Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
DIE SCHÖPFUNG
(Joseph Haydn)
Besuch am
3. September 2020
(Einmalige Aufführung)
Es ist ein Saisonauftakt, der an bessere Zeiten erinnert und für zwei Stunden vergessen lässt, unter welchen Unwägbarkeiten die Kulturszene derzeit vor sich hindümpelt und mühsam aufgepäppelt werden muss. An den „Maskenball“ im Foyer hat man sich gewöhnt, mit mittlerweile 650 zugelassenen Besuchern wirkt das Dortmunder Konzerthaus auch nicht mehr so leer wie in den wenigen Konzerten der letzten Wochen, es gibt sogar eine Pause mit Getränkeausschank und nach der Aufführung ein Gratis-Piccolöchen für jeden.
Dass jedoch eine Aufführung von Joseph Haydns Oratorium Die Schöpfung in gewohnter Präsentation, also in voller Besetzung ohne Mindestabstände, als „bundesweit erstes Chorkonzert seit dem Corona-Einbruch“ überregionale Beachtung findet, zeigt, dass von Normalität noch keine Rede sein kann. Raphael von Hoensbroech, Intendant des Dortmunder Konzerthauses, der die Saison so mutig eröffnet, ist sich bewusst, dass er mit dem „Weckruf“ seine Kollegen zwar unter ermutigenden Druck setzt, dass unter den aktuellen Bedingungen solche Aufführungen derzeit aber seltene Ausnahmen bleiben werden.
Dass die rund 70 Sänger und Musiker der Balthasar-Neumann-Ensembles für dieses Ereignis eine mehrtägige Quarantäne mit drei Testungen in vier Tagen auf sich nahmen, zeugt einerseits von dem Hunger der Künstler nach werkdienlichen Arbeitsbedingungen, aber auch von der langen und engen Verbundenheit mit dem Dortmunder Konzerthaus. Thomas Hengelbrock und seine Leute haben die Schöpfung erst vor zwei Jahren in Dortmund aufgeführt. Es dürfte nicht nur an den Entzugserscheinungen der letzten Monate liegen, dass die aktuelle Aufführung einen zusätzlichen Glanz ausstrahlt, der sich von den Ausführenden rasch auf das Publikum überträgt.
Qualitativ wird eine Interpretation auf dem hohen Standard geboten, den man von Hengelbrock und seinen Musikern gewohnt ist. Zu erleben ist eine äußerst vitale, farbige und detailgenaue Ausführung von Haydns Mahnung, sich gerade in unruhigen Zeiten die Schönheit und den Wert der Schöpfung ins Bewusstsein zu rufen. Der anspruchsvolle Orchesterpart mit seinen delikaten lautmalerischen Finessen ist beim Balthasar-Neumann-Ensemble bestens aufgehoben, wobei das historische Instrumentarium inklusive eines außergewöhnlich wohlklingenden Hammerflügels das angestrebte transparente Klangbild unterstützt. Und der ausgewogene, stimmlich perfekt geschulte Chor verleiht den effektvollen Nummern ohne dynamischen Überdruck die nötige Strahlkraft. Gleich fünf namhafte Solisten teilen sich die anspruchsvollen Solo-Partien. Bassbariton Florian Boesch gestaltet die fassettenreichen Rezitative des Engels Raphael mit bestrickender Intensität, mit der er zugleich die opernhaften Züge des Oratoriums packend zum Ausdruck bringt. Einen Uriel von androgyner Klarheit und perfekter Stimmkultur bietet Tenor Julian Prégardien. Die Sopran-Partien des Engels Gabriel und der Eva erfüllen Robin Johannsen und Katja Stuber mit mädchenhafter Anmut. André Morsch liefert ein stimmlich weiches Rollenprofil des Adam.
Am Ende ergießen sich endlose standing ovations über die Künstler. Dortmund wagt sich auch als erstes Opernhaus an eine Neuinszenierung einer abendfüllenden Oper des Stamm-Repertoires. Einen Tag nach der Eröffnung der Konzert-Saison feiert Mozarts Entführung aus dem Serail ihre Premiere.
Pedro Obiera