O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Theater der Klänge

Aktuelle Aufführungen

Derbe Späße der Vergangenheit

DIE BAROCKE MASKENBÜHNE
(Jörg U. Lensing)

Gesehen am
2. April 2020
(Video on demand)

 

Theater der Klänge, Spee‘scher Garten, Düsseldorf

Auch das Theater der Klänge in Düsseldorf wird vom Aufführungsverbot nicht verschont. Um das Schlimmste zu verhindern, hat sich Jörg U. Lensing etwas Besonderes einfallen lassen. In mehr als 32 Jahren sind 27 Produktionen entstanden, die allesamt als Video dokumentiert sind. Warum also nicht die Vergangenheit Revue passieren lassen? Also werden die Werke jetzt in chronologischer Reihenfolge noch einmal im Internet gezeigt. Jeweils donnerstags um 19 Uhr gibt es ein neues Video, das bis Sonntagabend auf Abruf bleibt. Verbunden damit ist ein Spendenaufruf, um die entgangenen Honorare der Akteure auszahlen zu können. Das Spendenziel von 5.000 Euro ist eigentlich marginal, aber momentan rufen viele nach Spenden.

Als zweite Aufführung steht in dieser Woche Die barocke Maskenbühne in einer Fassung aus dem Jahr 1995 auf dem Programm. Lensing hat aus Die neue und curieuse, theatralische Tantz-Schul von Gregorio Lambranzi aus dem Jahr 1716 ein neues Stück entwickelt. Im Spee’schen Park ist ein Holzpodium aufgebaut, das mit rotem Plüsch umsäumt ist. Im Hintergrund ist ein Vorhang aus dem gleichen Stoff aufgestellt, der rechts und links noch Platz für Abgänge lässt. Links neben dem Podium haben sich die drei Musiker eingerichtet. Die Handlung ist schnell erzählt. Es werden die „modernen“ Tänze jener Zeit vorgestellt, miteinander verbunden durch komödiantische Zwischenspiele. Janina Mackowski und Caterina Di Fiore haben die Kostüme nach den Stichen von Lambranzi entwickelt, die großartigen Masken hat Lensing selbst entworfen, gebaut hat er sie zusammen mit Nathalie Cohen und Heiko Seidel. Und so entsteht auf der Bühne ein farbenprächtiges und authentisches Bild, das von J. S. Hardt immer gerade so ausreichend beleuchtet wird, um auch die Kerzenbeleuchtung zum wirksamen Einsatz zu bringen.

Foto © Theater der Klänge

Eindrucksvoll, welch personeller Aufwand vor anderthalb Jahrzehnten bei der Open-Air-Veranstaltung betrieben wurde. Waren schon hinter der Bühne so viele Personen beschäftigt, dass es eigentlich jedes Budget sprengen müsste, herrscht auch auf der Bühne ein imposantes Personalaufgebot. Und dabei spielen alle mindestens zwei, einige gar bis zu vier Rollen. Hat Lensing sich bei den dörflichen Tänzen um die Choreografie mit Hilfe von Jacqueline Fischer selbst gekümmert, hat er für die höfischen Tänze Deda Colonna beauftragt. Bei so viel Betreuung wundert es, dass der Abend reichlich entgleist. Selten hat man ein Stück erlebt, bei dem so viel gefurzt wurde, die Zoten keine Grenzen kennen und der „Sicherungsbeauftragte“ einen solch unglaublich schlechten Ruhrgebiets-Slang von sich gibt. Was 1995 möglicherweise en vogue war, wirkt heute reichlich übertrieben und unnütz, selbst, wenn es dazu dient, die Derbheit und Deftigkeit einer längst vergangenen Zeit darzustellen. Rückblickend kann man sagen, dass es auch ohne Klamauk lebensfroh genug zugegangen wäre.

Sehr einfach gestrickt und perkussionslastig kommt die Musik daher, die Lensing und Thomas Neuhaus komponiert haben. Knut Jerxen übernimmt die Perkussion, Dieter Stamer besorgt Marimbaphon und Pauken und Thomas Wansing sitzt am Cembalo.

Dem Publikum gefällt’s. Szenenapplaus, viele Lacher und gebührender Beifall nach zwei prallgefüllten Stunden in herrlicher Sommernacht sind den engagierten Akteuren gewiss. Ein Blick auf die kommenden Videos lohnt in jedem Fall. Schon deshalb, weil die Dokumentation zu den Videos auf den Internetseiten so ausführlich ist, dass sie locker jedes Programmheft ersetzt. Davon kann noch manches große Haus lernen, dass in diesen Tagen mit Konserven um sich wirft.

Michael S. Zerban