einiges auf der Geige abverlangt wird. Kostić spielt höchst virtuos und eindrucksvoll ein Instrument, das sonst eher rechts außen im Orchester mit robusten Klängen unterstützt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Young Soloists das Publikum bereits restlos überzeugt und begeistert.

Und so zeigt sich die Einladung der weitgerühmten Esther Yoo, die erstmals nach der Pause auftritt, eher als Marketing-Überdrehtheit im Musikbetrieb als echte Notwendigkeit. Jugend auf der Bühne? Da muss aber noch ein bekannter Name her, damit sich die Karten verkaufen. Das ist so wenig selbstbewusst wie albern. Und schmälert vollkommen zu Unrecht den Erfolg der Jugendlichen. Ein echtes Ärgernis, zumal Yoo mit Michael Fines Doppelkonzert für zwei Violinen und Streichorchester, das sie gemeinsam mit einem fabelhaften David Nebel, Jahrgang 1996, meistert, ohne sonderlich gefordert zu sein. Der amerikanische Komponist hat eine süßlich-parfümierte Filmmusik geschaffen, die ganz nett ist und sicher in einer amerikanischen Liebesromanze aus Hollywood Unterschlupf finden wird. Im Rahmen dieses ambitionierten Konzertes wirkt sie eher seicht und rechtfertigt ganz sicher nicht, dass Yoo mit geschlossenen Augen vor dem Notenständer höchste Konzentration demonstriert. Es ist also eher das tiefe Tal, ehe es im kommenden Stück auf die höchsten Gipfel geht.

„Ich heiße Philipp Schupelius, bin 15 Jahre alt und komme aus Berlin“, stellt sich der blonde Cellist vor. Da vibriert die Stimme noch ein wenig, sehr sympathisch, aber dann ist auch schon Schluss mit der Unsicherheit. Die Polonaise de Concert für Cello und Streichorchester des Ungarn David Popper gelingt so überwältigend gut, dass man aufspringen möchte vor lauter Freude. Grandios! Und so geht es weiter. Konnte Philipp noch mit einem Schlager des 19. Jahrhunderts punkten, muss die 23-jährige Geigerin Christa-Maria Stangorra sich mit der Pampeana Nr. 1 für Violine und Streichorchester aus dem Jahr 1943 beweisen. Und auch hier braucht sich niemand zu verstecken, am allerwenigsten Stangorra selbst, die eindeutig Yoo den Rang abläuft. So kann es gehen, wenn die kommerziellen Interessen im Vordergrund stehen. Dass Yoo das Valse Scherzo op. 34 für Violine und Streichorchester von Pjotr Iljitsch Tschaikowski anschließend sauber über die Bühne bekommt, steht außer Frage. Und auch ihr rotes Kleid bekommt besondere Bedeutung, wenn sie als Zugabe das Thema aus Schindlers Liste präsentiert.

Der überbordende, stehende Applaus des Publikums, das an diesem Feiertag allenfalls die Hälfte des Robert-Schumann-Saals füllt, gilt den Young Soloists. Ach ja, und Esther Yoo. Ein großartiges Konzert findet sein Ende in einer letzten Zugabe des Jugend-Ensembles, das bislang drei Alben veröffentlicht hat, aber in der Live-Aufführung noch einmal drauflegen kann, weil es hier auch atmosphärisch überzeugt.

Michael S. Zerban