O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Ludwig Olah

Aktuelle Aufführungen

Taminos Fantasy-Welt

DIE ZAUBERFLÖTE
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Gesehen am
5. April 2021
(Premiere am 1. November 2020/Stream)

 

Semperoper Dresden

Ein Mensch wie du“, antwortet Papageno auf die Frage Taminos, wer er sei. Tamino antwortet auf die Gegenfrage, dass er „aus fürstlichem Geblüte“ stammt. So wird gleich zu Beginn deutlich, dass der Vogelfänger Papageno bereits das ist, was Tamino erst noch werden muss: ein Mensch. Humanität heißt also das Ziel. Und so hehr das Ziel, so humorvoll-menschlich-spielerisch ist der Weg dorthin. Den beschreibt das Libretto mit vielen Prüfungen, mit der Hölle Rache und der süßesten Liebe, mit tanzenden Tieren und wundersamen Knaben, bis Tamino und Pagageno schließlich ihr Ziel glücklich erreichen. Die Zauberflöte, 1791 in Wien als letzte Oper Wolfgang Amadeus Mozarts zehn Wochen vor seinem Tode uraufgeführt, steht einerseits ganz in der Tradition des Alt-Wiener Zaubertheaters. Andererseits ließen sich Mozart und sein Librettist Emanuel Schikaneder auch vom aufklärerischen Gedankengut der Freimaurer inspirieren; und schufen so eine Mischung aus Kasperl-Unsinn und Freimaurer-Tiefsinn, unzeitgemäßer Misogynie und tiefster Menschlichkeit mit schlichtweg himmlischer Musik, die Die Zauberflöte zu der generationenübergreifenden Erfolgsoper werden ließ, die sie heute noch ist. Gerne wird Mozarts Zauberflöte als ein Werk gesehen, dass Kinder den Einstieg in die Welt der Oper erleichtern soll, und das familientauglich sein soll, also ein Erlebnis für Jung und Alt vermitteln soll. Doch taugt die Zauberflöte als märchenhaftes, kindgerechtes Erleben? Sie ist einerseits Urtheater, andererseits aber auch urkomisch. Was ist nicht alles schon in die Zauberflöte hineininterpretiert worden. Von ägyptischen Hieroglyphen bis zu Mysterien-Theorien der Freimaurer wurde alles analysiert und interpretiert, was Wissenschaft heute möglich macht. Aber kann darin denn wirklich der Sinn und Wert der Kunst Mozarts liegen? Verfehlt man so nicht gerade die spielerische Leichtigkeit, mit der in seinen Opern immer wieder alles und doch nichts zur Sprache kommt?

Am Anfang steht eine Aufgabe, der Weg besteht aus Prüfungen, das Ziel ist Reife – und Liebe. Ist es ein Märchen? Oder eine Parabel? Oder doch das geheime Testament der Freimaurer? Eine zentrale Rolle spielen die für Tamino zunächst verschlossenen Tempel der Natur, der Weisheit und der Vernunft. Um sie entfaltet sich der das ganze Werk durchziehende Antagonismus der Welten von Sarastro und Königin der Nacht. Ein Antagonismus, der sich erst mit erfolgreich bestandener Feuer- und Wasserprobe erschließt. In Dresden stand nun nach der jahrelang erfolgreichen Produktion von Achim Freyer eine Neuinszenierung der Zauberflöte auf dem Programm in der Regie von Josef E. Köpplinger, dem langjährigen Intendanten des Münchner Gärtnerplatztheaters. Ende Februar 2020 hatte er an der Semperoper mit der Großherzogin von Gerolstein ein erfolgreiches Regiedebüt gegeben, und seitdem war jede geplante Neuproduktion der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Und einen Tag vor dem nächsten Lockdown, nämlich am 1. November 2020, konnte die Inszenierung dann doch vor etwas mehr als 300 Zuschauern Premiere feiern. Das wars dann auch schon wieder, seitdem sind die Theater wieder verschlossen, und lediglich Live-Streams ohne Zuschauer sind möglich. Die Semperoper hat nun diese Neuinszenierung aufgezeichnet und am Ostermontag nachmittags familiengerecht als Stream angeboten.

