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Aktuelle Aufführungen

Essenz statt Opulenz

MADAMA BUTTERFLY – KONZERTANTE AUFFÜHRUNG
(Giacomo Puccini)

Besuch am
26. September 2020
(Premiere)

 

Semperoper, Dresden

Nach der Corona-bedingten Pause ist die Semperoper wieder da, natürlich mit einem völlig neuen Konzept, um die geltenden Hygienevorschriften umsetzen zu können. Maximal 330 Zuschauer dürfen eine Vorstellung besuchen. Aber auch auf der Bühne gibt es deutliche Einschränkungen. Angesichts der Hygiene- und Abstandsregeln wird eine Opern-Aufführung nun nicht mehr als eineinhalb Stunden dauern. Dazu werden Opernwerke auf wesentliche Arien und Ensembles reduziert, um sie in konzertanter oder halbszenischer Kurzfassung sowie in verkleinerter Besetzung auf die Bühne zu bringen. Zugleich sollen Licht und Video-Produktionen für eine gewisse Stimmung sorgen. Die Sänger müssen Intendant Peter Theiler zufolge einen Mindestabstand von sechs Metern einhalten. Sie tragen Kostüme, die bei 60 Grad waschbar sein müssen. Vor dem Orchestergraben gibt es eine Demarkationslinie, damit Solisten auf Distanz bleiben. Der Chor darf in voller Stärke nicht auf die Bühne, wird bei Bedarf in kleinerer Besetzung von der Probebühne aus zugeschaltet.

Das Ganze fungiert unter dem Titel Semper Essenz statt der sonst üblichen Opern-Opulenz. Laut Theiler werde die Fokussierung auf die „Essenz der Werke“ für neue und ungewohnte Seh- und Hörerlebnisse in der Semperoper sorgen. Konzertant aufgeführt werden in der Reihe Semper Essenz beispielsweise die Puccini-Opern Madama Butterfly und Tosca sowie Eugen Onegin von Tschaikowski, außerdem Rossinis Barbier von Sevilla, Mozarts Die Entführung aus dem Serail und Don Giovanni.

Foto © Klaus Gigga

Nun also Essenz statt Opulenz. Der Duden definiert den Begriff Essenz als das Wesentliche einer Sache, den Kern. Übertragen auf die Aufführung der Madama Butterfly bedeutet das eine Konzentration auf die wichtigsten musikalischen und gesanglichen Ausschnitte des Werkes, die man in 90 Minuten ohne Pause auf die leere Bühne bringen kann, denn es gibt weder Bühnenbild noch Kostüme. Das hört sich leicht an, ist aber eigentlich die Quadratur des Kreises, wenn man dem Werk und auch dem Publikum gerecht werden und nicht nur einfach Nummern aneinanderreihen will.

Puccinis japanische Tragödie Madama Butterfly ist die Charakterstudie einer jungen Frau, die sich um der Liebe willen von alten Traditionen und Werten trennt, um am Ende doch bitter erkennen zu müssen, dass alles Warten auf den Geliebten vergebens war und sie willfähriges Opfer einer fremden Kultur geworden ist. Wenn ein eingängiges Bühnenbild und eine gute Personenregie fehlen, können die Gefühle und Emotionen nur durch die Musik und den Gesang übertragen werden. Und das gelingt an diesem Abend in Vollendung, frei von allen Zwängen, die Regie und Bühne sonst den Sängern auferlegen.  Allen voran Hrachuhí Bassénz als Cio-Cio-San mit einem furiosen Rollendebüt. Sie verkörpert die Rolle der Madama Butterfly voller Leidenschaft und Emotionen. Die lyrischen Momente singt sie innig und teilweise mit zartem Piano, die dramatischen Ausbrüche und die strahlenden Höhen sind bravourös. Ihr geschmeidiger Sopran ist ideal für Puccinis Klangbild, da gibt es keine Brüche im Wechsel von Höhen und Tiefen. Zu Recht erhält sie langanhaltenden Szenenapplaus nach ihrer großen Arie Un bel di vedremo. Auch in dem großen Liebesduett im ersten Akt harmoniert ihre Stimme wunderbar mit dem ebenfalls ausdrucksstarkem Tenor von Jonathan Tetelmann in der Rolle des B. F. Pinkerton. Sein strahlender Tenor übertönt das Orchester mit Leichtigkeit, die Höhen kommen mit scheinbarer Leichtigkeit, erzeugen dabei wohlklingende Phrasen. Sowohl das Liebesduett im ersten Akt als auch das Abschiedslied im dritten Akt vollenden das wunderbare Gesangsbild. Die herzzerreißenden Schlussrufe Pinkertons von der Hinterbühne sind erschütternd und veredeln ein grandioses Finale.

Foto © Klaus Gigga

Christa Mayer als Suzuki beeindruckt mit einem warmen, tiefen Mezzosopran, der sich im Duett mit Hrachuhí Bassénz‘ Sopran wunderbar mischt. Christoph Pohl gibt den Konsul Sharpless mit einem ausdrucksstarken warmen und wohlklingenden Bariton, der für die verratene Cio-Cio-San fast väterliches Mitgefühl entwickelt. Aaron Pegram verkörpert die undankbare Rolle des schmierigen Goro mit starkem Charaktertenor. Alexandros Stavrakakis als Onkel Bonzo lässt mit markigem Bass aus der Proszeniumsloge aufhorchen, und Anna Kudriashova-Stepanets als Kate Pinkerton fügt sich nahtlos in ein homogenes Klangbild ein.

Giampaolo Bisanti lässt Puccini so spielen, wie man ihn sich wünscht. Sanft verhaltene Klänge bis hin zu hochdramatischen Rubati-Bögen erklingen aus dem Orchester, die Streicher spielen melodisch zart, und Bisanti führt das Orchester schwungvoll und leidenschaftlich mit vollem Körpereinsatz. Immer wieder dreht er sich zu den vor ihm stehenden Solisten um, singt lautlos und atmet mit ihnen, strahlt sie an, als wollte er seine ganze positive Energie auf sie übertragen. Und das gelingt ihm nicht nur bei den Solisten, sondern auch beim Publikum. An diesem Abend wird die Musik Puccinis fühlbar, und somit übertragen sich die Emotionen aus dem Orchester auf das Ensemble und das Publikum. Der Chor, einstudiert von André Kellinghaus, fügt sich harmonisch aus der Hinterbühne in den musikalischen Klangkörper ein, eindrucksvoll dabei der Summ-Chor im nächtlichen Zwischenspiel.

Die gut 90 Minuten sind leider zu schnell vorbei. Die 330 Zuschauer, die dieser Vorstellung beiwohnen durften, danken es mit langanhaltendem Applaus und Jubel. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Opernessenz, die sich ganz auf die Musik und den Gesang fokussiert hat. Zwar gab es keine Opulenz in der Ausstattung, dafür aber reichhaltig an Stimme und Gefühl. In diesen schwierigen Zeiten auch eine Möglichkeit, sich wieder auf das für viele Menschen Wesentliche einer Oper zu konzentrieren: die Musik und den Gesang.

Andreas H. Hölscher