O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Ungewohntes Terrain

LA CALISTO
(Francesco Cavalli)

Besuch am
9. April 2025
(Premiere)

 

Partika-Saal, Robert-Schumann-Hochschule, Düsseldorf

Einmal im Jahr haben die Studenten der Opernklasse an der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule die Aufgabe, eine Oper im Konzertsaal der Musikhochschule aufzuführen. Dieses Jahr hat Thomas Gabrisch, Leiter der Opernklasse, den Sängernachwuchs vor eine besondere Herausforderung gestellt. Abseits des üblichen Lehrstoffs sollen die jungen Leute eine Barockoper einstudieren, eine weitgehend unbekannte noch dazu. „Der Probenprozess war vor allem dadurch geprägt, dass viele Gewohnheiten, die sich durch das Studium des Opernrepertoires ab Beginn des 18. Jahrhunderts gebildet haben, bei der Arbeit an der Barockoper abgelegt werden mussten“, beschreibt Gabrisch den Anspruch, dem sich die Studenten ausgesetzt sahen. Das bedeutete für den Nachwuchs, sich auf gänzlich andere Denkweisen, aber auch sängerische Techniken einzulassen.

Jetzt ist es also so weit. Die Premiere von La Calisto, einer Oper von Francesco Cavalli und seinem Librettisten Giovanni Faustini, die am 28. November 1651 in Venedig uraufgeführt wurde, kann beginnen. Die Geschichte ist an Ovids Metamorphosen angelehnt. Götterchef Jupiter vernarrt sich in die Nymphe Calisto aus dem Gefolge der Jagdgöttin Diana. Weil die sich ihm nicht hingibt, verwandelt er sich in Diana und kann sie als Frau bezirzen. Derweil verguckt sich die echte Diana in den Hirten Endimione, wird aber von Pan beansprucht. Calisto wird schlussendlich in ein Sternbild verwandelt, Endimione und Diana finden zueinander. Umgeben werden die Protagonisten von einem Haufen Personal, was für eine Hochschulaufführung sehr schön ist, weil ja möglichst viele Studenten Gelegenheit bekommen sollen mitzuwirken. Der Trend, Barockopern möglichst bunt und schillernd zu inszenieren, sie möglichst noch mit Tanzeinlagen zu garnieren, ist an vielen Häusern zu erleben, und auch Regisseurin Beka Savić, an der Robert-Schumann-Hochschule unterrichtet sie Schauspiel und szenischen Unterricht, inszenierte bereits die Aufführung im vergangenen Jahr, verschließt sich dieser Idee nicht, um die Aktualität der Oper zu unterstreichen. Dazu verlegt sie die Handlung auf ein Musikfestival. Wem diese Information im Programmheft entgeht, vermisst nichts. Die dort apostrophierte „ausgelassene Feier“ ist, vielleicht glücklicherweise, nicht erkennbar. Aber der Gedanke führt zu einem schönen Bühnenbild, das Savić auch gleich selbst entworfen hat. In der Mitte des Saals ist ein Podest aufgebaut, in dessen Zentrum sich ein Podium mit einem Drehgestell befindet. Hinter dem Podest steht eine Traverse, die mit bunten Bändern geschmückt ist. Dahinter ist ein Gang mit schwarzem Stoff verkleidet, so dass sich jede Menge Bewegungsmöglichkeiten ergeben. Auch heuer hat die Deutsche Oper am Rhein den Bühnenaufbau übernommen. Und Volker Weinhart, Lichtdesigner der Rheinoper, hat es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen, für das richtige Licht zu sorgen. Dabei hat er, wie er sagt, „tief in den Farbtopf gegriffen“, um die Attraktion der Aufführung zu unterstreichen. Dafür ist Kostümbildnerin Stefanie Salm zuständig, deren Fantasie schlicht grenzenlos zu sein scheint. Ein Farbenrausch mit beleuchteten Krönchen. Für die aufwändige Maske sind Bernd Staatz und Mylene Breyer zuständig, die sich mächtig ins Zeug legen. Da glitzern die Gesichter der Damen, die Haarfarben reichen von gelb bis schwarz. Das alles ist wunderbar anzusehen.

Savić gelingt es, mehr als 20 Personen so zu beschäftigen, dass auf der Bühne und im Zuschauerraum ständig Bewegung herrscht. Wie gewohnt, agieren die Studenten mit großer Spielfreude und zelebrieren viele kleine nette Regieeinfälle. Luzia Ostermann zeigt eine überzeugende Calisto. Stimmlich eindrucksvoll übernimmt Julia Wirth die Rolle der Diana. Kleine Stimmwunder vollbringt Grantas Šileikis als Giove, also Jupiter, und vorgetäuschte Diana. Einen glaubhaften Endimione gibt Solomon Hayes. Viel Spaß bereitet Marius Prižgintas in der Frauenrolle der Linfea. Neele Jacobsen bekommt als Juno einige große Auftritte, die sie mit Bravour absolviert. Dass bis in die Chorstimmen hinein eine hohe Verständlichkeit der auf Italienisch gesungenen Texte zu verzeichnen ist, ist Luca Quintavalle zu verdanken, der die Studenten intensiv vorbereitet hat. Umso irritierender ist die Übertitelung. Dafür hat man die Sprache „zum leichteren Verständnis in ein der Bühnensituation gemäßes modernes Deutsch übertragen“, ist im Programmheft zu lesen. Gegen eine solche Adaption ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber deshalb muss sie nicht auf Gossenniveau absinken. Das ist dann auch nicht mehr so lustig, sondern allenfalls ermüdend.

Ganz und gar nicht erschöpfend ist, Gabrisch bei seiner Arbeit zuzusehen. Mit größter Präzision und Übersicht leitet er die vierzehn Musiker an, die abseits des Basso continuo auf eine harte Geduldsprobe gestellt werden, weil die Zahl der Einsätze mehr als überschaubar ist. Tapfer halten sie die Konzentration und bleiben auf dem Punkt. Gabrisch bedient parallel die Truhenorgel und lässt nicht einen Augenblick die Sänger aus dem Blick.

Wenn die Aufführungsdauer von 19.30 bis 22 Uhr angekündigt ist, stellt eine Verlängerung um mehr als 20 Minuten die Zuschauer auf eine harte Probe. Die lassen sich nichts anmerken und feiern die Studenten lang und frenetisch. Was die jungen Sänger, ihre Betreuer und Lehrer geleistet haben, um diesen Abend zu ermöglichen, kann man nur erahnen. Der Aufwand jedenfalls ist bombastisch, und allein das Ergebnis zu erleben, egalisiert vollkommen, ob man Barockopern mag oder nicht.

Bis zum 15. April gibt es noch Gelegenheit, sich von dem Gesamtkunstwerk, das die Opernklasse der Robert-Schumann-Hochschule auf die Beine gestellt hat, faszinieren zu lassen.

Michael S. Zerban