Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
An diesem Wochenende findet nach 2023 zum zweiten Mal das Festival Worringer Weekender rund um den Worringer Platz in Düsseldorf statt. „DJ Sets, Comedy, Ausstellungen, Bands, Talks, Billard, Lesungen und natürlich Good Vibes“ soll es vom 30. Mai bis zum 1. Juni geben, immer in der Hoffnung, dass sich die Kultur dieses Platzes und seiner Umgebung ermächtigen möge. Trotz des um den inzwischen neugestalteten Platz brandenden Verkehrs breitet sich so etwas wie ein Wochenend-Idyll aus. Bei angenehmer Zimmertemperatur sind die neuen Bänke allesamt besetzt, ein paar Scheinwerfer beleuchten die Bäume von unten. Nur das Freibad wirkt wie ausgestorben. Der neue Kulturraum am Worringer Platz 8 hat an diesem Abend – unabhängig vom gerade beginnenden Festival – zu einer Aufführung eingeladen, aber nichts deutet von außen darauf hin. Dabei hat Opernsänger Thomas Huy, der sich im Auftrag Marco Fulignis um die Belebung der Spielstätte kümmern soll, für heute Abend ein aus seiner Sicht zukunftweisendes Programm auf die Beine gestellt. Denn das ist die neue Stoßrichtung: Eine Kombination von verschiedenen kürzeren Stücken, ausdrücklich auch mit der Möglichkeit, Neues auszuprobieren. Und ein Stück weit Option für Künstler verschiedener Genres, sich kennenzulernen und vielleicht gemeinsame Anknüpfungspunkte zu finden.
Foto © Michael Zerban
Wohl Dank des Festivals drängt sich alsbald das Publikum vor dem Laden, wird von Huy selbst hereingebeten. Schnell reichen die Sitzgelegenheiten nicht mehr aus. Das ist den Besuchern reichlich egal. Sie lehnen an den Fensterbänken, hocken sich auf den Boden. Dabei sein ist alles. Was wohl die wenigsten wissen: Noch immer ist es nicht die offizielle Eröffnung, die ist für den 11. Juli vorgesehen, aber immerhin taucht der Name Freibad nun schon mal als Veranstaltungsort auf dem Plakat auf. Aus der Zuschauermenge löst sich Huy, der den Abend mit der Arie What power art thou des Cold Genius aus der Oper King Arthur von Henry Purcell aus dem Jahr 1691 eröffnet, begleitet von Vlad Solodovnikov am elektrischen Klavier. Später werden die beiden noch Hush no more von Purcell und Ombra mai fu – nie war ein Schatten – Huys Lieblingsarie aus Georg Friedrich Händels Oper Xerxes, interpretieren.
Einen work in progress zeigen der Choreograf Daniel Smith und seine Partnerin Anke Plaßmann zur Musik The Garden von Einstürzende Neubauten. Plaßmann sitzt vor einem Haufen Luftballons und singt, dass du, wenn du mich willst, im Garten finden wirst. Derweil bläst sie weiter Luftballons auf, ehe sie zum Wandschrank geht. Dort holt sie Kleider oder Kostüme heraus. Als sie eine weitere Tür öffnet, hängt dort Smith an einem Kleiderbügel. Sie holt ihn heraus und bringt ihn auf die Tanzfläche. Smith nutzt den Bühnenraum wie das Podest, das am Ende des Raums aufgebaut ist. Abschließend kriecht er in den Luftballon-Haufen, wo ihn Plaßmann wieder ausgräbt und mit einem Luftballon krönt. Eine witzige Liebesgeschichte, die dem Publikum auch deshalb gut gefällt, weil die beiden die Luftballons anschließend an die Besucher verschenken.
Von einer ganz neuen Seite zeigt sich Tänzerin Alice Hunter, die man aus den Aufführungen des Ensembles Pascal Touzeau & Co. nur mit ernster, unbeweglicher Miene kennt. Jetzt darf sie ein Solo zu Continental Céilidh von Christy Moore aufführen. In dem Lied aus dem Jahr 2002 wird humorvoll der typische Abend in einer Musikbar beschrieben. Die Céilí-Tänze sind traditionelle irische Tänze, die vom Rhythmus am ehesten an einem Quickstep erinnern. Da darf Hunter das Tanzbein schwingen und sich mehr als ein verschmitztes Lächeln erlauben. Eine köstliche Darbietung, das Publikum ist entzückt. Mit der Etüde Nummer 5 von Philip Glass schafft Solodovnikov ein wunderbares Gegenstück minimalistischer Musik und einen passenden Übergang zum nächsten Tanzsolo.
Foto © Michael Zerban
Im eleganten, raffiniert geschneiderten, weißen Kostüm zeigt Caroline Powell, ebenfalls aus der Compagnie Touzeau bekannt, ihr Solo zu einer Improvisation, die Darié Wender auf dem Klavier vorträgt. Ihr Tanz begeistert das Publikum, auch wenn in der Choreografie sicher noch ein wenig Luft nach oben ist. Soya Arakawa gelingt es, einen kräftigen Kontrapunkt zu setzen. Der Maler und Skulpteur ist im japanischen Hamamatsu geboren, hat am Kanazawa College of Art seinen Bachelor absolviert, um anschließend an der Düsseldorfer Kunstakademie zu studieren. Heute lebt und arbeitet er in Krefeld. Heute Abend fasziniert er mit einem Ausflug in die japanische Musik, indem er auf dem Sanshin improvisiert und das mit einem gesanglichen Teil kombiniert. Das Sanshin ist ein Musikinstrument aus der Ryūkyū-Dynastie und Vorläufer des japanischen Shamisen. Es wird oft mit einem Banjo verglichen und besteht aus einem mit Schlangenhaut überzogenen Korpus, einem Hals und drei Saiten. Gesang und Spiel klingen für das europäische Ohr ungewohnt, was die Besucher nicht im Geringsten stört.
Das Finale bestreitet schließlich die Compagnie Pascal Touzeau & Co. mit der Choreografie Synergies von Touzeau. Dazu gesellt sich Valeria di Mauro zu Hunter und Powell, um zur elektronischen Musik Frantumi di luce von Grand River und Abul Mogard verschiedene Pas de deux zu zeigen, ehe sie sich zu dritt zusammenschließen und zu einem kraftvollen Schluss finden.
Damit kommt ein überaus gelungener Abend unter langanhaltendem Applaus zu einem – vorläufigen – Ende. Dieser erste genreübergreifende Abend zeigt das Potenzial nicht nur der Spielstätte, sondern vor allem auch des Konzepts, das Huy entwickelt hat. Auch wenn man mit einem solchen Besucherandrang ohne das Festival vermutlich nicht rechnen kann, darf man sich schon jetzt auf Folgeveranstaltungen freuen. Jetzt aber nimmt erst mal das Festival Worringer Weekender von der Spielstätte Besitz. Nach einer Pause beginnt das erste Konzert zu Beginn einer langen Nacht.
Michael S. Zerban