O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Ralf Puder

Aktuelle Aufführungen

Empörungstheater geht nach hinten los

DUNKELDORF
(Juliane Hendes)

Besuch am
20. September 2023
(Premiere am 19. September 2023)

 

Düsseldorf-Festival, 34Ost

Düsseldorf, Oststraße 34. Hier gab es früher einen Elektronikfachhandel. Ausgezeichnete Beratung, ungewöhnliche Artikel. Irgendwann verfilzte das Sortiment, bis eigentlich niemand mehr wusste, wofür der Laden überhaupt stand. Die Folge: Die Kunden blieben aus, der Laden schloss. Das Asphalt-Festival akquirierte das Ladenlokal mit dem ungewöhnlichen Zuschnitt als zusätzliche Spielstätte und nennt sie jetzt 34Ost. Am 20. Juni fand hier die Uraufführung des Stücks Dunkeldorf – ein Stadtspiel des Theaterkollektivs Pièrre.Vers statt, eine Koproduktion von Asphalt- und Düsseldorf-Festival. Nach der ersten Aufführungsserie beim Asphalt-Festival sind jetzt die Aufführungen für das Düsseldorf-Festival dran.

Düsseldorf, S-Bahn-Station Wehrhahn. 27. Juli 2000. Eine Gruppe von Migranten will von der nahegelegenen Sprachschule zum Zug, als am Zugang Ackerstraße eine mit TNT gefüllte Rohrbombe neben ihnen explodiert. Zehn Menschen werden teilweise schwer verletzt, eine Frau verliert ihr ungeborenes Baby. So weit, so schrecklich die Sachlage.

Christof Seeger-Zurmühlen hat dazu ein Konzept für ein Theaterstück entwickelt, bei dem er auch Regie führt, Juliane Hendes die Texte geschrieben. Den Rahmen in Form von Bühne und Kostüm schafft Simone Grieshaber. Vom Eingang aus gesehen, ist am Fußende des ebenerdigen Saals vor der Technik eine Tribüne aufgebaut, die den Zuschauern in Sachen Sitzkomfort einiges zumutet und knappe anderthalb Stunden sehr lang werden lässt. Der Bühnenraum erstreckt sich über die gesamte Ebene und beeindruckt durch die Tiefe, die im Lichtdesign von Philippe Waldecker noch einmal deutlich gewinnt. Zahlreiche Monitore, auf denen die Videos von Julia Franken und Barbara Schröer laufen oder die Schauspieler in Spielsituationen live gezeigt werden, sind im Raum angeordnet. Bei den Bildern wird vollständig auf sensationslüsterne Fotos von den Geschehnissen verzichtet. Zusätzlich werden viele Stühle gerückt. Der hohe Aufwand an Technik, die auch noch reibungslos funktioniert, ist eindrucksvoll. Die Klangkulisse, die Bojan Vuletić erstellt hat, kommt ein wenig zu kurz. Da hätte man sich mehr gewünscht. Insgesamt ein wunderbares Umfeld, das suggeriert, das hier mit ausreichend Abstand eine mindestens näherungsweise objektivierte Sichtweise gezeigt werden wird.

Foto © Ralf Puder

Die Rollen sind scharf gezeichnet. Die Darsteller haben sie inzwischen verinnerlicht, so dass der Vortrag überzeugend und ohne Ausfälle ist. Julia Dillmann spielt Kati Baumann, eine Journalistin, die vermutlich bei einer Tageszeitung arbeitet. Daniel Fries als Mitglied der Antifa und Journalist „der linken Szene“, außerdem Augenzeuge der Geschehnisse nach dem Anschlag, hat das Wissen gepachtet. Azizé Flittner gibt eine jüdische Sozialarbeiterin mit einem mehr als bedenklichen Schlussmonolog. Alexander Steindorf bekommt als Leitender Ermittler eine Traumrolle, darf er doch derjenige sein, der die Geschehnisse relativiert, wie gleich zu sehen sein wird. Und als „Verteidiger“ von Ralf S. darf Jonathan Schimmer einen Monolog halten, der zwar scheinbar aus der politisch falschen Ecke kommt, aber im Grunde das unterstreicht, an was es dem Stück mangelt.

