O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Im Fegefeuer der Eitelkeiten

LA CENERENTOLA
(Gioacchino Rossini)

Besuch am
12. April 2018
(Premiere)

 

Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Partika-Saal

Fast auf den Tag drei Jahre ist es her, dass Sabine Hartmannshenn im Partika-Saal der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule mit Alcina einen grandiosen Regie-Erfolg einfahren konnte. Jetzt ist sie wieder da, um mit den Studenten der Opernklasse von Thomas Gabrisch La Cenerentola von Gioacchino Rossini zu zeigen. Ein großartiges Werk für das Publikum, wenn es denn packend inszeniert wird, durchaus eine Herausforderung für das Regie-Team, wenn es nicht einfach nur Klamauk auf die Bühne bringen will, und anspruchsvolle Rollen machen das Aschenputtel für die Sänger auch nicht zum Spaziergang. Bekommt der musikalische Leiter gerade in den Ensemble-Stellen die Balance nicht vorzüglich hin, endet das Stück schnell im Klangmatsch.

Andererseits: Wo ist eigentlich der Raum für Experimente, wenn nicht an einer Hochschule? Gerade im Bachelor-System, das kaum anderes als eine verlängerte Schulbank darstellt, muss es die größte Herausforderung für die Professoren sein, entlang enggesteckter Curricula noch den Freiraum für das Ausprobieren zu finden. Und trotz des Erfolgsdrucks, den das Budget für eine Opernproduktion auch an einer Hochschule setzt – schließlich muss die Umsetzung so überzeugen, dass die Sponsoren auch im kommenden Jahr wieder mit dabei sind – geht Gabrisch nicht von seinem Anspruch ab. Mit Hartmannshenn hat er auf Regie-Seite eine kongeniale Partnerin, die mit gewagten Konstruktionen auch mal alles auf eine Karte setzt und von den Studenten Leistungen erwartet, die den ständig steigenden Anforderungen in den Opernhäusern und Stadttheatern mindestens entsprechen, wenn nicht darüber hinausgehen. Man könnte es auch so ausdrücken: Wer sich als Student auf Gabrisch und Hartmannshenn einlässt, braucht in der Berufspraxis keine Angst mehr vor der „großen Bühne“ zu haben. Und dazu gehört eben auch, dass man sich in Grenzsituationen begibt.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

In diesem Jahr hat die Regisseurin mit Lukas Kretschmer eine Bühne entwickelt, von der ihr jeder „Fachmann“ schon im Vorfeld sagen kann: Das wird nichts. Kretschmer hat gemeinsam mit den Bühnenarbeitern der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg, die das Projekt der Opernklasse auch in diesem Jahr wieder bei Bühne, Kostüm und Technik unterstützt, einen kreisrunden Wall um das Orchester gebaut. Auf dieser Mauer gibt es Türrahmen-Konstruktionen, die man besteigen und verschieben kann. Handwerklich eine Meisterleistung, bühnentechnisch diskutabel. Zwar können so leichterdings immer neue Räume geschaffen werden, und das geschieht auch, aber wo eine Tür zugeht, ist der Gesang weg. Zumindest wenn man auf der anderen Seite der Tür sitzt. Das Publikum sitzt an drei Seiten des Kreises. Die Rückseite bleibt den Einsätzen des Bühnenpersonals als Wartezone vorbehalten. Die Bühne bricht also das Guckkasten-Prinzip auf. Die Sänger müssen sich auf allen Positionen der Mauer abarbeiten. Die Gesangsfetischisten schnauben schon in der Pause. Denn wenn die Sänger auf der abgewandten Seite des Rings singen, sind sie so gut wie nicht mehr zu hören. Das Publikum auf der zugewandten Seite ist begeistert von der Nähe und dem „Live-Erlebnis“. Allerdings sorgen gut einsehbare Übertitel dafür, dass niemand den Faden verliert. Und wenn du dann dein persönliches Ständchen eines angehenden Opernsängers zu hören bekommst, seinen Schweiß von der Stirn spritzen und die genau probierten Abläufe siehst, die detailliert bis in die Blickrichtung gehen, ist das schon ein ganz besonderes Erlebnis. Und genau bis in diesen „Augenblick“ hinein geht die Personenführung der Regisseurin. Dazu gehören natürlich zwei Seiten. Die Anweisungen von Hartmannshenn genauso wie die Menschen, die bereit sich, sich auf solche Finessen einzulassen. Etwas großzügiger geht es bei den Kostümen zu, die Stefanie Salm entwickelt hat. Einerseits budgetbedingt, andererseits ohne größere Ambitionen, was die historische Genauigkeit angeht. Es sind mehr Accessoires, die auf eine Vergangenheit hindeuten, soweit sie für das Verständnis der Handlung notwendig sind. Ansonsten gibt es auch gern mal Jeans – und Turnschuhe. Da freut man sich geradezu, dass wenigstens für die Damen anständiges Schuhwerk zur Verfügung steht.