Köpplinger erzählt die Zauberflöte aus der Sicht eines Teenagers, dem jungen Tamino. Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden, eine Geschichte von Abenteuer, Freundschaft und Prüfungen. Köpplinger bedient sich sowohl der Elemente der kindlichen Märchenwelt als auch der modernen Fantasy-Welt von Teenagern und jungen Erwachsenen, wie sie in den Marvel-Comics auf der ganzen Welt gelesen werden. Und diese Verbindung schafft ein generationenumspannendes Band und macht diese Inszenierung zu einem abenteuerlichen Opernerlebnis für Jung und Alt. Zu den Klängen der Ouvertüre ist die Bühne leer, ein Junge im Teenageralter, in Pullover mit Jeansweste und Holzfällerhemd läuft suchend über die Bühne, während sich von der Decke ein Sternenhimmel herabsenkt. Es erscheint ein blau illuminiertes Seil von der Bühnendecke, kurz darauf ein zweites, goldfarbenes von der anderen Seite. Der Junge hält beide Enden in der Hand, als wolle er sie verbinden. Dann erscheinen Sonne und Mond gemeinsam von der Bühnendecke, während schwarzgekleidete Gestalten dem Jungen die Seile wieder entwenden und Sonne und Mond wieder verschwinden. Während die fast unsichtbaren Gestalten mit den beiden Seilen einen wilden Tanz auf der Bühne aufführen und den Jungen über die Bühne jagen, wird im Hintergrund eine Steinwüste projiziert, aus der ein Baum wächst. Der Junge verschwindet hinter der Seitenbühne, um kurz darauf als erwachsener Prinz Tamino zurückzukehren, womit die eigentliche Handlung der Zauberflöte beginnt.

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Tamino ist erwacht, und aus den beiden leuchtenden Seilen ist eine veritable Schlange geworden, die es auf den Prinzen abgesehen hat. Doch zeitgerecht erscheinen die drei Damen, Abgesandte der Königin der Nacht, und verhindern mit ihren Kleinkalibergewehren Schlimmeres. Die schwarzen Kostüme der drei Damen scheinen dem Setting aus Game of Thrones entliehen zu sein. Überhaupt sind die Kostüme in so unterschiedlichen Designs und Zeiten ein echter Hingucker, da hat Dagmar Morell ganze Arbeit geleistet. Es geht aber auch bunt und schrill. Papageno, im Outfit eines Vorstadtpunkers mit grünen Federn, schwebt auf einem Vogelapparat von der Bühnendecke ein. Der bunte Riesenvogel legt dann noch schnell mal ein Riesenei, bevor er wieder gen Bühnendecke verschwindet. Und so entwickelt sich die bekannte Geschichte in einem von Walter Vogelweider konzipierten Bühnenbild, das in erster Linie von wandelbaren Räumen und Projektionen lebt, mit unterstützendem Lichtdesign von Fabio Antoci. So sieht man während der Bildnisarie des Tamino in der Projektion einen stilisierten Mädchenkopf. Auch der Auftritt der Königin der Nacht wird nicht nur musikalisch ein Ereignis. Das Kostüm könnte einem aufwändig produzierten Fantasyfilm entliehen sein, aber auch die Maske hat hier großartige Arbeit geleistet und verleiht ihr die Aura einer totbringenden Eiskönigin. Pamina ist das genaue Gegenteil und passt vom Outfit mehr zu Papageno als zu Tamino. Mit pinkfarbenem Haar, Glitzersteinen im Gesicht, Gothic-Kleid und schwarzen Punkerstiefeln hat sie mehr was vom „enfant terrible“ als von einer Prinzessin. Im Duett mit Papageno pumpert im Hintergrund ein virtuelles Herz. Sollte da etwa mehr gehen zwischen den beiden als gemein angenommen? Nein, darauf achten schon die drei Knaben, mit hochtoupierten weißen Perücken, hellen Blazern und Shorts, die sich nur durch die Farben ihrer Socken und T-Shirts unterscheiden. Und dann gibt es ja noch Monostatos, den Schergen Sarastros, der seine eigenen Gefühle für Pamina entwickelt. Auch er scheint aus einem berühmten Film entsprungen zu sein, nämlich als Kurgan im legendären Highlander-Film. Seine Art zu spielen ähnelt dem Filmbösewicht, doch statt eines Schwertes schwingt er eine Peitsche. Eine besondere Erscheinung ist Sarastro mit dunklem Anzug und weißem Mantel, schwarzen Handschuhen und einer Art Mozartperücke, um den Hals hängt ihm der mächtige Sonnenkranz. Er ist die autoritäre Instanz, die das Heft des Handelns in der Hand hält und über das Schicksal des jungen Paares entscheiden wird. Zu den Prüfungen hat er den weißen mit einem schwarzen Mantel vertauscht, um zum strahlenden Finale wieder wie ein Hohepriester zu erscheinen. Großartig auch der Auftritt der beiden Geharnischten, die riesigen Puppen entsteigen. Während von der Bühnendecke immer wieder der Leitspruch „Vernunft – Natur – Weisheit“ erscheint, werden die Szenen durch Videoeffekte untermalt, die wandelbaren Räume sind teilweise wie ein Labyrinth illuminiert.