Denn inhaltlich wird es ausgesprochen tendenziös und am Ende gar faktisch falsch. Noch einmal zurück zur Ausgangslage. Die Spurenlage wird durch die Rettungsarbeiten und einsetzenden Regen erheblich erschwert. Allein aus der Tatsache, dass sich die Gruppe aus Menschen aus der Ukraine, Russland, Kasachstan und Aserbaidschan zusammensetzte, unter denen sich auch Angehörige jüdischen Glaubens befanden, zu schließen, dass es sich um einen „rassistisch und antisemitisch“ motivierten Anschlag handelte, mag für manchen politisch passend sein – erwiesen ist es nicht. Schnell schießt sich Hendes auf die Schiene ein, dass es sich um einen rechtsextremistischen Anschlag gehandelt haben müsse. Damit gerät das Geschehen schnell in einen Exkurs über die rechtsextremistische Szene in Düsseldorf. Nebenbei werden andere Ermittlungsansätze ad absurdum erklärt. Hendes unternimmt ständig Versuche der Skandalisierung, die es bei diesem Anschlag schlicht und ergreifend nicht gibt. Die Polizei hat nicht gepatzt, ist nur nicht nach 45 Sendeminuten dazu gekommen, den Mörder zu präsentieren, wie aus Fernseh-Krimiserien bekannt. Bis zu 70 Ermittlungsbeamte waren in der Spitze eingesetzt, um die näheren Umstände aufzuklären, noch so abstrusen Hinweisen wurde nachgegangen. Auch Hendes schießt sich auf Ralf S. ein, der mit seiner offenbar rechtsextremistischen Haltung schnell in den Kreis der Verdächtigen geriet. In einem ordentlichen Gerichtsverfahren 18 Jahre nach dem Anschlag wird er freigesprochen. Auch hier unternimmt Hendes noch einmal den Versuch, das Verfahren in Frage zu stellen. Es scheint modern zu werden, Gerichte als unfähig darzustellen, wenn sie den Sündenbock nicht abstrafen, obwohl doch die öffentliche Meinung ihn längst verurteilt hat. Eine bedenkliche Entwicklung, zumal wenn sie auf der Bühne ausgetragen wird. Wer glaubt, Hendes gehe es lediglich um die Wiedergabe eines Stimmungsbildes der letzten zwei Jahrzehnte, sieht sich spätestens bei Durchsicht des Heftes, das jeder Besucher ausgehändigt bekommt, getäuscht. Abgesehen davon, dass sie hier unter Missachtung sämtlicher geltender Rechtschreibregeln versucht, die Gesellschaft in verschiedene Geschlechter zu spalten, mutet die Orientierung gegen rechts schon seltsam an. Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Kampf gegen rechtsextremistisches Gedankengut ist richtig. Wenn er mit unverhältnismäßigen Mitteln geführt wird, spielt er eher der Gegenseite zu. Das gelingt Hendes hier.

Foto © Ralf Puder

Es gibt vermutlich gute Beispiele von Verbrechen, die allzu schnell im Gedächtnis der Öffentlichkeit verblassen. Der „Wehrhahn-Anschlag“ ist es sicher nicht. Wenn Hendes die Jüdin das Publikum beschimpfen lässt, es sei allzu vergesslich, weil es selbst nicht in der Rolle der Migranten gewesen sei, ist das nicht mehr als eine infame Unterstellung. Wer sich in der Stadt umhört, wird schnell herausfinden, dass der Anschlag sich sehr wohl in das kollektive Gedächtnis der Menschen eingebrannt hat. Als ein feiger, heimtückischer Anschlag auf Menschen – aber ganz unabhängig ihrer Herkunft oder ihres Glaubens – der nicht in das Weltbild Düsseldorfer Bürger passt.

Im Übrigen ist das angebliche Vergessen faktisch falsch. Im Mai 2020 weihte die Stadt Düsseldorf eine Tafel am Eingang Ackerstraße zum Gedenken ein. Am 23. Juli dieses Jahres fand eine Gedenkveranstaltung unter dem Titel Zusammenkommen – Erinnern – Austauschen statt. Und so weiter.

Dementsprechend zwiespältig fällt der Applaus aus. Da möchte man einerseits die Darsteller und das Leitungsteam feiern, aber falsche Behauptungen stören den Gesamteindruck doch erheblich.

Michael S. Zerban