O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Leichte Kost mit Kuchen

ERSTES TORTENKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
26. Februar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

C. Bechstein Centrum Düsseldorf

Es bleibt dabei: Zu den schönsten Annehmlichkeiten des Lebens gehört ein kleines Konzert am Sonntagnachmittag. Da darf es gern ein Liedervortrag, Kammermusik oder einfach nur leichte Kost sein. Diese Auffassung teilt auch Jeremias Mameghani. Deshalb hat er sich für diesen Sonntag etwas Besonderes einfallen lassen. Gemeinsam mit dessen Leiter Reza Indrakesuma hat er einen Nachmittag im C. Bechstein Centrum Düsseldorf organisiert. Und weil das Kind einen Namen braucht, hat er beim ersten Konditor der Stadt eine Kuchenauswahl geordert und den Nachmittag Tortenkonzert getauft. Der Besuch ist doppelt reizvoll, weil das C. Bechstein Centrum von einer mondänen Einkaufspassage in einer Seitenstraße der Königsallee an das Ende der Königsallee gezogen ist. Von einer 1-B-Lage in eine 1-C-Lage zu ziehen, ist eine Entscheidung, die mindestens neugierig macht.

Gekleckert wird im neuen Ladenlokal wie ehedem nicht, wenn auch auf einem ganz anderen Niveau. Die kühle, vielleicht etwas zu kühle Atmosphäre ist einer fast schon verspielten Naturumgebung gewichen. Fototapeten, Deckenelemente im Retro-70-er-Jahre-Look, aus denen Dschungelpflanzen ranken, Wölkchen, die aus Wasserzerstäubern stieben stehen in scheinbarem Kontrast zu den wertvollen Tasten-, Schlag- und Saiteninstrumenten, die dicht gedrängt auf drei Ebenen untergebracht sind. Dabei ist das Betreten des Ladenlokals gar nicht so einfach. Wer die Eingangstür öffnen kann, hat genug Kraft, um anschließend auch sein neues Klavier nach Hause zu tragen. Indrakesuma ist ein Mensch mit Humor. Er lacht herzlich bei der bildlichen Vorstellung und verspricht, dass Abhilfe bereits veranlasst sei. Der Clou des Ladens ist ohnehin ein anderer. Waren Aufführungen im alten Centrum von geradezu ernüchternder akustischer Einfachheit, ist der neue Konzertbereich ein wahres Juwel. Um das zu erreichen, wurden bei der Einrichtung eigens Akustiker beauftragt, die den Raum mit akustischen Elementen bereicherten. Heute erklingt der große Flügel mit großem, aber warmem Klang. Ein Erlebnis, von dem auch die Gäste des heutigen Nachmittags ausgiebig profitieren dürfen.

Violina Petrychenko und Jeremias Mameghani – Foto © O-Ton

Mameghani verdient sein Geld als Rechtsanwalt, seine Freizeit allerdings ist von zwei großen Anliegen bestimmt. Da gibt es zum einen das intensive soziale Engagement, wenn er sich für Flüchtlinge einsetzt, Benefizkonzerte organisiert, um Geld einzusammeln, oder sich im Ortsverein des Deutschen Roten Kreuzes einbringt. Und dann gibt es da noch sein Klavierspiel. Lebenslanger Privatunterricht bei bekannten Namen hat ihn dazu gebracht, zahlreiche Amateurwettbewerbe zu gewinnen. Die Lust am öffentlichen Auftritt ist ungebrochen, ohne damit irgendwelchen Star-Allüren aufzusitzen. Am Abend zuvor hat er sich noch glänzend am vierhändigen Klavier mit Violina Petrychenko geschlagen. Das war bei dem Benefizkonzert, das er für die ukrainischen Flüchtlinge im Düsseldorfer Palais Wittgenstein organisierte. Jetzt steht er frisch und munter im C. Bechstein Centrum, um das Publikum zum Ersten Tortenkonzert zu begrüßen. Ihm zur Seite steht der Moderator Robert Hotstegs, der mit allerlei Wortwitz durch die kommenden anderthalb Stunden führt.

Die Idee, das Konzert gleich mit Kaffee und Kuchen am Sonntagnachmittag zu verbinden und das Publikum damit länger an den Ort zu binden, ist großartig, in der Ausführung aber noch deutlich ausbaufähig. Denn von Torten sehen die Besucher erst mal nichts. Nach der Aufführung gibt es exquisites Gebäck von der Papp-Palette mit Holz-Gabeln. Es kann kein unüberwindliches Hindernis sein, ein wenig Porzellan bereitzustellen, und vielleicht ein, zwei Helfer Kaffee aus einer Thermoskanne anbieten zu lassen. Da ist für die Zukunft noch deutlich mehr Gehirnschmalz gefragt als bei der Gestaltung des musikalischen Programms. Denn das begeistert die kleine Besucherschar von Anfang an.