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Zum Spiel der leuchtenden Zauberflöte tanzen märchenhafte Tierfiguren, und richtig komisch wird es, wenn Papageno mit seinem Glockenspiel Monostatos und seine Schergen verzaubert. Besonders effektvoll werden die Prüfungen mit den Naturelementen dargestellt. Im Feuer verbrennt in der Projektion der Baum, der anfangs aus der Steinwüste gewachsen war, um aus dem Feuer wie ein Phönix neu zu erstehen. Zum Wasser scheint es eine Riesen-Tsunamiwelle zu geben, doch alles bleibt heil, es ist nur Effekt und Illusion. Der darbende Papageno, auf der Suche nach einer Papagena, wird am Schluss auch belohnt. Die vermeintlich alte Schreckschraube entpuppt sich als flotter Käfer im Federnkostüm. Und als die beiden dann ihr Duett singen und die vielen Papagenos und Papagenas preisen, die sie produzieren wollen, kommen unter lautem Kindergeschrei große laufende Vogeleier auf die Bühne. Ein herrliches Bild und ein köstlicher Einfall. Das große Finale im Tempel gehört zunächst Sarastro, der sich als gütig erweist und auch die Königin der Nacht nicht endgültig verdammt. Pamina und Tamino tragen nun weiße Mäntel, sie haben die Prüfungen bestanden und werden in die Gilde der Weisen aufgenommen. Köpplinger setzt da zum Schluss nochmal ein Ausrufezeichen, indem Sarastro den Sonnenkranz nicht an Tamino, sondern an Pamina weitergibt. Doch die beiden haben mit Tempelhüterei nicht viel am Hut. Die Mäntel werden ausgezogen, der Sonnenkranz obenauf geschmissen, und die beiden verlassen sehr zum Erstaunen Sarastros die Bühne. Und während sich der Bühnenvorhang schließt, kommt der Junge, der sich auch schon zu Beginn des zweiten Aufzuges im Tempel Sarastros befunden hatte, noch einmal auf die Bühne, schnappt sich Zauberflöte und Sonnenkranz, und bleibt alleine vor dem geschlossenen Vorhang zurück. Und so endet nach exakt zweieinviertel Stunden reiner Spielzeit eine bunte, flotte und witzig ironische Zauberflöte, die vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen dürfte. Trotz der vielen Effekte und optischen Hingucker bleibt die stringente Personenführung nicht auf der Strecke, da hat Köpplinger die unterschiedlichen Beziehungsebenen der Protagonisten gut ausgeleuchtet und miteinander verbunden. Durch die Einbeziehung der stummen Rolle des jungen Tamino wird die Perspektive auf das Geschehen erweitert, und die Handlung lässt auch dann einen überraschenden Schluss wie in dieser Inszenierung zu.

Die Aufführung ist auch musikalisch und sängerisch, mit ganz wenigen Einschränkungen, ein Genuss. Allen voran die junge Sopranistin Nikola Hillebrand, die als Königin der Nacht begeistert. Mit dieser Partie hat sie bei der Premiere ihr Rollendebüt gegeben. Ihre beiden Arien singt sie technisch brillant, die Koloraturen sind makellos, die Höhen dramatisch und ausdrucksstark. Ihre zweite große Arie Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen ist ein großes Opernerlebnis, jede Koloratur wird da zu tödlichem Stahl. Schade, dass kein Publikum im Saal ist, diesen Szenenapplaus hätte man gern erlebt.

