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Tragödie eines Narren

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)

Gesehen am
2. Mai 2020
(Stream)

 

Semperoper, Dresden

Die Sächsische Staatsoper Dresden setzt Ihre Übertragungsreihe „Semperoper zuhause“ mit einem Stream von Verdis Rigoletto in der Premierenbesetzung vom Juni 2008 fort Der vor knapp fünf Jahren verstorbene Altmeister und Regisseur Nikolaus Lehnhoff führt das Publikum mit gesellschaftskritischem Zeigefinger in die psychologischen Abgründe einer verkommenen und dekadenten Gesellschaft. Sein Rigoletto ist die bizarre Tragödie eines Ausgestoßenen, dessen Vorstellungen von Moral und Ehre nur für seine im Versteck lebende Tochter Gilda gilt, aber nicht für sein übriges Handeln als willfähriger Komplize des Herzogs von Mantua. Ein Außenseiter, der seine Mitmenschen manipuliert und seine Welt inszeniert wie ein Regisseur. Gewalt und Vergewaltigung beherrschen die Szene am Hofe, während er seine bildhübsche Tochter Gilda vor dieser verkommenen Welt abschirmen und schützen will. Sein Privatleben versucht er zu verbergen, und seine Tochter stilisiert er zu einem überhöhten Engel, der nie erwachsen werden soll. Rigoletto ist bei Lehnhoff ein giftiger Zyniker, in dessen Mittelpunkt eine kranke Seele steckt. In seiner kleinen Welt zuhause mimt er den liebevollen Vater, der seine Tochter Gilda genau vor den Abgründen dieser anderen Welt bewahren will. Doch Gilda lebt, genau wie Rigoletto, in einem Gefängnis, aus dem es vordergründig kein Entrinnen gibt. Erst ihre erwachte, fatale Liebe zum Herzog lässt sie ihrer Welt entfliehen in ein unabwendbares tödliches Schicksal. Und Rigoletto, blind vor Rache, zerstört sein Leben durch den Opfertod Gildas.

Rigoletto ist ein Ausgestoßener der Gesellschaft, der, von Minderwertigkeitskomplexen geplagt, um Anerkennung buhlt und sich so zum willfährigen Helfershelfer des Herzogs anbiedert. Der Herzog wiederum ist ein Schönling, ein Frauenverführer und Despot, der sich nimmt, was er will und vernichtet, was er nicht mehr braucht.

Zwischen diesen polarisierenden Extremen ist die Figur der Gilda als einsame, das Leben nicht kennende, junge Frau angelegt, die von Rigoletto gleich einer Ikone erhöht wird. Lehnhoff gelingt es, diese Doppelbödigkeit durch eine geschickte Personenregie in dem Dreiecksgeflecht Rigoletto – Gilda – Herzog auf eine erschütternde Weise herauszuarbeiten. Unterstützt wird er dabei durch das Bühnenbild von Raimund Bauer, das die tiefen Klüfte zwischen den Gesellschaften auch optisch hervorhebt. So ist der Palast des Herzogs ein schwarzes Kabinett, idealer Schauplatz für bizarre Lust und frönende Gier. Die laszive Gesellschaft, in den zum Teil grotesk anmutenden Kostümen von Bettina Walter, ist mit exotischen Tier- und Insektenköpfen als Nachtgeschöpfe einer sich selbst überlassenen Unterwelt dargestellt. Rigoletto, in seinem giftgrünen Narrenkostüm, ist in dieser Gesellschaft deplatziert und unerwünscht. Dagegen ist die Kammer Gildas in ein helles Nachtblau gefärbt, als Ausdruck der Sehnsucht nach Liebe und Befreiung aus dieser Enge. Das tiefe Rot im Hause Sparafucile symbolisiert das mörderische Komplott und das finale Schicksal. Unterstützt werden diese plakativen Bilder durch das geschickte Lichtdesign von Paul Pyant und die Choreografie von Denise Sayers.

