O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Idylle und Heros

DRITTES SYMPHONIEKONZERT
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
18. Oktober 2020
(Premiere)

 

Semperoper Dresden

Es ist eine interessante und spannende Kombination von Beethoven-Symphonien, die Christian Thielemann und seine Sächsische Staatskapelle Dresden auf den Spielplan gebracht haben und damit den zum Auftakt des Beethoven-Jahres begon­nenen Zyklus seiner Symphonien fortsetzen. Die Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68, die Pastorale, wird nicht mit der gemeinsam uraufgeführten Symphonie Nr. 5 gespielt, sondern mit der folgenden Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92, und das unter den strengen Corona-Auflagen und ohne Pause.

Dass Beethoven die Natur liebte und entsprechende lange Spaziergänge unternahm, ist bekannt und überliefert. Ob aber Ludwig van Beethoven seine Sechste wirklich am Ufer des Schreiberbach zwischen den Wiener Vororten Nußdorf und Grinzing komponierte, während er dort das bunte Treiben der Wachteln, Nachtigallen und Kuckucke beobachtete, ist eher in den Bereich der Legendenbildung anzusiedeln. Zwar vertonte Beethoven die Rufe dieser Vögel im zweiten Satz dieser Symphonie, dennoch mag das kein klarer Beweis für die Echtheit dieser Überlieferung sein. Obwohl Beethoven die inhaltliche Aufladung von Kompositionen im Sinne heutiger Programmmusik stets kritisierte, überschrieb er die ersten Skizzen der Pastorale mit „Sinfonia caracteristica“ und später mit „Sinfonia pastorella“, das fertige Werk schließlich mit „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“. Entstanden ist die Pastorale in den Jahren 1807 bis 1808, nahezu zeitgleich mit seiner fünften Sinfonie.

Die Pastorale ist im Übrigen die einzige Symphonie Beethovens, die aus fünf statt vier Sätzen besteht.  In diesen fünf Sätzen werden von Beethoven verschiedene Eindrücke einer ländlichen Umgebung musikalisch dargestellt. Alle fünf Sätze fügen sich im Gesamtzusammenhang zu einem einheitlichen Bild, von dem Beethoven selbst behauptete, es habe „mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“. Den ersten Satz überschrieb er mit „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, der zweite Satz stellt eine „Szene am Bach“ dar. Die direkt ineinander übergehenden Sätze drei, vier und fünf sind mit den Zusätzen „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“ sowie „Hirtengesang – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“ beschrieben. Diese Naturverbundenheit, die fast zu einem musikalischen Idyll stilisiert ist, ist vor allem im zweiten Satz omnipräsent, wenn in der Coda des zweiten Satzes Vogellaute durch die Instrumente imitiert werden und man die Geräusche eines Wanderers und das Murmeln eines Bachs zu vernehmen meint. Durch den geschickten Einsatz von Kontrabässen, Celli, Piccoloflöte und Violinen im vierten Satz ist das aufziehende Gewitter förmlich spürbar. Beethoven legte mit seiner Sechsten wohl eher unbewusst den Grundstein für eine neue musikalische Formsprache, die in der Programmmusik des 19. Jahrhunderts mündete und schließlich den Ausgangspunkt der Symphonischen Dichtung darstellte und auch Richard Strauss bei der Komposition seiner Alpensin­fonie inspiriert haben mag.

Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden betonen den idyllischen Charakter der Symphonie. Der erste Satz beginnt heiter in einem gemäßigten Tempo, bei dem Thielemann die Feinheiten und Nuancen herausarbeitet und Streicher und Bläser in einem harmonischen Zwiegespräch erklingen lässt. Der zweite Satz beginnt in einem zarten Piano, und die Töne der Natur, vor allem die Vogellaute, werden akzentuiert und fast schon etwas pointiert herausgearbeitet, so dass man als Zuschauer mit geschlossenen Augen wirklich das Gefühl bekommt, draußen in der Natur zu sein. Die Sätze drei bis fünf werden ohne Zwischenpause wie eine symphonische Dichtung gespielt. Das Tempo wird schneller, und das Zusammensein der Landleute wird durch den Einsatz der Hörner skizziert, wo man schon Wagners Schluss des ersten Aufzugs Tannhäuser heraushören möchte. Nun zieht auch Thielemann merklich an, im „Allegro“ des vierten Satzes dürfen die Blechbläser und Pauken sich einen Wettstreit liefern, es pfeift und trillert im Orchester, bis der Sturm und das Gewitter verebben und in das „Allegretto“ des fünften Satzes übergehen, der fast schon majestätisch und getragen wirkt und am Schluss mit einem Hymnus endet.

Als ob Thielemann den Musikern der Sächsischen Staatskapelle Dresden vor der Aufführung Beethovens Worte „mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey“ nochmal ans Herz gelegt hätte, ist der Gesamteindruck dieser sechsten Symphonie eine ausdrucksstarke und gefühlsbetonte Interpretation der Sätze.  Ob sanfte Heiterkeit oder aufwühlend stürmisch-energischer Tonfall, der Klang der Staatskapelle bleibt dabei stets transparent und ausgeglichen.