René Pape hat in seinem Leben den Sarastro unzählige Mal in diversen Produktionen auf der ganzen Welt gesungen. Neben dem Gurnemanz im Parsifal ist diese Partie sicher eine seiner Lebensrollen. Und nun hat er auch das Lebensalter, um die Reife und die Weisheit eines Sarastros ohne gekünstelte Phrasierungen darzustellen. Er beeindruckt mit kräftigem, sonorem Bass und aristokratischer Ausstrahlung. Seine große Arie In diesen heiligen Hallen gerät zu einem der musikalischen Höhepunkte des Abends, die Pape wie ein Gebet in einem Hochamt zelebriert.

Bei Klaus Florian Vogt als Tamino scheiden sich allerdings die Geister. Sein jahrelanger Wagner-Gesang hat Spuren hinterlassen, und mit 50 Jahren verfügt er nicht mehr über einen geschmeidigen Mozarttenor mit Schmelz und Grandezza. Seine Stimmführung ist eher eng und eindimensional, wenig Nuancierung in Farbe und Tiefe. Auch sein Spiel ist ein wenig hölzern, so dass er manchmal wie ein Fremdkörper auf der Bühne wirkt. Schade, dass die Führung des Hauses die Partie nicht einem jungen lyrischen Tenor anvertraut hat, die Stimmen sind im Ensemble vorhanden. Evelin Novak überzeugt als kesse und tiefgründige Pamina mit glockenhellem Sopran und leuchtenden Höhen. Sebastian Wartig wird in der Rolle des Papageno zum Publikumsliebling. So kann er nicht nur seinen edlen Bariton wunderbar zur Geltung bringen, sondern auch seinem komödiantischen Talent freien Lauf lassen. Ihm zur Seite ist mit der Sopranistin Julia Muzychenko als Papagena eine Sängerin, die herrlich erfrischend jugendlich singt.

Menna Cazel, Anna Kudriashova-Stepanets und Michal Doron geben als die drei Damen ein stimmsicheres und stimmharmonisches Trio mit großem Spiel. Ludwig Haenchen, Anton Kempe und Errel Rodzinka sind Mitglieder des Dresdner Kreuzchores und beeindrucken mit ihren zarten, aber in den Höhen sicheren Sopranstimmen als die drei Knaben. Es ist schön, dass die Semperoper bei der Besetzung originalgetreu auf Knaben- und nicht auf Frauenstimmen zurückgreift. Der Tenor Aaron Pegram gibt den gescheiterten Monostatos mit kräftigen, ausdrucksstarken Höhen und engagiertem Spiel. Doğukan Kuran ist ein Erster Priester mit edler Ausstrahlung und seriösem Bass, während Gerald Hupach in der Rolle des Zweiten Priesters als sicherer Charaktertenor reüssiert. Jürgen Müller und Lawson Anderson fügen sich als die zwei Geharnischten mit voluminöser Stimmführung ohne Abstriche in ein großes und überzeugendes Sängerensemble ein.  Alexandros Stavrakakis als Sprecher verfügt zwar über einen edlen Bass, doch spricht er die kurze Rolle mit sehr starkem Akzent.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden überzeugt durch einen warmen, voluminösen Klang, der in Timbre und Klangfarben wunderbar mit den Farben der Bühne korrespondiert. Christoph Gedschold, Kapellmeister der Oper Leipzig, zeigt hier mal wieder sein breitgefächertes Können. Schon die Ouvertüre erklingt mächtig und spannungsgeladen, insgesamt ist das Dirigat differenziert, ohne ins Pathetische abzugleiten. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden, ist von André Kellinghaus gut eingestimmt. Am Schluss gibt es mangels Publikums für das ganze Ensemble warmen Applaus von den Orchestermusikern.

Mit dieser Aufführung hat Josef E. Köpplinger gezeigt, dass die Zauberflöte ein Werk für die ganze Familie und ideal geeignet ist, Opernanfänger oder ein junges Publikum an das Genre heranzuführen, ohne ein arriviertes Opernpublikum vor den Kopf zu stoßen. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis man sich die herrliche Inszenierung live in der Semperoper anschauen kann. Dafür ist der Stream noch bis zum 11. April auf der Website der Semperoper Dresden abrufbar.

Andreas H. Hölscher