O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thomas Jauk

Aktuelle Aufführungen

Welttheater in der Wohnküche

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)

Besuch am
21. Mai 2022
(Premiere)

 

Theater Dortmund, Opernhaus

Das kann ja heiter werden, wenn Regisseur Peter Konwitschny bereits zum Auftakt seiner Dortmunder Neu-Inszenierung des kompletten Nibelungen-Rings auf Lacher an Stellen setzt, an denen es nichts zu lachen gibt. Die Premiere der Walküre stößt beim Publikum denn auch auf geteilte Reaktionen. Das szenische Team handelt sich sogar kräftige Buh-Rufe ein. In der Tat teilen sich Licht und Schatten brüderlich den fünfstündigen Abend, so dass nicht abzusehen ist, ob sich letztlich alle vier Teile der Tetralogie zu einem runden Ring fügen werden.

Konwitschnys lascher Umgang mit dem chronologischen Ablauf des Zyklus‘ weckt keine großen Hoffnungen. Er startet mit der Walküre und überspringt damit vorerst das Rheingold, in dem der mörderische Kampf um die Weltmacht und der lebensbedrohende Raubbau an der Natur ihren Ausgang nehmen. Der Versuch, die vier Werke isoliert als Einzelstücke zu inszenieren, ist schon in Stuttgart und Essen mit dem Engagement von jeweils vier Regisseuren gescheitert. Wagners visionäre Warnung vor den Exzessen einer lieblosen, Natur und Menschheit gefährdenden materialistischen Ideologie rückt Konwitschny von der Weltbühne in die Wohnküche. Gleich drei Küchenzeilen unterschiedlicher Komfortklassen stellt Ausstatter Frank Philipp Schlößmann dafür auf die Bühne. Ausreichend, wenn man sich damit begnügen will, die Walküre als Familien-Saga darzustellen. Einschließlich einer inzestuösen Geschwisterliebe, eines dicken Ehestreits und eines komplizierten Vater-Tochter-Konflikts.

So ausführlich Konwitschny Wotans Frevel an der Natur im Programmheft hervorhebt: Auf der Bühne ist davon nichts zu sehen. Weder von der allmählich zerfallenden Weltesche als Symbol der Natur in Hundings Hütte noch von dem Speer, den Wotan aus der Weltesche schnitzte und sie damit verletzte. Notung, das verheißungsvolle Schwert, kann Siegmund denn auch nicht aus der Esche ziehen. Es schwebt verloren in der Luft und wird von Sieglinde erhascht und nicht von Siegmund erobert. Warum auch immer. Wenn Wotan schon auf seinen Speer verzichten muss, dann tut es auch eine Pistole, um Siegmund auslöschen zu können. Die Walküren auf putzigen Steckenpferden, für den Feuerzauber lediglich ein rot angestrahlter Vorhang: Keine großen, aber auch keine desaströsen Würfe.

So wenig die übergreifende Idee Wagners ihren Niederschlag findet, so viel Mühe investiert Konwitschny in die privaten Beziehungen der Figuren. Das übermütige Spiel von Wotan mit seiner Lieblings-Tochter Brünnhilde zu Beginn, der Ehekrach zwischen Wotan und Fricka, die Zerrissenheit Wotans beim Abschied von seiner Tochter: In vielen Details zeigt Konwitschny sein Talent und seine große Erfahrung. Leider nicht in der Gesamtkonzeption.

Foto © Thomas Jauk

Dem weniger als schlichten „Feuerzauber“ verleihen wenigstens sechs am Bühnenrand postierte Harfen eine Prise Glanz. Und wieder einmal sind es die Musiker, die einen problematischen Abend retten. Am Pult der Dortmunder Philharmoniker sorgt Generalmusikdirektor Gabriel Feltz für einen insgesamt spannenden, klanglich sorgfältig geformten Klang mit viel Energie in den dramatischen Szenen und viel Hingabe in den vielen kammermusikalisch zarten Teilen. Gerade in den lyrischen Passagen scheint er sich allerdings bisweilen zu sehr in Details zu verlieben, so dass das Tempo ab und zu auf der Stelle tritt.

Großen Respekt verdient das Gesangsensemble einschließlich des erfreulich homogenen Walküren-Oktetts. Vor allem die Damen wachsen über sich hinaus. Ensemblemitglied Stéphanie Müther bewältigt die kräftezehrende Partie der Brünnhilde ohne jede hörbare Anstrengung, wobei ihre Stimme selbst in exaltierten Höhen rund und kontrolliert klingt. Auf gleichem Niveau sorgt Astrid Kessler als Sieglinde für eine ebenso intensive wie stimmlich unforcierte Darstellung. Auch Kai Rüütel verzichtet als Fricka auf jeden keifenden Gestus und singt ihre Rolle pointiert, kultiviert und mit samtenem Timbre aus.

Die Männer haben es nicht leicht mitzuhalten. Daniel Frank verfügt zwar über genügend Kraftreserven für den Siegmund. Unnötige Vokalverfärbungen trüben aber den klanglichen Gesamteindruck. Und Noel Bouley als Wotan wirkt diesmal stimmlich erstaunlich kraftlos und hat auch mit argen Intonationsproblemen zu kämpfen. Umso markanter bietet Denis Velev als Hunding mit seinem kerngesunden kraftvollen Bass die beste männliche Leistung des Abends.

Musikalisch darf man also recht hoffnungsvoll in die Zukunft des neuen Rings blicken, der in einem Jahr mit dem Siegfried seine Fortsetzung finden soll. Was die Inszenierung angeht, bleibt die Ur-Frage der Nornen unbeantwortet: „Weißt du, wie das wird?“

Pedro Obiera