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Foto © Matthias Baus

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Psychoanalyse post mortem

MACBETH UNDERWORLD
(Pascal Dusapin)

Gesehen am
25. März 2020
(Uraufführung am 20. September 2019)

 

Théâtre Royal de la Monnaie, Brüssel

Weil die Oper Macbeth Underworld, die am 25. März 2020 in der Opéra Comique in Paris, in Koproduktion mit dem Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel,  erstaufgeführt werden sollte, aber wegen der Pandemie abgesagt werden musste, lässt die Opéra Comique jetzt einen Film der Uraufführung dieser Oper von Christian Leblé im Théâtre de la Monnaie im Internet wiedergeben.

Nach eigener Aussage hat sich der Komponist und sein Textdichter Frédéric Boyer eher von den verschiedenen Macbeth-Filmen inspirieren lassen als von den Opern, die über das Thema komponiert wurden. Er hätte viel Freiheit mit dem Urtext genommen, aber beteuert: „Wie immer man auch den Text manipuliert, das Thema bleibt immer unwahrscheinlich gut erhalten.“ Das mag ja so sein, nur wenn nicht gerade zitiert wird, reichen die Monologe oder Dialoge doch nicht im Entferntesten an die Tiefe und die Poesie der Shakespeareschen Sprache heran. Der Text wurde auf Französisch geschrieben und dann für das Komponieren der Oper ins Englische übersetzt.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Der junge Regisseur der Oper, Thomas Jolly, meint dazu nur: „Das Textbuch enthält alle Motive von Shakespeares Stück, Schottland, die Gespenster, natürlich die Morde, die Hexen, den unsichtbaren Dolch, die Blutflecken, die Lady Macbeth sich nicht von den Händen waschen kann, den Torwärter. Kurz, all diese immer wiederkehrenden Motive sind in der Oper enthalten, aber man erzählt doch nicht dieselbe Geschichte.“ Was Pascal Dusapin und Frédéric Boyer vorschlagen, und was der Untertitel Underworld besage, sei der Versuch, die tiefschichtigen, die infernalen Gefilde dieses Paares zu ergründen. Und so sei alles Schöpfung, überall, fährt der Regisseur fort. Und er fügt hinzu, dass er schon zu der Zeit, als Pascal Dusapin die Oper noch komponierte, vom Komponisten und vom Librettisten eingeladen wurde, an dem Projekt teilzunehmen. „Ich langweile mich schnell im Leben, deswegen liebe ich es, völlig auf den Kopf gestellt zu werden, und hier konnte ich mich diesbezüglich nicht beklagen.“