Mine Yücel – Foto © O-Ton

Sopranistin Mine Yücel bringt den Nachmittag gleich auf Temperatur, wenn sie zur Begleitung von Mameghani Meine Lippen, sie küssen so heiß aus Franz Lehárs Operette Giuditta mit viel Spielfreude und großer Geste interpretiert. Willkommen in Wien! Und einen ähnlichen Klassiker hat auch Bariton Maurício Virgens auf Lager. Zur Begleitung von Violina Petrychenko schmettert er Mein Sehnen, mein Wähnen, die Arie des Fritz aus Erich Korngolds Die tote Stadt. Ja, es gibt viel Schmalz an diesem Nachmittag. Aber darf doch auch mal sein, vor allem, wenn er so wunderbar vorgetragen wird. Doch bevor es weitergeht, erlaubt sich Mameghani einen privaten Schlenker. Sein vierjähriger Sohn darf mit seiner Unterstützung aus Vivaldis Vier Jahreszeiten den Herbst und Beethovens Freude schöner Götterfunken vortragen. Wie schön! Es ist kein Wunderkind. Sondern ein ganz normaler Junge, der Spaß an dem hat, was der Papa da in seiner Freizeit macht. Und wenn so viele Leute da sitzen, ist es so schwierig. Aber schließlich hat ihn das Publikum so weit ermuntert, dass er sein Pensum absolviert. Vollkommen faszinierend, dass ihm das Notenlesen eine Selbstverständlichkeit zu sein scheint. Da kann man die Freude des Vaters schon verstehen. Und das Publikum lässt Nachsicht walten. Wird auch gleich dafür entschädigt, wenn Mameghani Love Letter spielt. Das Werk durfte er bereits am Vorabend als Uraufführung spielen, Komponistin Alla Pavlova hat ihm die Noten geschickt. Heute geht ihm das tonale Werk flüssiger, geschmeidiger von der Hand. Beglückt darf er den nächsten Auftritt von Yücel begleiten. Die hat gleich den nächsten Evergreen auf Lager. Höre ich Zigeunergeigen aus Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza ist ein Ohrenschmaus – und wird es auch immer bleiben. Da kocht echter Ärger hoch, wenn der vielleicht 25-jährige Bursche in der Pause seinen Freund fragt, ob denn der Begriff Zigeuner überhaupt noch statthaft sei. Man stelle sich vor, wie Yücel von Roma- und Sinti-Geigen singt, damit junge Leute ohne jedes Geschichtsbewusstsein, aber mit voller Bereitschaft zur Geschichtsklitterung sich bei einer Arie aus dem Jahr 1924 moralisch wohlfühlen. Während der junge Mann noch über den Negerkönig aus Pippi Langstrumpf sinniert, heißt es, den Mund zu halten und wegzugehen, weil man sich dieses Konzert einfach nicht verderben lassen will.

Petrychenko soll nach der Pause und dem mit Mameghani vierhändig vorgetragenen Wiener Blut die Wiener Bonbons, den Walzer von Johann Strauss Sohn aus dem Jahr 1866, der aus Anlass eines Faschingballs entstand, zum Besten geben. Auch wenn das nicht zu ihrem Repertoire gehört, hat sie sich ganz wunderbar vorbereitet, lässt es sich aber nicht nehmen, das Stück um eine Mazurka und einen Walzer von Yakiv Stepovyi, einem ukrainischen Komponisten, zu ergänzen. Danach wird die Lustige Witwe von Lehár gefeiert. Yücel interpretiert das Vilja-Lied mit Inbrunst, so schön. Noch einmal greifen vier Hände in die Tasten des so wohlklingenden Flügels, um die Ballsirenen zu interpretieren, ehe Yücel und Virgens in Begleitung von Mameghani das Publikum mit Lippen schweigen und dem dazugehörigen Walzertanz berauschen. Man kann das noch steigern, wenn man in der Zugabe Dein ist mein ganzes Herz aus dem Land des Lächelns von Lehár intoniert.

Es ist legitim, am Sonntagnachmittag in Operettenseligkeit zu schwelgen, einen Moment durchzuatmen und Krieg und Katastrophen für einen Moment auszublenden. Am Montag kämpfen dann wieder alle vereint gegen Ideologen, Kriegstreiber und Erdbebenfolgen. Weil dann auch das Publikum des heutigen Nachmittags wieder die Kraft dazu hat. Und deshalb wird es auch ein weiteres Tortenkonzert geben.

Michael S. Zerban