O-Ton

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BLASE
(Anna Illenberger)

Besuch am
20. Oktober 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Galerie Lausberg, Düsseldorf

Ein leiser Hauch von Wehmut liegt über dem schmalen Kunstgarten der Galerie. Am Mittag hat Bernd Lausberg, so dass noch alle potenziellen Besucher des abendlichen Konzerts davon erfahren, via Rundschreiben die Bombe platzen lassen. Am 31. Oktober schließt die Galerie Lausberg in Düsseldorf nach 20 Jahren ihre Pforten. Der Galerist wird sich nach Wuppertal in eine Gründerzeit-Villa im Briller Viertel zurückziehen, um dann mit neuen Formaten wieder auf sich aufmerksam zu machen. Jetzt aber steht erst mal das Konzert, das letzte Konzert, an. Bereits im vergangenen Jahr hatte Anna Illenberger für wahre Begeisterungsstürme bei ihrem ersten Konzert in der Galerie gesorgt, ist zu hören. Dass ihr nun die Ehre des Abschiedskonzerts zukommt, war bei ihrer Einladung sicher noch nicht abzusehen. Das schließt die Gänsehaut nicht aus, die sich zum Ende des Abends einstellen wird.

Um etwas über Anna Illenberger zu erfahren, kann man sich den Weg auf die Website sparen. Was an ihrem Lebenslauf so geheimnisvoll ist, erschließt sich nicht. Ihr Vater ist der Gitarrist Ralf Illenberger. Sie selbst sagt von sich, Autodidaktin zu sein. Und einen Hund hat sie, was sie ja schon mal ungemein sympathisch macht. Mit Annagemina gründete sie ein Duo mit Michael Fiedler. Den Musiker lernte sie nach ihrem recht verunglückten, ersten Solo-Auftritt in den Wagenhallen Stuttgart kennen, wo sie bis heute ein Atelier hat. Gemeinsam waren sie überzeugt, dass ihnen der Mainstream im Pop ziemlich egal sei. Und sie versuchten sich mehr oder minder erfolgreich im „Elektronik-Pop“, gar eine Filmmusik kam dabei heraus. Vor zwei Jahren stellte Illenberger sich auf eigene Füße. Album folgt auf Album. Und dabei ist das Neueste noch gar nicht fertig geworden, dass sie eigentlich in Düsseldorf vorstellen wollte. Jetzt steht sie in der Galerie vor zwei Tischen, die mit Computern vollgepackt sind. Hinter ihr läuft die „3D-Animation“ Color in Digital Space von Rita Rohlfing und Christian Rademann.

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Spricht man in Düsseldorf von elektronischer Musik, redet man über Kraftwerk. Die Band hat die elektronische Musik aus ihrer Nische geführt und ein Massenpublikum gewonnen – um den Preis der vollständigen Entmenschlichung. Ohne musikhistorisch verbindlich sein zu wollen, hebt Illenberger die elektronische Musik auf eine neue Stufe. Schon bei den englischsprachigen Songs Never fear und Cut wird deutlich, dass sie sich in andere Welten begibt. Illenberger nimmt das Publikum mit dem ersten Drehknopf gefangen. Gemäßigte Bässe, schillernde Effektschleifen und ihre schier hypnotische Stimme zeigen, wie man mit elektronischer Musik hochemotional – bis hin zur Dystopie – werden kann. Nach dem zweiten Lied erklärt sie, sich erst neuerdings mit der Verbindung von Musik und deutscher Sprache zu beschäftigen. Da möchte man ihr zurufen: Warum nicht gleich so? Falle, Blase, Heimlich, Herz oder Gehen zeigen, dass sie der deutschen Sprache immer noch neue Geheimnisse entlocken kann. Allesamt Stücke, die erst auf dem neuen Album, das nun im kommenden Frühjahr erscheinen soll, zu hören sein werden, gehen in die Tiefe zerstörter Beziehungen oder unwiederbringlicher Lebensentscheidungen, ohne auch nur ansatzweise der Banalität anheimzufallen.

Ist es die Ausstrahlung der charismatischen Sängerin, ihre Entrücktheit oder ihre Virtuosität bei der Bedienung der Musik-Computer, die das Publikum vom ersten Moment an in ihren Bann ziehen? So genau weiß man das nicht. Wie so oft: Die Mischung macht’s vermutlich. Beim letzten Lied des gut einstündigen Konzerts jedenfalls entsteht eine Stimmung, wie man sie zuletzt vermutlich bei Trude Herrs Niemals geht man so ganz in Köln erlebt hat. Gehen lautet der Titel. Eine junge Frau packt ihre Koffer, weil sie in eine ungewisse, nicht allzu glücklich aufscheinende Zukunft aufbrechen wird. Und sie fragt ihren Partner, ob er den Mut hat, sie zu begleiten – ohne eine Antwort zu bekommen. Antworten gibt es dann noch von Bernd Lausberg nach fulminantem Applaus und Zugabe. Pathos ist seine Sache nicht, aber der Dank an sein Publikum und seine Mitarbeiter zum Abschied kommt von Herzen.

Zwei Gespräche bleiben nach dem mehr als eindrucksvollen Konzert zu führen. Beide kurz. Illenberger kann man da als eine natürliche, bodenständige Frau mit Herz und Humor erleben, die sich wirklich freut, wie gut ihr Konzert angekommen ist. Von ihr werden wir noch viel hören. Lausberg hält mit seinem Ärger über die Entwicklungen in der Hohenzollernstraße hinter dem Berg, konzentriert sich auf die Vorfreude über den bevorstehenden Umzug nach Wuppertal. Dort wird es vorerst keine Ausstellungsräume mehr geben. Aber den Konzertbetrieb will er weiterlaufen lassen. Etwa ab März kommenden Jahres sei mit neuen Plänen zu rechnen, ist zu hören. Klar scheint schon jetzt, dass sich der Besucherkreis seiner Konzerte, mit denen er in den vergangenen Jahren zu den positiven Seiten des Kulturbetriebs in Düsseldorf beigetragen hat, verkleinern wird. Zu klein, um Anna Illenberger mit ihrem neuen Album wieder einzuladen, wird er nicht, da ist sich der Galerist und Musikliebhaber sicher. Und zuversichtlich stimmen dürfte ihn auch die Aussicht, dass Musiksalons wie im alten Wien gerade eine Renaissance zu erleben scheinen.

Michael S. Zerban