Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
KLAVIER-FESTIVAL RUHR 2023
(Diverse Komponisten)
Besuch am
3. und 5. Mai 2023
(Einmalige Aufführungen)
Klavier-Festival Ruhr, Emil-Schumacher-Museum Hagen, Konzerthaus Dortmund
Zwei große Talente, beide 28 Jahre jung, die französisch-russische Pianistin Nathalia Milstein noch am Beginn ihrer Karriere, und Jan Lisiecki, der Kanadier mit polnischen Wurzeln, gelten bereits seit einigen Jahren als Sterne am Himmel der Klavier-Szene. Zwei Persönlichkeiten, die dem Klavier-Festival Ruhr einiges zu verdanken haben.
Imponierend, mit welcher Kondition und Souveränität die ebenso blutjunge wie zierliche Pianistin Nathalia Milstein die Kraftakte aller neun Études-Tableaux opus 39 von Sergei Rachmaninow bei ihrem Auftritt im voll besetzten Emil-Schumacher-Museum in Hagen bewältigt. Ein glänzendes Debüt beim Klavier-Festival Ruhr und Intendant Franz-Xaver Ohnesorg beweist mit dem Engagement der gebürtigen Französin erneut sein glückliches Händchen bei der Suche nach außergewöhnlichen Nachwuchstalenten.
Als gehörten die neun Charakterstücke Rachmaninows nicht ohnehin zu den anspruchsvollsten Brocken der Klavier-Literatur, stürmt die Musikerin mit einem Vorwärtsdrang los, mit dem sie sich nicht im Geringsten von den extremen Anforderungen beeindrucken lässt. Dass sie mitunter auf Kosten mancher Details die Tempi überdreht, trübt den angesichts der entwaffnenden jugendlichen Frische faszinierenden Gesamteindruck nicht im Geringsten.
Zumal sie in den lyrischen Stücken eine nicht minder überzeugende Sensibilität erkennen lässt. Pianistisch und musikalisch bringt die junge Dame alles für eine hoffnungsvolle Karriere mit. Und dass sie Feinarbeit und Temperament in Einklang bringen kann, zeigt sie vor der Pause mit César Francks kaum weniger kniffligem Triptychon Prélude, Choral et Fugue. Zumal Franck mit seinem experimentierfreudigen und stilistisch zersplitterten Schlüsselwerk der Interpretin ein besonders hohes Maß an stilistischer Flexibilität abverlangt. Schließlich changiert das Werk, in Anlehnung an barocke Vorbilder Bachs, zwischen fantasievoller Freiheit und kontrapunktischer Strenge. Ein Wechselbad unterschiedlicher Gefühle, Formen und Spieltechniken, in dem sich Milstein hörbar wohl fühlt.
Den Abend eröffnete sie mit der weniger bekannten Sonate in H-Dur D 575 von Franz Schubert. Ebenfalls ein eigenwillig geformtes Werk des jungen, nach neuen Ufern suchenden Komponisten. Milstein interpretiert das Werk konzentriert und streng und meißelt die Forte-Ausbrüche scharf heraus. Eine interessante, sehr persönliche Deutung, der es allerdings ein wenig an tänzerischer Leichtigkeit und entspanntem Charme fehlt.
Mit 15 Auftritten beim Klavier-Festival Ruhr allein in den letzten fünf Jahren dürfte Jan Lisiecki einen Rekord aufstellen. Im voll besetzten Konzerthaus Dortmund muss das Publikum allerdings erst die Pause abwarten, bis der charismatische Musiker mit dem Kammerorchester Basel Frédéric Chopins 2. Klavierkonzert anstimmen kann.
Foto © Peter Wieler
Das dann aber sehr zum Gefallen der entzückten Hörer. Und das Riesentalent beweist, dass in ihm eine Persönlichkeit heranreift, die als Chopin-Interpret in die großen Fußstapfen seiner Vorgänger Artur Rubinstein und Krystian Zimerman treten könnte. Charisma, sensibles Feingefühl für das spezifische melodische Kolorit Chopins, manuell allen Anforderungen gewachsen: An den elementaren Ingredienzien einer nahezu rundum gelungenen Interpretation des Werks fehlt es Lisiecki nicht im Geringsten. Zumal er sich auch in bestem Einvernehmen mit dem von Konzertmeister Daniel Bard angeführten Baseler Kammerorchester versteht.
Die Ovationen am Ende sind also berechtigt, für die sich Lisiecki mit einem unprätentiösen, von lyrischer Poesie erfüllten Vortrag des Nocturnes op. 9,2 bedankt, einem seiner favorisierten Zugaben-Hits.
Dennoch ist es fraglich, ob man dem jungen, in den letzten Jahren kometenhaft in den Medien-Olymp gehievten Mann einen Gefallen tut, wenn man ihn schon jetzt mit marktschreierischen Superlativen überschüttet und damit letztlich unter Druck setzt. Angesichts seiner jungen Jahre besteht – zum Glück – durchaus noch Luft bis zu den ausgereiften Leistungen seiner großen Vorgänger. So verführerisch Lisiecki den lyrischen Puls der Chopinschen Musik erfasst, so elegant er ihn zu Gehör bringt: Wenn das Tempo anzieht, wenn die Dynamik anschwillt, lässt es Lisiecki noch an der nötigen Gelassenheit vermissen und gerät unnötig in hektisches Fahrwasser. Technisch alles kein Problem für ihn, eine in sich geschlossene, perfekt ausgewogene Interpretation steht jedoch noch aus. Dafür sollte man ihm Zeit und Ruhe gönnen.
Das tüchtige Kammerorchester aus der Schweiz muss im Rahmen solcher Glanzauftritte damit leben, ein wenig in den Schatten zu geraten. Zumal es mit Gabriel Faurés Masques et Bergamasques und Maurice Ravels Le Tombeau de Couperin vor der Pause nicht mit effektbetonten Reißern aufwartet, sondern mit klingender Feinkost. Gipfelnd in Ravels magisch schillernden Farben, die das Baseler Orchester mit angemessener Detailgenauigkeit und Leuchtkraft ertönen lässt.
Pedro Obiera