O-Ton

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Foto © Ingo Schäfer

Aktuelle Aufführungen

Repetierende Uhrwerke

COPPÉLIA X MACHINA
(Hélène Blackburn)

Besuch am
21. Januar 2023
(Uraufführung)

 

Ballett der Deutschen Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf

Eins stand für die kanadische Choreografin Hélène Blackburn von Beginn an fest: Ihr neues Tanzstück Coppélia X Machina, das jetzt vom Ballett der Deutschen Oper am Rhein mit großem Beifall im Düsseldorfer Opernhaus aus der Taufe gehoben wurde, sollte alles andere als eine modern aufgepeppte Version des beliebten, zuckersüßen Coppélia-Balletts von Léo Delibes werden. Hélène Blackburn orientiert sich stärker an der Vorlage des Coppélia-Stoffes, an Theodor Amadeus Hoffmanns düstere Erzählung Der Sandmann, in der die mechanische Puppe Coppélia einem Liebhaber den Kopf verdreht und ihn in den Tod treibt. Die Frage, welche Macht die Mechanisierung unserer Welt selbst auf intime, private Bereiche des Lebens wie etwa die Liebe ausüben und wie sie sich durch digitale Technologien noch verstärken kann, steht im Zentrum des neuen Stücks.

Die 100-minütige Arbeit ist zweiteilig angelegt. Im ersten Akt interessiert sich eine Menschenmenge, wie in Delibes‘ Ballett, auf einem öffentlichen Platz für eine noch leblose Puppe, in die sich der Diener des technikvernarrten Erbauers Hals über Kopf verliebt. Im zweiten Akt befinden wir uns im Labor des unheimlichen Physikus, der die Puppe mittlerweile zum Leben erwecken konnte.

Die Freizeitkleidung weicht im zweiten Teil strengen, uniformierten Korsagen, das kunterbunte Schuhwerk, auf das Blackburn stets großen Wert legt, Stelzen im Stil eines Kothurns und vor allem seidenen Spitzenschuhen. Die Alltagsschuhe werden im Labor also durch künstliche, nicht alltagstaugliche Modelle ersetzt. Dazu klingt die Musik der Komponistin Ana Sokolović im zweiten Teil umso schärfer und aggressiver, je puppenhafter auf Spitze getanzt wird. Eine Welt voller Widersprüche.

Die Musik, bestehend aus überwiegend mechanisch rotierenden, oft dunkel eingetrübten und dynamisch extrem weitgespannten Motivketten, entspricht den meist roboterhaften Bewegungsmustern des Stücks. Die arbeitet Blackburn filigran aus und fordert den Akteuren damit ein Höchstmaß an Präzision ab, was den etwa 30 mitwirkenden Tänzern des Balletts am Rhein im Wesentlichen auch gelingt.

Allerdings ist eine Entwicklung der Figuren kaum zu erkennen. Vom ersten Auftritt an bewegen sich die Tänzer wie repetierende Uhrwerke. Die angestrebte Reduktion auf drei Protagonisten – die Puppe, dargestellt von Wun Sze Chan, den Liebhaber von Orazio Di Bella und Niklas Jendrics als Physiker – bleibt unscharf, da sie nur selten solistisch hervortreten und sich kaum von der Menge abheben. Dass der verblendete Liebhaber am Ende stirbt, erfährt man nur aus dem Programmheft. Die Verknüpfung von konkreter Handlung und Abstraktion bleibt unbefriedigend. Nicht so die kreative Gestaltung etlicher Teile des Balletts, nicht nur die des animalisch anmutenden Tanzes düsterer Gestalten im Labor des unheimlichen Physikers auf kothurnartigen Stelzen.

Hervorzuheben ist die organische Verschmelzung von Bewegung, Musik mit der raffinierten Lichttechnik von Emmanuel Landry in den schlichten, aber eindrucksvollen und flexibel wandelbaren Bühnenbauten Paul Zollers. Nicht zu vergessen das vitale, leuchtkräftige Spiel der Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Patrick Francis Chestnut.

Viel Beifall für eine ambitionierte, wenn auch sehr abstrakte und nicht immer klar nachvollziehbare tänzerische Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Mechanisierung und Digitalisierung auf unser gesamtes Dasein.

Pedro Obiera