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Der österreichische Komponist Bernhard Lang liegt sicher richtig, wenn er in Shakespeares und Verdis Jago den Prototyp eines intriganten, rassistischen und empathielosen „Hetzers“ sieht. Wenn es um die Mobilisierung niederer Instinkte geht, ist die Geschichte um den schwarzen Aufsteiger Othello erste Wahl. Ein Stoff, der sicher auch Zündstoff für Opernformate außerhalb der genialen Version Giuseppe Verdis bereithält. Worin allerdings der Sinn in einer „Überschreibung von Giuseppe Verdis Otello“ liegen soll, so der Untertitel von Bernhard Langs neuer Oper Der Hetzer, das kann die Uraufführung im Dortmunder Opernhaus nicht schlüssig erklären.
Lang behält die Handlung des klassischen Stoffs im Wesentlichen bei, transformiert allerdings den venezianischen Titelhelden in den Bootsflüchtling Joe Coltello um, der es trotz seiner Hautfarbe zum Polizeichef bringt und sogar die begehrenswerte Desirée alias Desdemona erobern kann. Was den bösen Jack Natas alias Jago veranlasst, seinen Vorgesetzten in den Wahnsinn zu treiben. Eine Deutung, die jede Inszenierung der klassischen Vorlagen verkraften könnte. Was Lang allerdings nicht genügt. Er übergießt Ausschnitte aus Verdis Oper mit schemenhaft verschleierten Klangkreationen, setzt harte Schnitte, bevor man sich zu sehr in die genialen Töne Verdis verlieben könnte, arbeitet mit banalen rhythmischen Floskeln und mixt Textteile von Shakespeare und Boito zusammen, die in simpler Machart penetrant wiederholt werden. Das Ergebnis der musikalischen Melange: Die originalen Beiträge Verdis verlieren ihre Suggestivkraft, die eigenen Anteile Langs verharren in steriler Banalität.
Foto © Thomas Jauk
Was nicht heißen soll, dass es Lang den Ausführenden leicht macht. Orchester, Chor und erst recht die Protagonisten haben Aufgaben zu bewältigen, die denen Verdis nicht nachstehen. Skurril, dass die Orchester- und Chorstimmen pandemiebedingt vorab aufgenommen wurden und im Playback abgespielt werden. Kapellmeister Philipp Armbruster steht allein im Graben und dirigiert ein imaginäres Orchester. Ebenso skurril, dass die stärksten kreativen Impulse von eingestreuten Raps zu Themen wie Hass, Liebe und Eifersucht ausgehen, deren Texte von 16 Jugendlichen eines Schreibworkshops des Dortmunder Jugendforums Nordstadt erstellt und von den jungen Rappern IndiRekt und S.Castro virtuos präsentiert werden.
Der ansonsten musikalisch brüchigen Fassade helfen Regisseurin Kai Anne Schuhmacher, die Ausstatter Tobias Flemming und Hedda Ludwig sowie der Video-Designer Stephan Komitsch mit einer aufwändigen und bunten Bühnenshow optisch auf die Sprünge. Da wird nicht an technischem Aufwand und szenischer Fantasie gespart.
Gesanglich besticht die Produktion durch ein überragendes Niveau. Mit seinem gewaltigen, substanzreichen Bariton und seiner bestrickenden Bühnenpräsenz gestaltet der Südafrikaner Mandla Mndebele die Titelrolle. Mit geradezu mädchenhafter Anmut und großen lyrischen Qualitäten überzeugt die isländische Sopranistin Álfheiður Erla Guðmundsdóttir als Desirée, und der Countertenor David DQ Lee stellt stimmlich und darstellerisch einen Ausbund an Verschlagenheit dar.
Der Beifall fällt freundlich aus für eine Otello-Adaption, mit der Bernhard Lang Verdis Oper nichts an Erkenntnisgewinn oder gar eigenem musikalischem Profil entgegenzusetzen hat.
Pedro Obiera