Die Inszenierung wird aber erst durch die großartige stimmliche und darstellerische Präsenz des Sängerensembles zu einem Großereignis. Der Bass-Bariton Zeljko Lucic spielt seinen wuchtigen Bass-Bariton in der Rolle des Rigoletto in jedem Moment aus. Sein beißender Spott gegenüber den Höflingen, seine rührende Vaterliebe, seine Verzweiflung beim Anblick seiner sterbenden Tochter, Lucic zeigt alle Facetten dieser Rolle und durchlebt sie in großer Intensität. Berührend seine Zärtlichkeit in der Stimme, wenn es um seine Tochter Gilda geht, gleichzeitig aber auch die Verachtung im Ausdruck gegenüber dem Herzog und seinen Höflingen. Die Sopranistin Diana Damrau legt die Partie der Gilda zart und im Piano liegend an, mit warmem Klang, sicherer Tessitura und begeisternden Höhen. Ihr Wandel von der eingesperrten Tochter zur jungen Frau, die sich für ihre vermeintliche Liebe opfert, gelingt ihr eindrucksvoll und mit anrührender Emotionalität. Ihre Arie Caro nome singt sie intensiv mit dramatischem Anklang und erhält dafür reichlich Szenenapplaus. Verletzlich ist ihr Spiel und berührend die Duette mit Zeljko Lucic. Juan Diego Flórez gibt den Herzog von Mantua als unwiderstehlicher Frauenverführer par excellence mit italienischem Schmelz, sicheren Höhen und starkem Ausdruck. Seine Auftrittsarie Questa o quella singt er mit schlanker Stimmführung und glanzvoller Tessitura, sein La donna è mobile erfüllt alle Erwartungen, die man an die wohl bekannteste Arie der italienischen Opernliteratur stellt. Georg Zeppenfeld überzeugt als Sparafucile mit dämonischem Bass und gelungenem Spiel.

Christa Mayer als Maddalena ist mit ihrem tiefen Mezzosopran und laszivem Spiel sowohl stimmlich als auch optisch der perfekte Kontrast zu Damrau, was wiederum auch mit dem Inszenierungskonzept von Nikolaus Lehnhoff gut harmoniert. Barbara Hoene gefällt als verschlagene Giovanna, und Markus Marquardt, der die Titelpartie einige Jahre später in Dresden gesungen hat, gibt den Conte di Monterone mit markantem Bass. Oliver Ringelhahn als Borsa Matteo, Markus Butter als Conte di Ciprano und Kyunghae Kang als Contessa Cipriano komplettieren an diesem Abend ein formidables Sängerensemble. Auch der Staatsopernchor, hervorragend eingestimmt von Ulrich Paetzholdt, trägt zum hervorragenden musikalischen Gesamteindruck der Aufführung maßgeblich bei. Klar ist die Führung der einzelnen Stimmgruppen, die sich dann zum typischen Verdi-Klang mischen.

Die sächsische Staatskapelle Dresden wird an diesem Abend von Fabio Luisi sicher durch die Partitur geleitet. Schon die ersten Takte der Ouvertüre kündigen die Spannung und die Dramatik des Momentes an, und die Staatskapelle musiziert gewohnt präzise und erzeugt den besonderen Farbenklang Verdis. Luisi arbeitet präzise die Nuancen und Stimmungen heraus, sein Verdi ist kraftvoll und voller Zug, die Konturen der einzelnen Partien werden mit großem Fingerspitzengefühl gezeichnet, und die Sänger werden von ihm wunderbar begleitet. Insbesondere Damrau wird von ihm in ihren Piano-Stellen getragen.

Während das Publikum teilweise verhaltenen Szenenapplaus spendet, gibt es am Schluss doch großen Jubel für alle Beteiligten, insbesondere die Hauptprotagonisten, Orchester und der Dirigent werden gefeiert. Am kommenden Wochenende setzt die Sächsische Staatsoper ihre Reihe „Semperoper zuhause“ mit einem Stream der Oper Arabella von Richard Strauss fort, einer Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen 2014.

Andreas H. Hölscher