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Verrückter König in verrückten Zeiten

THE MAD KING
(Peter Maxwell Davies)

Gesehen am
22. Januar 2021
(Premiere/Livestream)

 

Opera2Day, Den Haag

Eine Oper, wie geschaffen für die absurde Situation, dass die Welt auf und außerhalb der Bühne aus den Fugen geraten darf, solange die Abstandsregeln eingehalten werden. Wenn er ihn nicht schon verloren hätte, müsste Peter Maxwell Davies‘ König spätestens unter den derzeitigen Lebens- und Aufführungsbedingungen den Verstand verlieren. So lässt sich das 1969 uraufgeführte Monodram des britischen Komponisten, The Mad King, ausgeführt von einem Sänger und elf in Vogelkäfigen sorgfältig voneinander separierten Instrumentalisten, thematisch und formal auch strengeren Lockdowns nahtlos anpassen. Was nicht heißen soll, dass die niederländische, in Den Haag ansässige Operncompagnie Opera2Day nicht auch für die Realisierung dieses Stücks alle Kräfte mobilisieren musste, um es in einer optisch opulenten und musikalisch hoch konzentrierten Produktion wenigstens online streamen zu können.

Eine Oper im herkömmlichen Sinn ist das Stück ohnehin nicht. Regisseur Stefano Simone Pintor verknüpft Maxwell Davies‘ Eight Songs for a Mad King mit Bruchstücken aus Opern Georg Friedrich Händels zu einem einstündigen Monodram, das durch die Collage der zeitlich weit voneinander entfernten musikalischen Schichten einen Hauch von Zeitlosigkeit spüren lässt, gleichzeitig mit der Musik Händels an ältere Zeiten erinnern und mit den modernen Stilismen Maxwell Davies‘ die psychischen Spannungen und Konflikte des Titelhelden drastisch zum Ausdruck bringen will.

Davies und sein Librettist Randolph Stowe orientierten sich für die Texte der acht zentralen Gesänge auf Worte des 1820 gestorbenen englischen Königs George III., der in seinen letzten Lebensjahrzehnten unter einer bipolaren Störung litt und versucht haben soll, Vögeln bestimmte Melodien beizubringen. Ein bizarres Szenario, das sich im Bühnenbild von Herbert Janse und den Kostümen von Mirjam Pater plastisch spiegelt. Gitter schränken nicht nur die wie bunte Vögel kostümierten Instrumentalisten auf ihren käfigartigen Podesten ein, sondern drängen sich eingeblendet immer wieder vor das gesamte Bild, so dass sich die gesamte Welt in einer Art Vogel- oder Narrenkäfig zu befinden scheint.

Die Händel-Ausschnitte verleihen den Auftritten des Königs auch in dessen verwirrtesten Phasen einen Rest an königlicher Würde, allerdings tragisch eingefärbt wie das Ende King Lears. Die Texte bilden keine Basis für eine stringente oder logisch disponierte Handlung, sondern sind als momentane Reflexe unterschiedlicher Bewusstseinsgrade zu verstehen. Was sowohl der Regisseur als auch der überragende Protagonist Charles Johnston für äußerst differenzierte und expressive Darstellungsformen nutzen, die sich trotz einiger Zuspitzungen niemals in klischeehaft übertriebenen Wahnsinnsorgien verlieren. Johnston, ein namhafter Spezialist für besonders komplexe Figuren, gelingt es, das handlungsarme, mehr als Monolog denn als Oper angelegte, noch dazu um acht Händel-Sequenzen erweiterte Stück mit seiner intensiven Rollenstudie unter Spannung zu halten. Der Sinn, dem König einen schattenhaft agierenden Pantomimen zur Seite zu stellen, will sich nicht so recht erschließen. Allerdings sorgt in dieser Rolle Bodine Sutorius mit ihren Auftritten für eine Prise gespenstischer Anmut.

Davies‘ Musik klingt wie eine expressiv verdichtete Ergänzung zu Schönbergs hypersensiblem Melodram Pierrot lunaire. Die Instrumentation für das elfköpfige Ensemble ist auf klangliche Farbigkeit ausgerichtet, wozu nicht zuletzt die üppig ausgestattete Schlagzeug-Sektion sorgt. Ausgeführt wird die Partitur unter Leitung von Hernán Schvartzman von den Musikern des niederländischen New European Ensembles, das sich seit seiner Gründung 2009 international durchgesetzt und schon mehrere Projekte der Opera2Day mitgestaltet hat. Auch instrumental weist die Produktion hohes Niveau auf.

Insgesamt setzt die niederländische Compagnie ihre erfolgreiche Serie außergewöhnlicher Opernprojekte würdig fort und das unter extrem schwierigen Bedingungen.

Pedro Obiera