In bewährter Weise sorgt Volker Weinhart mit vergleichsweise minimalen Mitteln für eindrucksvolle Lichteffekte, die überwiegend großflächig erfolgen und mehr der Verdeutlichung der Situation als dem dramatischen Einzel dienen. Im Gesamtzusammenhang funktioniert das aber sehr gut.

Die Geschichte, die Hartmannshenn erzählt, ist nicht die lustige Verwechselungskomödie, sondern die der Eitelkeiten, denen nahezu jeder der Beteiligten zum Opfer fällt. Das macht die Inszenierung glaubwürdig und durchgängig überzeugend. Vor allem aber bietet es den Akteuren damit Möglichkeiten, einen feinen Humor zu zeigen, über den man herzlich schmunzeln kann. Die Schenkelklopfer entfallen glücklicherweise komplett. Am Ende ist die Geschichte sauber, köstlich und verständlich erzählt, wenn man von überflüssigen Kleinigkeiten wie einem Handschuh statt eines besungenen Armreifs absieht.

Vor allem aber stehen die Sänger im Rampenlicht. Und hier feiert auch die neue Generation ein Fest. Was im Vergleich zu vergangenen Aufführungen auffällt: Die Akteure sind außerordentlich gut vorbereitet. Hier gibt es kein merkliches Premierenfieber, keine Patzer, die später ausgebügelt werden. Ging Valerie Eickhoff im vergangenen Jahr in einer dreigeteilten Rolle bei der Fledermaus etwas unter, gehört die Bühne in diesem Jahr ihr. Sie ist Cenerentola. Und bietet mit 21 Jahren ein Stimmmaterial auf, das ihr Gesangslehrer Konrad Jarnot kurz und zutreffend mit „göttlich“ beschreibt. Da ist noch nicht alles Gold, aber es glänzt unglaublich. Ebenfalls wieder große Freude bereitet Anna Rabe, die als Clorinda mit großer Spielfreude, fantastischer Mimik und noch mal einer gehörigen Steigerung in den gesanglichen Fähigkeiten gefällt. Auch Verena Tönjes als Tisbe mit flammrotem Haar sieht und hört man in ihren erotischen Bemühungen gern zu. Vater Don Magnifico ist von der Physiognomie her erst mal gewöhnungsbedürftig, aber Tomas Kildišius überzeugt schnell in Gesang und Schauspiel. Bryan Lopez Gonzalez, der bereits im Opernstudio der Rheinoper untergekommen ist, bei Jarnot aber noch parallel auf Master studiert, überzeugt vor allem vom Erscheinungsbild her als Don Ramiro. Sein Diener Dandini wird von Michael Daub gegeben und unterstreicht überzeugend das Konzept von Hartmannshenn, dass hier jeder seinen Eitelkeiten anheimfällt. Köstlich. Gesanglich ist hier auch schon viel Zukunft zu hören. Der Chor, der um zahlreiche Gäste ergänzt ist, begeistert neben sauberem Gesang durch große Spielfreude und starke Typen mit Ausstrahlung.

Das Orchester, das sich aus Studenten der Hochschule zusammensetzt, ist ebenfalls außerordentlich gut vorbereitet. Die Entspanntheit ist förmlich spürbar. Und das bei einer formidablen Leistung. Thomas Gabrisch hat ganz offensichtlich großen Spaß an seinem Rossini. Intensiv kommuniziert er über den Stab hinaus mit den Musikern, ermuntert sie, die Italianità auszuarbeiten. Und tatsächlich gelingt es ihm, die extrem schwierige Balance zwischen berauschenden Orchesterklängen und dem Gemeinschaftsgesang der Akteure auf der Bühne in einen hörbaren Rahmen zu fügen.

Zeit spielt an diesem Abend keine Rolle, und so ist die Aufführung erst nach drei Stunden beendet. Hat es jemand bemerkt? Nein, allzu kurzweilig ist die Inszenierung. Ein paar Haken und Ösen hat Sabine Hartmannshenn mit ihrer experimentellen Bühne eingebaut, aber gerade deshalb ist es schön, dabei gewesen zu sein, denn solche Experimente wird man woanders nicht erleben.

Michael S. Zerban