O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Martin Büttner

Aktuelle Aufführungen

Mein Kleiderschrank – mein Ritual

FRIDA KAHLO
(Maja Delinić, Janin Lang)

Besuch am
9. September 2021
(Uraufführung)

 

Burghofbühne Dinslaken in der Aula der Ernst-Barlach-Gesamtschule Dinslaken

Kathrin Türks gründete 1951 das Theater für Bergmannskultur in Dinslaken. Dieses Theater gibt es heute noch. Allerdings heißt es inzwischen Burghofbühne Dinslaken und ist das kleinste Landestheater Nordrhein-Westfalens. Landestheater sind die Theater, die zwar über einen eigenen Stammsitz verfügen, aber die zusätzliche Aufgabe übernehmen, die Fläche zu bespielen, also an Orten aufzutreten, die über kein eigenes Theater verfügen. Neben Dinslaken gibt es drei weitere Landestheater in Castrop-Rauxel, Detmold und Neuss. Seit 2014 heißt der Intendant in Dinslaken Mirko Schombert, der auch selbst inszeniert. Am heutigen Abend allerdings übernimmt er die Rolle des Gastgebers bei einer Uraufführung, die die Spielzeit zum 70-jährigen Bestehen des Theaters einläutet. Eigentlich, so erzählt er in einer Ansprache vor Beginn der Aufführung, habe die Uraufführung in der Kathrin-Türks-Halle stattfinden sollen. Das scheint bei den Dinslakener Bürgern mittlerweile so eine Art running gag zu sein, wenn man das Gelächter in der Ausweichspielstätte der Aula der Ernst-Barlach-Gesamtschule richtig deutet. Es ist wie fast immer, wenn die Öffentliche Hand Bauaufträge vergibt. Die Termine verzögern sich, die Kosten explodieren. Wobei man diesmal wenigstens mit der Corona-Krise eine halbwegs plausible Entschuldigung parat hat. Und das Landestheater zum Jubiläum in einer Schulaula auftritt.

Du kannst die berühmtesten Leitungsteams der Welt auf einer Schulbühne inszenieren lassen, den Mief von Schule wirst du nicht los. Immerhin verfügt die Gesamtschule über ein paar Besucherparkplätze und einen Getränkeausschank mit Sitzgelegenheiten vor dem Einlass. Und Landestheater sind darauf geeicht, sich auf die unterschiedlichsten Spielstätten einzulassen. Also muss es zur Spielzeiteröffnung auch hier reichen. Dabei steht Großes auf dem Programm. Nichts Geringeres als ein Porträt der mexikanischen Malerin Frida Kahlo soll es sein. Die Herausforderung ist einerseits, dass es bereits unzählige Werke zu dem Thema gibt, andererseits ist solch ein komplexes Leben extrem schwierig darzustellen. Schombert hat damit Regisseurin Maja Delinić und Ausstatterin Janin Lang beauftragt. Beide haben gemeinsam zum Thema recherchiert und das Stück zusammen erarbeitet, und so stehen sie auch beide oben auf dem Abendzettel.

Foto © Martin Büttner

Die Bühne bietet einen interessanten Einstieg, wird aber dann nicht mal zur Hälfte ihrer Möglichkeiten genutzt. Zahlreiche Kästen in verschiedensten Formen füllen die Bühne, die nach hinten von einer silberfarbenen Wand abgeschlossen wird, über die lange Zeit teilweise ein weißes Laken geworfen ist. Zieht man die Spielszenen im Bus und in der Begegnung mit Diego Rivera sowie den völligen Umbruch zehn Minuten vor Spielschluss ab, bleiben die Kästen bestenfalls Stilelemente, die aber weder atmosphärisch noch spielerisch helfen. Wie stellt man in einer solchen Umgebung eine Person dar, deren Porträtfotos weltbekannt sind? Am besten gar nicht, sagen Delinić und Lang und versechsfachen Kahlo. Da stehen die Darsteller in teils ausgefallenen Kostümen vom muschelbehängten Reh über den Bandolero bis zu Frauen in Kleidern des beginnenden 20. Jahrhunderts auf der Bühne und erzählen in wechselnden Rollen. Das Stück ist ungeheuer textlastig. Frida Kahlo muss eine Frau mit einer ungeheuren erotischen Ausstrahlung gewesen sein, davon sprechen ihre zahlreichen Affären, sei es, weil sie alles Leid dieser Welt in sich versammelte, sei es, weil sie als Autodidaktin eine künstlerische Seele entwickelte oder eine selbstbewusste, eloquente Gesprächspartnerin war. Auf der Bühne entfällt das komplett. Stattdessen wird auf das Verhältnis von „Elefant und Taube“ verwiesen und die Körperfülle ihres Ehegatten Rivera in den Vordergrund geschoben, der hier übrigens von einem sportgestählten, schlanken Darsteller verkörpert wird. Nein, auch wenn hier in eineinviertel Stunden unglaublich viel erzählt wird, vom Kern der Kahlo bleibt das Stück weit entfernt. Da hilft auch nicht, dass die Szenen zunehmend häufig mit „Mein Kleiderschrank – mein Ritual“ eingeleitet werden. Zumal Kahlo dafür bekannt war, sich mit mexikanischer Nationaltracht zu kleiden. Aber möglicherweise gibt es hier eine Informationslücke – auf die es allerdings auch im Abendzettel keinen Hinweis gibt.

Vor vielen Jahren gab es ebenfalls eine Aula-Vorstellung, damals zum Thema Anne Frank. Dem Regisseur gelang es, eine derart erotische Spannung aufzubauen, dass ein 14-jähriger Pennäler schließlich entnervt in den Saal rief: „Jetzt küss sie endlich!“ Beim zaghaften Kuss wenige Minuten später gab es Szenenapplaus. So geht Emotion. Das schmälert die Leistungen der Darsteller bei Frida Kahlo nicht im Geringsten. Denn sie haben zu erzählen. Die Choreografien von Teresa Zschernig zu befolgen und sich ansonsten fleißig zu bewegen. Und das erledigen Norhild Reinicke, Christine Schaller, Teresa Zschernig, Matthias Guggenberger, Markus Penne und Philipp Alfons Heitmann auf das Feinste. Bei aller Textgewalt gibt es einen einzigen Hänger. Gratulation.

Auch bei der Klangkulisse von Clemens Gutjahr bleiben viele Möglichkeiten offen. Ein paar Gitarrenklänge, die Klang-Collage zum Bus-Unfall und einige weitere Untermalungen – da wäre mehr gegangen, um aus einem guten Stück ein herausragendes entstehen zu lassen.

Dem Publikum, das nach 3G-Einlasskontrolle ohne Maske im Saal Platz nehmen darf, ist das egal. Es applaudiert den Darstellern wie dem Leitungsteam ausgiebig. Von den Sitzen reißt der Abend niemand. Auf der Heimfahrt, sonst Platz für umfangreiche Begeisterungsäußerungen, bleibt es ungewohnt schmallippig. Wer vor dem Besuch mindestens den Wikipedia-Eintrag zu Frida Kahlo gelesen hat, versteht, was er gerade gehört hat. Aber das Gefühl, dass hier eine der faszinierendsten Künstler Südamerikas ausreichend gewürdigt worden wäre, bleibt aus.

Michael S. Zerban