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Aktuelle Aufführungen

Jüdische Komponisten im Brennpunkt

AUF DEM WEG DER VERHEIßUNG
(Diverse Komponisten)

Gesehen am
10. April 2021
(Premiere/Stream)

 

IAMA, Anhaltisches Theater Dessau

Halle (Saale) ist mit rund 240.000 Einwohnern Großstadt und die Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt. Die Kulturhauptstadt ist Zentrum einer aufstrebenden Medienregion. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, wurde 2004 die International Academy of Media and Arts (IAMA) als eingetragener Verein mit Sitz im Mitteldeutschen Multimediazentrum gegründet. Mitglieder sind neben Medienunternehmen auch die Stadt, die Medienanstalt Sachsen-Anhalt und die Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design. Im Herbst vergangenen Jahres hat die IAMA das Festival Klangart-Vision ins Leben gerufen. Ziel ist, „uns den kulturellen Reichtum unserer Gesellschaft bewusst zu machen“ und von Sachsen-Anhalt aus „musikalische Brücken in die Welt“ zu bauen.

Die zweite Ausgabe des Festivals vom 10. April bis zum 23. Mai hat als Themenschwerpunkte „Programme der neuen Musik in Gemeinsamkeit mit der jüdischen Kultur“. Auch für dieses Festival könnte sich die Notwendigkeit der rein digitalen Austragung als Vorteil erweisen, da der Offene Kanal Magdeburg alle Konzerte live und kostenlos bei YouTube überträgt und somit auch überregional Zuschauern die Möglichkeit gibt, einmal in das Festival hineinzuschnuppern. Viel mehr als ein Schnupperangebot scheint es aber auch nicht zu werden, wenn man das Eröffnungskonzert als Maßstab nimmt. Zwar findet man auf der Festivalseite ausreichende Informationen zu den Programmen und den Mitwirkenden, aber es erstaunt doch, dass es einer Ansammlung von Medienschaffenden nicht gelingt, mehr als ein medioker abgefilmtes Konzert zu zeigen. Die Gelegenheit beispielsweise, den Zuschauern aus aller Welt die Spielstätten des dezentral angelegten Festivals in Dessau, Magdeburg, Naumburg, Halberstadt und Halle vorzustellen, wird verpasst.

Ania Vegry – Bildschirmfoto

Zur Eröffnung des Festivals geht es in das Anhaltische Theater Dessau, wo die Anhaltische Philharmonie Dessau unter Leitung des Generalmusikdirektors Markus L. Frank ein abwechslungsreiches und selten gehörtes Programm unter dem Titel Auf dem Weg der Verheißung vorbereitet hat. Frank selbst liest die Anmoderation der einzelnen Programmpunkte vor. Dabei scheint die Tontechnik sich besser mit Instrumenten als mit Stimmen auszukennen. Das Handmikrofon ist schlecht ausgesteuert, auch die Qualität des Gesangklangs wird später Mängel aufweisen. Die Beleuchter schließen sich dem Niveau an. Vermutlich wird hier die 08/15-Standardbeleuchtung für Konzerte im Theater gewählt. Das führt dazu, dass die Augen der Sänger häufig im Dunkel bleiben. Kein wirklich schönes Bild. Und gewiss, das sind Kleinigkeiten, aber deshalb nicht weniger überflüssig.

Ein Buch mit alten hebräischen Melodien inspirierte Sergej Prokofjew 1919 derart, dass er innerhalb von 24 Stunden seine Ouvertüre über hebräische Themen komponierte. Der geeignete Einstieg in das Programm, der die Erwartungen gleich hochschraubt. Bariton Ulf Paulsen und Tenor David Ameln singen vor einem engagiert aufspielenden Orchester aus Kurt Weills Verheißung, ehe das Orchester vier Sätze aus der Suite opus 5 von Berthold Goldschmidt interpretiert. Der gebürtige Hamburger war in den Jahren 1924 und 1925 für einige Wochen als Korrepetitor am Dessauer Theater beschäftigt. Als Uraufführung bringen die Philharmoniker einen Marsch im 5/4-Takt, Sarabande, Gavotte und Tarantella zu Gehör, vom Komponisten allesamt so verfremdet, dass sie zwar den Musikgeschmack jener Zeit, aber die Tänze als solche nicht erkennen lassen.

Markus L. Frank – Bildschirmfoto

Pianist Alexander Koryakin, wie die Sänger auch Ensemble-Mitglied, lässt sich sehr gekonnt mit den Streichern auf die Rhapsodie für Klavier und Streicher von Paul Ben-Haim ein. Der Dirigent und Komponist emigrierte 1933 nach Palästina und erwarb sich dort den Ruf als „Vater der israelischen Musik“. Im vorgestellten Werk klingen alte und neue Heimat an, was zu einer gelungenen Mischung gerät. Der Flügel bekommt seinen Platz inmitten des Orchesters. Ungewöhnlich, aber klangtechnisch einwandfrei gelöst. Das Hauptthema des Films Schindlers Liste wurde von John Williams komponiert und bietet an diesem Abend in zweierlei Hinsicht einen Höhepunkt. Neben dem musikalischen hervorragenden Vortrag bekommen die Zuschauer die Antwort auf eine der am häufigsten gestellten Fragen an solistische Geiger. Was machst du eigentlich, wenn du da vorne stehst und dir reißt eine Saite? Gregory Maytan, Erster Konzertmeister und Solist des Werkes, zeigt es vorbildlich. Noch in der Schrecksekunde wendet er sich zu der hinter ihm sitzenden Geigerin, die zwar nicht sehen konnte, was passierte, aber mindestens ebenso schnell reagiert und ihm ihre Geige reicht. Binnen weniger Takte findet Maytan auf dem neuen Instrument in den alten Fluss zurück. Eine Glanzleistung.

Glänzend präsentieren sich auch die Sänger beim letzten Werk. Aus jiddischer Volksmusik komponierte Dmitri Schostakovich 1948 als elf Lieder für Alt, Sopran und Tenor. In Dessau wird es in der Orchesterfassung, die im selben Jahr noch entstand, vorgetragen. Während die ersten acht Lieder als Reminiszenz an das einfache Leben der jüdischen Bevölkerung gelten, wurden die letzten drei Lieder nachträglich verfasst, um der von der stalinistischen Propaganda gewünschten Ästhetik zu entsprechen. Carlos Latsos interpretiert eindringlich, der eindrucksvolle Alt von Rita Kampfhammer ist mitunter nur als Saalklang vernehmbar. Ania Vegry ist seit dieser Spielzeit am Ensemble und zeigt mit dieser kleinen Kostprobe, dass Dessau um ein Juwel reicher ist.

Nach rund 75 Minuten ist das Ende eines ungewöhnlichen und hochinteressanten Abends erreicht. Solchermaßen eingestimmt, wird es Spaß machen, am 20. April nach Naumburg in die St.-Wenzel-Kirche zu hören. Dort wird Franz Danksagmüller unter anderem eigene Kompositionen an der Orgel vortragen.

Michael S. Zerban