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Liebesherzchen und Lohengrin-Schwäne

IL BARBIERE DI SIVIGLIA
(Gioacchino Rossini)

Besuch am
11. Juni 2021
(Premiere)

 

Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf

Für jeweils etwa 350 Zuschauer pro Vorstellung öffnet das Düsseldorfer Opernhaus nach achtmonatiger Zwangspause wieder seine Pforten. Für den Auftakt ist eine mediterran lichte Liebeskomödie wie Gioacchinos Rossinis Buffa Il Barbiere di Siviglia nicht die schlechteste Wahl, um die Stimmung in Gang zu bringen. Dass dieses Ziel erreicht wird, zeigt sich an dem ebenso langen wie offensichtlich erleichterten Beifall des Premierenpublikums.

Im Laufe des dreistündigen Abends kann die Deutsche Oper am Rhein das reiche vokale Potenzial ihres Ensembles in Erinnerung rufen. Stimmlich wird die Neuproduktion den hohen Anforderungen des Stücks vollauf gerecht. An der Spitze rangiert Maria Kataeva als eine Rosina mit Ausstrahlung und einem sinnlich tönenden Mezzo. Kräftige Akzente verleiht Leonardo Ferrando mit seinem kultivierten Tenor der Partie des Grafen Almaviva. Stimmlich und darstellerisch quicklebendig gestaltet Emmet O’Hanlon mit seinem taufrischen Bariton die Titelrolle. Pablo Ruiz als Bartolo und Sami Luttinen als Basilio bleiben den beiden Basspartien nichts an stimmlicher Substanz und Spielfreudigkeit schuldig und selbst die kleine Rolle der Berta ist mit Anke Krabbe hochwertig besetzt.

Marie Jacquot dirigiert behutsam und sängerfreundlich, ohne Rossinis Musik zum Glühen zu bringen, was immerhin eine sehr kultivierte Interpretation garantiert, zumal es den Düsseldorfer Sinfonikern nach der langen Pause angesichts der filigranen Anforderungen der fein gestrickten Partitur streckenweise noch an der gewohnten Präzision im Zusammenspiel fehlt. Zumindest in der Premiere.

Regisseur Maurice Lenhard deutet Rossinis Liebeskomödie aus einer Perspektive, in der die Menschen das Bewusstsein und Gespür für echte Liebesgefühle verloren haben. Liebesbeziehungen stellen sich für ihn im Barbier als Hülsen konventioneller Gewohnheiten dar, verbunden mit viel egoistischer Berechnung und sozialem Druck. Bartolo sieht Rosina als Geldquelle an, Rosina verliebt sich in den Grafen, um aus dem häuslichen Gefängnis ausbrechen zu können, der Graf lässt sich von der Attraktivität Rosinas blenden und Figaro macht sich als geschickter Kuppler unentbehrlich. Für wahre Gefühle bleibt da kein Platz. Wie brüchig die Liebe zwischen dem Grafen und Rosina letztlich ist, zeigen Beaumarchais und Mozart in der Fortsetzung des Barbiers mit der Hochzeit des Figaro.

Zusammen mit den Bühnenbildern von Malina Raßfeld und den Kostümen von Christina Geiger durchstöbert Lenhard das historische Arsenal diverser Liebes-Chiffren vom harfeschlagenden Orpheus über die flüchtige Traumfabrik Hollywoods bis in moderne digitale Scheinwelten. Der Graf tritt als Orpheus und in der Rüstung eines rettenden Ritters auf. Herzchen im Jugendstil, romantische Lohengrin-Schwäne und etlicher Zierrat aus der Liebesküche der Cyber-Realität sorgen für optische Abwechslung. Figaro tritt als Harlekin auf, wobei Lenhard die vieldeutige, hintergründige Rolle dieses Stars der Commedia dell’Arte unberücksichtigt lässt. So wie es ihm generell nicht gelingt, die Auswirkungen der emotionalen Brüche und Illusionen zumindest anzudeuten und die Fragwürdigkeit des Happy Ends bewusst zu machen. Was die Personenführung angeht, belässt es Lenhard stattdessen bei braven Arrangements und überflüssigen Gags.

Die optische Ablenkung durch die vielen Anspielungen auf diverse Zeiten, Kunstformen und Moden führt auch bei Lenhard zu keinem tieferen Verständnis als Claus Guths Versuch vor elf Jahren an gleicher Stelle, Rossinis Dauerbrenner ins Insektenreich zu verlagern. Rossinis Barbiere di Siviglia ist und bleibt eine menschliche Geschichte, der man am besten gerecht wird, wenn man sie so subtil und einfühlsam inszeniert, wie man es mit der Fortsetzung, also Mozarts Le Nozze di Figaro, tun sollte.

Gleichwohl darf man endlich auch in Düsseldorf echte Theaterluft schnappen und das auf einem vokal sehr hohen Niveau. Das Publikum reagiert entsprechend begeistert.

Pedro Obiera