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Schreib doch mal ’n Begleittext für den Tanzabend mit dem Botis Seva. So 10.000 Zeichen. Kriegst Du das hin?“ So oder ähnlich könnte der Auftrag an Thomas Hahn gelautet haben. Da gibt es kein Zögern, kein Überlegen, ob das Thema einen solch langen Text hergibt. Diese Frage beantwortet man im Kulturbereich einfach nur mit „Ja“. Denn solche Aufträge sind mittlerweile rar gesät. Also pustet der Autor den Text auf. Da wird dann auch allzu Bekanntes gern noch mal aufgewärmt. Und das ist auch ziemlich egal, denn wenn der Aufsatz nach der Veröffentlichung so viele Rechtschreibfehler enthält wie auf der Netzseite des Düsseldorf-Festivals, ist die Gefahr ohnehin ziemlich gering, dass er noch viele Leser findet.
Botis Seva ist als Sohn eines Kongolesen und einer Angolanerin im Londoner Außenbezirk Enfield geboren und im Vorort Dagenham aufgewachsen. In der Schule kam er mit dem Tanz in Berührung und zeigte sich schon als 15-Jähriger choreografisch talentiert. 2010 gründete er die Compagnie Far From the Norm, ein Tanzensemble, das bis heute besteht. Mit dem ist er nun zum Düsseldorf-Festival eingeladen, um sein Stück Blkdog zu zeigen. Es ist die künstlerisch umgesetzte Erzählung seiner Jugend. Die Medien lieben solche Geschichten. Ein Junge, ein dunkelhäutiger noch dazu, kämpft sich aus schwierigen sozialen Verhältnissen erfolgreich auf das internationale Tanzparkett. Und so verwundert es nicht, dass die Arbeit von Seva hochgejubelt wird. Das Stück selbst kann man durchaus diskutieren.
Foto © Camilla Greenwell
Tom Visser setzt ein Licht, das eher weniger als mehr vom Geschehen sehen lässt, bis dahin, dass nur noch Silhouetten zu erkennen sind. Seva sorgt in dieser Vierteldunkelheit durchaus für tänzerische Effekte. Wenn die sieben Tänzer in der Hocke ein hohes Lauftempo entwickeln – was zuvörderst die Lust von Orthopäden auf künftige Knieoperationen steigern dürfte – oder reflexhafte, staccatoartige Bewegungen zu Geräuschen von der Festplatte zeigen, ist das eindrucksvoll. Allerdings nutzen sich Morde, Rudel- und Rangkämpfe einschließlich Wiederbelebung und Vergewaltigungsszenen in der permanenten Wiederholung ab. Und wenn Seva die große Keule in Form eines Baseballschlägers herausholt, geht allmählich die Lust am Zuschauen verloren. Zumal die von Hahn verkündeten Hoffnungsschimmer nicht so recht erkennbar sein wollen. Dankenswerterweise erspart Seva dem Publikum die Rassismus-Debatte. Es gibt beim deutschen Tanzpublikum vermutlich ohnehin niemanden mehr, der sich für die Hautfarbe eines Tänzers interessiert. Ryan Dawson Laight sorgt mit den Kostümen gar dafür, dass Geschlechter so gut wie möglich unkenntlich gehalten werden. Dass damit auch jede erotische Spannung in Trainingsanzügen versackt, mag durchaus im Sinne Sevas liegen, hilft dem Stück aber auch nicht auf die Sprünge.
Letztlich bleibt von der Komposition Torben Sylvests nach der Aufführung nichts im Gedächtnis außer ein paar englischen Sprachfetzen. Nach einer guten Stunde ist es gut mit dem gewalttätigen Handlungsballett. Das Publikum im gut besuchten Theaterzelt applaudiert zunächst zögerlich, dann trotzig, nachdem das Ensemble wort- und grußlos, also ohne jede Verbeugung von der Bühne verschwindet und auch nicht wiederkehrt.
Im stürmischen Regen geht es dann hinaus in die Nacht, in der modrig-parfümierte Gerüche aus der Altstadt in die Nase steigen. Das passt dann auch – irgendwie.
Michael S. Zerban