Thomas Jolly, der sich in Paris schon mit seinen Inszenierungen von Cavallis Eliogabalo und Offenbachs Fortunio einen Namen gemacht hatte, stellt hier zwar nicht auf den Kopf, aber er stellt wieder seine vielfältige Einbildungskraft, als auch sein Gefühl für Ästhetik und Bühnenwirksamkeit unter Beweis. Nach einem kurzen Prolog, gesprochen von Hekate, der Göttin der Magie, führt er uns auf der Drehbühne durch die acht Bilder Bruno de Lavenères. Das erste Bild dieser fantastischen, kalten, dunklen Welt ist beherrscht von knorrigen, uralten, abgestorbenen Bäumen, in denen auf verschiedener Höhe ein eher handfestes „Phantom“, blutüberströmt und mit Dolch im Rücken, Lady Macbeth und das imaginäre Kind erscheinen und in langen legato-Litaneien ihr Leid klagen. Alle weiß gekleidet in Fantasiekostümen, weiß geschminkt und mit weißen Haaren — sehr gespenstisch gegen den dunklen Hintergrund.  Bis die drei „wunderlichen Schwestern“ auftauchen, die hier nicht alt und hexenhaft-erschreckend, sondern jung, rothaarig und verführerisch sind und sein sollen: Maggy, Molly und Milly. Ihr seltsames Erscheinen auf der Bühne wird unterstrichen, durch kurze schemenhafte Licht- und Schattenblitze. Am Schluss gesellt sich noch Macbeth dazu. Im zweiten Bild mit Wendeltreppe, ein Liebesduett des infernalen Paares, das in seinen Schuldgefühlen gefangen bleibt, und ein Enthüllungskatalog der Lady Macbeth, der Sigmund Freud begeistert hätte. Es folgt eine eindrucksvolle Szene Macbeths mit dem unsichtbaren Dolch. Sowohl die Beleuchtung Antoine Traverts hat sich offensichtlich an den deutschen expressionistischen Stummfilmen der 1920ger Jahre inspiriert, als zweifellos auch die etwas übertriebene theatralische Personenregie, der Thomas Jolly noch eine gute Dosis Marcel Marceau Mimik hinzufügt. Im dritten Bild, der Schlafzimmerszene, wohnen wir den Alpträumen des Mörderpaares bei, mit der Reihe nach auftretenden Schreckensbildern, bis der  geschäftige Torwärtererscheint, das große Tor öffnet und das blutüberströmte Phantom hereinlässt. Das vierte Bild ist erfüllt von dem musikalisch sehr schönen Dreigesang Requiem aeternam….nox perpetua der drei wunderlichen Schwestern. Dieses Requiem war ursprünglich in der Partitur nicht vorgesehen. Der Komponist hat es spontan in die Oper eingefügt, als er während es Komponierens den Tod einer teuren Freundin erfuhr. Es wird während der Krönung gesungen. Es folgt im fünften Bild — visuell sehr eindrucksvoll und makaber – ein Maskenfest mit Phantom. Der Übergang von einem Bild zum anderen ist fließend und ohne Unterbrechung. Im sechsten Bild fragt sich Lady Macbeth, ob die Liebe zu ihrem Mann noch möglich ist. Von Dunkelheit zu Dunkelheit, von Grauen zu Grauen zischt das Orchester, flüstert dissonant, donnert wild oder dröhnt abrupt. Im siebenten Bild versucht Lady Macbeth in einem langen Monolog, halb singend halb sprechend, in neurotischer Panik sich  die imaginären Blutflecken von den Händen zu waschen, bis sie sich unter leiser Orgelmusik in ihr schwarzes Bett unter dem dunklen Baumgerippe zurückzieht, während der eifrige Torwächter, wie ein Unglücksvogel, einen Kerzenleuchter schwingend, immer wieder dazwischen krächzt: „Oh Tod, wo ist dein Stachel? Oh Grab, wo ist dein Sieg?“ Zum letzten Bild dreht sich die Bühne um ihre Achse und nimmt dabei für einige Momente fast Caspar David Friedrich’sche Züge an, bis das Phantom auf der Wendeltreppe erscheint und dem immer noch kämpferischen Macbeth verkündet, Lady Macbeth sei tot. Doch Macbeth‘s  Mut ist ungebrochen, solange der Wald von Birnam nicht auf ihn zu kommt. Doch schließlich erliegt er in mitten eins Blitzgewitters dem Kind, das singt: „Meine Stimme ist meine Waffe!“ während die drei wunderlichen Schwestern dazu kreischend lachen. Und es bleibt in kalter Neon-Schrift gegen den Hintergrund geschrieben: Here may you see the tyrant.

Georg Nigl, der seit Jahren mit Pascal zusammenarbeitet, hat die für die Partitur erforderliche Stimmbreite, die er von den tiefen Lagen der Bruststimme bis zu den höchsten Lagen der Kopfstimme virtuos ausspielt. Magdalena Kožena zieht in der schwierigen Rolle der Lady Macbeth alle Register ihrer dramatischen und lyrischen Stimmmöglichkeiten, und ihre schauspielerische und mimische Leistung ist ganz erstaunlich. Ekaterina Lekhina, Lily Jorstadt, und Christel Loetzsch singen, lachen und kreischen hysterisch als die drei wunderlichen Schwestern, wie man es von ihnen erwartet. Das Phantom wird mit tiefer ernster Stimme von Christinn Sigmundson gesungen. Graham Clark, der auch der Hekate seine Stimme leiht, ist der quirlige Torwächter. Sein Sprechgesang ist mehr gesprochen als gesungen. Die Rolle des Kindes wird Naomi Tapiolas reiner, klarer Sopranstimme anvertraut.

Alain Altinoglu leitete mit Umsicht Solisten, den Frauenchor und das Symphonieorchester des Theaters de la Monnaie. Letzteres ist mit einer Laute aus elisabethanischer Zeit, aber auch durch afrikanische Trommeln, Tamburine und durch die Elektro-Akkustiker-Gruppe Thierry Coduys verstärkt.

Trotz einer gewissen Schwäche des Textes entfaltet sich durch die Musik, durch die Darsteller und durch die Inszenierung ein eindrucksvolles Werk.

Alexander Jordis-Lohausen