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ALBINO SPERLING
(Arie Jaspers et al.)
Besuch am
7. Februar 2025
(Premiere)
Der Sperling oder Spatz ist ein Singvogel. In Deutschland ist vor allem der Haussperling als Kulturfolger in den Großstädten anzutreffen. Das Gefieder ist bei den meisten Arten – acht Gattungen mit 43 Arten sind bekannt – braun, grau oder rötlichbraun. Selten gibt es weiße Sperlinge. Dabei handelt es sich um eine Defekt-Mutation. Man spricht von Leuzismus, einem Mangel an Melanozyten, der allerdings nichts mit der Stoffwechselerkrankung Albinismus zu tun hat. Die weißen Sperlinge haben eine deutlich geringere Überlebenschance als ihre Artgenossen, weil sie schneller für ihre Fressfeinde erkennbar sind. Von jeher neigt der Mensch dazu, Tieren in besonderen Erscheinungsformen auch eine besondere, oft auch mythische Bedeutung zuzuschreiben. Wenn also ein „Albino-Sperling“ vor dem Vollmond auftaucht, muss etwas Besonderes im Gange sein.
Foto © Michael Zerban
Das sieht wohl auch Gianni Sarto, künstlerischer Leiter vom Theaterlabor Traumgesicht, so und hat ein junges Ensemble aus Köln nach Düsseldorf-Golzheim eingeladen, um das selbstgeschriebene Stück Albino Sperling nach einer konzeptionellen Idee von Jonas Buiting zu zeigen. Es geht um nichts Geringeres als die Apokalypse. „Gesichtslose Egos“ haben entschieden, sämtliche aktive Atomraketen zur selben Zeit zu starten und somit unweigerlich das Aussterben des Menschen zu besiegeln. Die Vorstellung einer Apokalypse ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Gibt es also alten Wein in neuen Schläuchen, oder haben die jungen Leute das Rad neu erfunden? Die Entscheidung mögen die Zuschauer selbst treffen. Hier jedenfalls werden drei Paare gezeigt, die sich „auf dem Balkon irgendeines Lofts in irgendeiner Großstadt in irgendeinem Land“ versammeln, um dort die Zeitspanne zu verbringen, die verbleibt, ehe die Raketen einschlagen. Es geht nicht darum, die Welt zu retten – das Ende ist unausweichlich. Also nutzen sie die letzten Minuten ihres Lebens, um sich ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer hypothetischen Zukunft zu stellen. Erschwert wird das durch den Umstand, dass sie offenbar noch mit den Folgen einer exzessiven Party zu kämpfen haben. Mit anderen Worten: Sie sind ziemlich verkatert. Es ist also weniger die Zeit für – sinnlosen – Aktionismus, sondern mehr für tiefschürfende Fragen, die dem alkoholverseuchten Gehirn entspringen. Leitmotivisch wird immer wieder der Albino-Sperling zitiert, der vor dem Mond gleitet.
Foto © Michael Zerban
Die Regie hat Arie Jaspers übernommen. Noch keine 30 Jahre alt, stellt der Schauspieler, Dramatiker und Regisseur aus Köln damit seine zweite abendfüllende Theaterarbeit vor. Entstanden ist das Stück vor dem Hintergrund von Gedanken fehlender Menschlichkeit und der Angst vor einem neuen „Kalten Krieg“. Trotzdem geht es hier nicht um die Generalabrechnung mit den Politikern dieser Welt, sondern es passiert glaubwürdig genau das, was wohl allen Menschen in dieser Situation widerfahren wird. Sie stellen sich die Fragen zu ihrem eigenen Leben. Beständig verknüpft mit der aberwitzigen letzten Hoffnung, die sich in der Überlegung äußert, was wäre, wenn man selbst der letzte Überlebende der Katastrophe wäre. Jaspers zeigt eine überraschend ausgereifte Arbeit, die zudem ganz ohne Musik auskommt. Zusätzlich zur Guckkastenbühne, auf der ein paar Stühle und Tische, ein dekoratives Klavier, auf dem auch mal ein paar Töne geklimpert werden, und ein Infusionsständer Platz finden, hat er ein Podium in der Mitte des Zuschauerraums eingerichtet. Die Stühle sind in schrägen Reihen aufgestellt, so dass auch das Geschehen auf dem Podium gut sichtbar bleibt.
Jaspers hat mit dem Ensemble leichtes Spiel. Professionelle Spielfreude beherrscht das Geschehen. Die Akteure sind in drei Paare aufgeteilt, die sich zwar in Intermezzi auf dem Mittelpodium treffen, ansonsten aber getrennt agieren. Jaspers selbst als Eike spielt mit Alexandra Suhr als Xenia nicht zum ersten Mal zusammen. Das schafft Vertrautheit und Überzeugungskraft. Die beiden anderen Paare stehen dem nicht nach. Natascha Buck bietet sich als Tessa mit Justus Bialojahn als Usher manches Wortgefecht, Sophie Schlüter als Sacha und Cem Bingöl als Iwo vervollständigen das fantastische Ensemble. Dass die Anfangsbuchstaben der Vornamen das Wort Exitus ergeben, ist ein kleiner, aber netter Einfall am Rande. Ansonsten gibt es eine kräftig gewürzte Sprache, die aber nicht vor Tiefe zurückschreckt. Dass trotz der ernsthaften Thematik durchaus hier und da ein Schmunzeln entsteht, trägt durchaus erfrischend zum Gesamterlebnis bei.
In anderthalb Stunden bietet das in jeder Hinsicht überzeugende Ensemble neues Theater, wie man es sich wünscht. Fern jeder Ideologie kann man sich auf die ernsthaften Fragen des Lebens einlassen und durchaus ein wenig schockiert sein, wenn am Ende des Stücks grelles Licht das Ende der Welt verkündet.
Eile ist jetzt für diejenigen geboten, die sich am kommenden Sonntag um 15.30 Uhr die Folgevorstellung ansehen wollen, um noch Karten zu ergattern.
Michael S. Zerban