Es gibt nur eine kurze Umbaupause im Orchester, dann erklingt Beethovens Siebte, im Frühjahr 1812 vollendet und am 8. Dezember 1813 in Wien uraufgeführt, dem Jahr der Völkerschlacht von Leipzig und dem Geburtsjahr von Richard Wagner. Während die ersten sechs Symphonien kontinuierlich Jahr für Jahr entstanden, komponierte Beethoven die Siebte nach einer Pause von fünf Jahren, besser gesagt nach einer Zäsur, die er vor allem für die Komposition von Klavier- und Kammermusik nutzte. Und genau diese biografisch-künstlerische Zäsur ist gleichzeitig ein Fingerzeig auf das Werk. Sie verweist darauf, dass die Symphonie Nr. 7 anders ist als ihre Vorgängerinnen. In den Symphonien Nr. 3, 5 und 6 hatte er ein Sujet oder zumindest eine Grundidee gewählt, und nun kam mit der Siebten etwas völlig Neues: Mit dieser A-Dur-Sinfonie schuf Beethoven einen neuen Typ sinfonischer Komposition. Getreu seinem Vorsatz, „immer das Ganze vor Augen“ zu haben, notierte und entwickelte Beethoven von Beginn an seine Ideen für alle vier Sätze, die jeweils „ihre eigene rhythmische Gestalt“ besitzen. Rhythmisch gestaltet Beethoven seine Sinfonie nach einer Grundstruktur, die dem Ganzen eine geschlossene Wirkung und nicht zuletzt auch ihren Schwung verleiht. Beethoven selbst sagte über diese Symphonie Nr. 7 in A-Dur, sie sei eines seiner besten Werke. Wie stark gerade die A-Dur-Sinfonie auch schon in die Zukunft weist, zeigt ein kurzer Blick auf die Tonarten, auf Beethovens Umgang mit der Harmonik dieses Werkes. A-Dur als Grundtonart zöge nach den Regeln der Harmonik nicht unbedingt nach sich, dass weite Teile des Werkes in F-Dur stehen. Diese fremde Tonart F-Dur aber verleiht der Musik etwas Changierendes, einen klanglichen Reichtum, der prophetisch in die Romantik weist. Der Rhythmus des ersten Satzes veranlasste Richard Wagner, diese Symphonie als eine Apotheose des Tanzes zu bezeichnen. Wie der erste, so wird auch der zweite Satz vor allem vom Rhythmus bestimmt, doch er erscheint rätselhaft, geheimnisvoll. Der ganze zweite Satz ist eingefangen zwischen zwei Bläserakkorden, mit denen der Satz beginnt und endet, und der Blick in den Raum sich schließt. Der dritte Satz in F-Dur beginnt mit dem abgewandelten Thema der Einleitung und bildet mit seinem lebhaften Charakter einen Kontrast zum „Allegretto“. Der Satz endet abrupt mit einem einzigen Paukenschlag, was von Robert Schumann mit den Worten „Man sieht den Komponisten ordentlich die Feder wegwerfen“ beschrieben wurde.

Der Schlusssatz kommt schon mächtig extrovertiert rüber, voll sprudelnder Energie und Lebensfreude, der in einem jubelnden Taumel endet. Die Pauken geben den Rhythmus vor und peitschen das Orchester auf. Clara Schumanns Vater Friedrich Wieck mutmaßte, „daß diese Sinfonie nur im unglücklichen – im trunkenen Zustand komponiert sein könne, namlich der erste und der letzte Satz“. Und Carl Maria von Weber soll gesagt haben „Beethoven sei reif für das Narrenhaus.“

Diese Siebte steht natürlich vom Ausdruck und vom Tempo in einem starken Gegensatz zu der vorher gehörten Sechsten. Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle lassen diesen musikalischen Gegensatz spür- und hörbar werden. Majestätisch und dynamisch, aber nicht mit zu schnellem Tempo leitet Thielemann den ersten Satz ein. Das Heroische scheint das vorangegangene Idyll zu übertrumpfen, und Thielemann, der beide Symphonien ohne Partitur dirigiert, arbeitet jetzt mit vollem Körpereinsatz. Die sanfte Melancholie im „Allegretto“ wird durch die dunkle Tonfarbe der Streicher betont, die von Thielemann mit konzentriertem Blick fast schon fixiert werden. Ausdruck und Rhythmus werden immer stärker betont, das „Presto“ ist hier mehr als nur eine Vorgabe. Der Schlusssatz ist dann auch der krönende Höhepunkt, im „forte fortissimo“ sind es die dominanten Bläser, die sauber alles übertönen und den Zuschauer den Atem anhalten lassen. Die erlaubten 330 Zuschauer in der Semperoper jubeln zurecht über ein eindrucksvolles Konzert, in der zwei so unterschiedliche Symphonien eines Komponisten erklungen sind, mit einer Staatskapelle in Höchstform und einem Dirigenten, der diesen dynamischen und variablen Klangkörper mit großem körperlichen Einsatz alles abverlangt! Eine Verneigung auch vor dem großen Komponisten zu seinem 250. Geburtstag.

Andreas H. Hölscher