O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Melanie Zanin

Aktuelle Aufführungen

Feminismus anno dazumal

DAUGHTERS OF THE FUTURE
(Waltraud900)

Besuch am
9. November 2023
(Premiere am 5. November 2023)

 

Forum Freies Theater, Düsseldorf

Iphigenie in Aulis ist eine Tragödie von Euripides, die zwischen 408 und 406 vor Christus entstanden ist. Iphigenie ist die Tochter des griechischen Feldherrn Agamemnon, der in den Krieg gegen Troja ziehen will, um Helena zu retten. Auf dem Weg nach Troja halten die Schiffe in Aulis, wo Göttin Artemis für Windstille sorgt, die sie erst aufheben will, wenn Agamemnon seine Tochter opfert. Iphigenie beugt sich schließlich der Staatsräson und willigt ein, sich für Griechenland zu opfern. Artemis jedoch entrückt sie zu den Göttern und lässt stattdessen eine Hirschkuh den Opfertod sterben. So weit die Geschichte, die das Künstlerinnen-Kollektiv Waltraud900 in seinem Stück Daughters of the Future überschreiben will.

Waltraud900 ist 2019 entstanden und widmet sich nach eigenen Angaben „zeitgenössischen Fragen nach Identität und gesellschaftlichen Zugehörigkeiten aus einer feministischen Perspektive“. Mit dem Versuch, eine Renaissance der „feministischen Perspektive“ heraufzubeschwören, läuft es bekanntlich nicht so richtig gut. Viele der „Forderungen“ sind seit Jahrzehnten überholt, laufen so weit an der Wirklichkeit vorbei, dass es selbst vielen Frauen allmählich leid wird. Wenn das Kollektiv mit seinem neuen Stück die Vergangenheit überschreiben will, gerät das entsprechend schief. Die Töchter der Zukunft wollen lernen, nein zu sagen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten, sich nicht mehr vorschreiben lassen, wie sie sich zu kleiden oder zu pflegen haben? Da fragt sich der alte, weiße Mann, wer hier eigentlich in der Vergangenheit lebt. Die Aufhebung aller Geschlechterunterschiede klingt weniger nach Identitätsfindung als eher nach einem gruseligen Science-Fiction-Roman. Und so bleibt an diesem Abend manche Äußerung, die man über sich ergehen lassen muss, mehr als diskussionswürdig.

Ursprünglich bewarben sich 30 Mädchen und junge Frauen für die Teilnahme an dem Projekt. 17 blieben letztlich übrig, die nun den Abend bestreiten. Die Bühne und Ausstattung von Ria Papadopoulou zeigt sich überschaubar, aber überzeugend. Im linken hinteren Viertel der Bühne ist die Schlagzeugbatterie aufgebaut, davor weißer Tüll gelegt, der im späteren Verlauf als Zelt und als Leinwand dient. Ein Mikrofon hängt frei im Raum und dient als Anspielstation für Statements. Die Regie von Bianca Künzel und Nazli Saremi macht Spaß. Sie teilen die Darsteller in drei Chöre auf. Der größte spielt die Iphigenie auf der Bühne, der nächstgrößere tritt auf der Tribüne als Agamemnon auf und Aylin Çelik und Juliette Serrié verkörpern Artemis. Hervorragende Arbeit leistet Phaedra Pisimisi, die die Tänze choreografiert.

Die passenden Klänge dazu liefert Sierré an Xylophon, Donnerblech und Trommeln.

Wer sich an den Inhalten nicht stört, wird von der Spiel- und Bewegungsfreude, insbesondere aber von der Textsicherheit der jungen Leute höchst erfreut sein, die das Publikum nach knappen 90 Minuten begeistert feiert.

Michael S. Zerban