O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Schillernde Vielfalt

DREIFACHES CRESCENDO
(Hugo Wolf, Gustav Mahler, Johannes Brahms)

Besuch am
8. März 2019
(Einmalige Aufführung)

 

Concertgebouw Brügge

Brügge klingt großartig. Das sagt zumindest ein Interessenverband, dem unter anderem das dortige Konzerthaus, das darin residierende Orchester Anima Eterna und Tourismus Brügge angehören. Unter der Überschrift Bruges? Sounds great! werden herausragende musikalische Aktivitäten über das Jahr hinweg kommunikativ gebündelt, um sie so einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Ziel ist also nicht, noch mehr Touristen nach Brügge zu bringen, was vermutlich auch kaum noch möglich ist, sondern das vorhandene Publikum für die musikalischen Attraktionen der Stadt zu begeistern.

Als einen gelungenen Schritt in diese Richtung darf man sicher das Konzert bezeichnen, zu dem Anima Eterna an diesem stürmisch-regnerischen Abend in das Concertgebouw eingeladen hat. Jos van Immerseel, der das Orchester leitet und immer für ungewöhnliche Lösungen gut ist, will mit dem Abend aus dem üblichen Einerlei sinfonischer Abende ausbrechen. Schon nach der Papierform scheint ihm das gelungen. Dramaturgisch führt der Abend von der intimen Kunstform des klavierbegleiteten Liedes hin zur rebellischen Sinfonie, nicht ohne eine kleine Überraschung, die sich nachhaltig in das Gedächtnis der Zuhörer eingraben wird. Mit seiner wunderbaren Akustik scheint das Konzerthaus dem Orchester wie auf den Leib geschneidert.

An diesem Abend hat das Orchester den Bariton Thomas E. Bauer eingeladen, um das Programm mit Liedern zu bereichern. Und so steht zu Beginn des Abends zunächst ein Cembalo vor den leeren Reihen der Orchestersitze. Van Immerseel selbst begleitet den international gefragten Sänger, der gerade aus Kanada über Paris nach Brügge gekommen ist, bei seinem Vortrag von drei Liedern von Hugo Wolf aus dem Jahr 1888. Nimmersatte Liebe, Lebe wohl und Der Feuerreiter werden hier frei von Pathos, zeitlos, aber mit großer Empathie vorgetragen. Ja, vielleicht ist das das Geheimnis des Erfolgs von Bauer, dass er der historischen Aufführungspraxis van Immerseels eine Heutigkeit entgegensetzt, die die Hörer in ihren Bann zieht.

Thomas E. Bauer – Foto © O-Ton

Ein besonderes Zeichen ihres Könnens setzen die Streicher des Orchesters mit dem Adagietto aus Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 5. Zauberhaft ist vielleicht das am ehesten zutreffende Wort für diese „Programmunterbrechung“, die nicht nur eine Zäsur zwischen zwei Liedzyklen setzt, sondern auch gelungen zu Mahler überleitet. Sein Liedzyklus entstammt in etwa der Zeit, in der auch die Wolf-Lieder entstanden, ist allerdings orchestriert. Für diese „große Form“ hat Sänger Bauer eine besondere Leidenschaft. Und die lebt er im sehr gut besuchten Concertgebouw aus. Hier wird nichts vom Blatt gesungen, wenn er die vier Lieder eines fahrenden Gesellen vorträgt und mit feiner Gestik das warme Timbre seiner Stimme unterstützt, die feine und überlegte Akzente setzt.

„Jawohl, und noch merkwürdiger ist, dass das gleich jeder Esel hört“, soll Johannes Brahms auf die Bemerkung erwidert haben, wie sehr sich beide Themen im Schlusssatz ähneln. Die Rede ist – Brahms-Liebhaber wissen das – von Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 9 und Brahms‘ erster Sinfonie. Im Concertgebouw genießt das Orchester hörbar eben jene Stelle und setzt damit einen weiteren Höhepunkt an einem ungewöhnlich abwechslungsreichen Abend.

Der Applaus ist zu Recht überwältigend. Und Jos van Immerseel lässt es noch einmal richtig krachen, wenn er als Zugabe das Feuerwerk des Ungarischen Tanzes Nr. 5 von Johannes Brahms zündet. Der Saal kocht. Und ja, hier hätten Touristen den Wert ihres Brügge-Besuchs noch einmal um hundert Prozent steigern können – ganz ohne sich die Füße auf den Pflastern von Korngolds toter Stadt wundzulaufen.

Michael S. Zerban