O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Engel haben es schwer

ENGEL UND IRDISCHES
(Diverse Komponisten)

Besuch am
29. September 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Maxhaus, Antonius-Saal, Düsseldorf

Die einen haben ein Opern-Abo, die andern ein Theater-Abo und die dritten ein Konzert-Abo. Die Schlauen aber schließen kein Abonnement ab, sondern begeben sich auf die Suche nach immer neuen kulturellen Erlebnissen und können dabei schon mal großartige Dinge erleben. In Düsseldorf lohnt es sich dabei immer, auch mal einen Blick in Maxkirche und -haus zu werfen. Kantor Markus Bellmann lässt inzwischen wieder die legendären Orgelkonzerte am Samstagmittag in der Maxkirche stattfinden. Im Maxhaus, dem ehemaligen Franziskaner-Kloster in der Altstadt, finden über das Jahr verteilt die unterschiedlichsten Konzerte statt.

Darunter gibt es zwei bis vier Mal im Jahr Kammerkonzerte im Antonius-Saal. Das war im 18. Jahrhundert das Refektorium, also der Speisesaal der Mönche, und ist noch heute ein sehr sehenswerter Raum, in dem die Decke mit kunstvollen Stuckfiguren verziert ist. Er dient der Maxkirche als Pfarrsaal und verfügt über eine anspruchsvolle Akustik. Hierhin lädt Bellmann ein, um den 29. September zu feiern. Das klingt für Menschen, die nicht mit der christlichen Kirche vertraut sind, erst mal etwas befremdlich – was soll an einem 29. September schon besonders sein? An diesem Tag wird in der katholischen Kirche das Erzengel-Fest gefeiert. Erzengel bedeutet nichts anderes als Oberengel, und es sind die einzigen, die einen Namen haben, nämlich Michael, Rafael und Gabriel. Einen sehr schönen Artikel dazu findet man hier. Der Kantor überträgt dem Bass-Bariton Rolf A. Scheider die Aufgabe, ein Programm für das Kammerkonzert zu entwickeln, das dem Festtag gerecht wird. Und Scheider hat auch begeistert zugestimmt. Bis er die entsprechende Literatur sichtete. Engel, das sind nach Ansicht der Komponisten Wesen mit Sopranstimme, die von Harfen- oder Glockenklang begleitet werden. Für einen Bass ist da erst mal nichts vorgesehen. Und da will man auch gar nicht darauf herumreiten, dass Erzengel Michael eine durchaus kriegerische Gestalt ist, die den Satan in Gestalt eines Drachen aus dem Himmel warf und ihm hinterherrief: „Wer ist wie Gott?“ – das bedeutet der Name Michael auf Hebräisch. Da hat er wohl hoffentlich nicht wie ein Sopran geklungen.

Rolf A. Scheider – Foto © O-Ton

Der Sänger entscheidet sich, das Leben an sich darzustellen, das die Engel begleiten. Und er wählt auch weder Harfe noch das für einen Liederabend handelsübliche Klavier aus, sondern lässt sich bei diesem Liederabend von Alexander Pankov begleiten. Eine prächtige Wahl, denn Pankov ist ein Meister am Akkordeon. Und das verspricht völlig neue Klangfarben für einen Liederabend. So viel sei schon verraten: Am Ende des Abends wird niemand mehr über Engel nachdenken, sondern sich über eine Aufführung der Extraklasse freuen.

Erst mal bleibt einiges im Dunkeln. Neben einem arg dünnen Abendzettel stehen die Akteure im Schatten, während das Publikum ausreichend beleuchtet wird. Da hätten ein, zwei Scheinwerfer Abhilfe schaffen können. Für den Künstler, der es gewohnt ist, im Rampenlicht zu schwitzen, eine ungewöhnliche Situation. Scheider und Pankov versuchen, sich nichts anmerken zu lassen. Das funktioniert nicht so ganz. Scheider bleibt körperlich sehr zurückhaltend, nennt das die bewusste Entscheidung für einen Purismus. Das ist bei dem Mann, dessen zweite Haut das Schauspiel ist, eine seltsame Wahl. Allein sein Gesicht verrät, dass er sich ganz in seine Rollen vertieft.

Mit einer Auswahl aus Dmitri Schostakowitschs Liederzyklus für Bass und Klavier, opus 121, geht es los. Ungeachtet der sensiblen Akustik des Saals verbreitet der Sänger seine voluminöse Stimme, immer wortklar, aber manches Mal klingt es schmerzhaft in den Ohren. Fünf Lieder präsentiert er, ehe Pankov sein erstes Solo auf dem Akkordeon spielt. Es ist Kalinuschka von Ivan Panitzki, ein Komponist, der von 1906 bis 1990 lebte. Im Vergleich zu den nächsten Soli noch sehr zurückhaltend.

Alexander Pankov – Foto © O-Ton

Warum hat Johannes Brahms seine Lieder für Klavierbegleitung komponiert? Weil er Alexander Pankov und sein Akkordeon nicht kannte. Er hat die Lieder wie die des gesamten Abends für das Instrument transkribiert, und das ist ihm auf das Vortrefflichste gelungen. Scheider lässt sich von seinen Melodien davontragen. Besonderer Spaß bereitet ihm der Dialekt in Wie kumm ich dann de Poots eren? Nach weiteren vier Liedern lässt sich Pankov auf die Fantasie Kalina krasnaja von Wjatscheslaw Semjonow ein. Ein etwas dramatischeres Stück, bei dem Pankov die Stärken des Akkordeons besser ausspielen kann. Im Raum klingt es da schon mal nach einem Orgelstück.

Den letzten Teil leitet Scheider mit einem eher selten gehörten Lied von Richard Wagner ein. Der vertonte 1840 das Heine-Gedicht Die Grenadiere, in dem der Kadavergehorsam verherrlicht wird, und ließ den Text auf Französisch übersetzen. Mit seinen Anklängen an die Marsellaise gibt Wagner hier ordentlich Gas – und der Sänger steht ihm in nichts nach. Nach einer Meditation von Vladislav Solotarev, Pankovs letztes Solo an diesem Abend, dann ihm noch mal Gelegenheit gibt, die ganze Bandbreite des Akkordeons aufzuzeigen, zeigt Scheider noch einmal sein ganzes Können, wenn er die beiden Wesendonck-Lieder Träume und Engel singt. Und mit der Arie Lied an den Abendstern aus Wagners Oper Tannhäuser findet der Bassbariton dann auch den geeigneten Abschluss für einen überaus eindrucksvollen Abend.

Wenn vielleicht auch die Himmelsscharen ein wenig zu kurz kamen, um der eigentlichen Absicht ganz gerecht zu werden, ist Scheider ein kurzweiliges, unterhaltsames und kaum alltägliches Programm gelungen, das die Besucher ihm und Pankov nachhaltig danken. Wenn es überhaupt eine Empfehlung für die Kammerkonzerte im Antonius-Saal des Maxhauses braucht, haben die beiden Künstler sie an diesem Abend garantiert abgeliefert.

Michael S. Zerban