O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Tomasz Golla

Aktuelle Aufführungen

In Breslau geht ein Vorhang auf

WESELE FIGARA
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
27. Mai 2022
(Premiere am 21. Mai 2022)

 

Oper Breslau

Die Hochzeit des Figaro heißt hier Wesele Figara, was, wenn man einen solchen Titel vor sich hinmurmelt mit seinen ungewohnten Betonungen auf den vorletzten Silben, einen geheimnisvollen Klang hineinbringt. Andererseits, auch hier, auch in der Opera Wrocławska, ist es das nämliche Stück. Auch in Wesele Figara haben die Geschlechter, wie eigentlich in allen Opern des Komponisten, nur ein Thema: sich selbst. Sie erfahren die Stärke ihrer Bindungen und, im gleichen Moment, deren Gefährdung. Erwachsene Kunst wie Wesele Figara zeigt sich Takt für Takt darüber im Bilde, dass die Geschlechterspannung in der Marriage, der Hochzeit, der Wesele gerade nicht aufgeht. Das macht den Reiz. Auch für das polnische Publikum, das an diesem Freitagabend für ein ausverkauftes Haus sorgt, indem es einer Einladung der Opern-Direktorin Halina Oldakowska folgt: „to celebrate together“. So steht es im englischsprachigen Teil des Programmhefts, einem liebevoll aufgemachten Begleiter für eine Aufführung, die, so die Dyrektor Opery Wroclawskiej, ganz auf eine „young generation“ setzt – „to spread their wings and improve their skills“. Immerhin, soviel ist zuzugeben, es sind die in Doppelbesetzung aufgebotenen jungen Stimmen, die diesem Figaro zum Aufwind unter den Flügeln verhelfen. Stimmen, die etwas wollen, die noch nicht fertig sind.

Auch im Zuschauerraum, unübersehbar, herrscht starker jugendlicher Anteil. Man hat sich zurecht­gemacht, hübsch aufgebrezelt, was wohl irgendwie auch ein Echo sein mag auf diesen klassizistischen, in den Reiseführern gepriesenen Prachtbau von Theater, das sich innen kleiner, intimer anfühlt als man draußen, davorstehend, den Eindruck hat. Rot das Gestühl, weiß, goldfarben, reich verziert Wände und Decke, von wo die Köpfe zahlreicher prominenter Persönlichkeiten aus dem vorvorigen Jahrhundert grüßen. Man fühlt sich aufgenommen, ja, würdig in einem solchen Interieur. Mein Platz, Parkett, Reihe 11, ist ganz hinten, direkt unter dem ersten von insgesamt vier Balkonen, die der Bauherr der Oper Breslau seinem Architekten aufgegeben hat. Die Sicht an dieser Stelle, was auch so angekündigt war, ist eingeschränkt. Die Übertitel sind nur lesbar, wenn man seinen Sitz als Liegestuhl nutzt, was meine polnische Sitznachbarin zu meiner nicht geringen Verblüffung zwischenzeitlich genauso praktizieren wird. Kurz vor dem letzten Klingeln stürmt sie heran, lässt sich, ein älteres, rundes Semester mit freundlichem Gesicht und Kulleraugen, neben mir nieder. Sie hat eine Freundin mitgebracht, die auf sie einredet, immer mit dem Namen vorweg. Ich verstehe: Eine Marianna sitzt neben mir.

Foto © Tomasz Golla

Dann geht der Vorhang auf. So wie er sonst selten oder eigentlich nirgendwo mehr aufgeht, seitdem die hippen Theatermacher, die ehrgeizigen Theaterreformer sich mit ihrer Meinung durchgesetzt haben, dass so was ein alter Zopf ist, ein schreckliches Symbol für unangemessene Distanz zum Publikum und folglich abgeschnitten, abgeschafft gehört. In Breslau ist das noch anders. In Breslau darf er noch mitspielen, darf seinen majestätischen Flair verströmen, darf sich wie von Geisterhand teilen, nur um rechts wie links oben noch einen eleganten Knicks hinzulegen, eine Art Augenzwinkern, das man diesem schweren Tuch gar nicht zugetraut hatte.

Das einzige, was an dieser stummen Theaterkonvention stört, ist ihr all zu früh eingeleiteter Start. Das Breslauer Opernorchester unter Bassem Akiki, einem gebürtigen Libanesen mit Kapellmeisterausbildung und Philosophiestudium, hat die Ouvertüre gerade begonnen, da gibt der brasilianische Regisseur André Heller-Lopes bereits den Blick frei auf den Schauplatz des Figaro. Eine Fahrigkeit, die die Klangrede aus dem Orchestergraben unweigerlich zur Bühnenmusik degradiert. Unverstanden bleibt, dass diese musizierte Eröffnung voller dramatisch-prophetischem Potenzial steckt. Sie ist es, die um die Stärken wie die Gefährdungen der Geschlechterbeziehungen weiß, die in vier nachfolgenden Akten entfaltet werden.

Hinzukommt ein weiteres Missverständnis. Dass der Figaro dezidiert in der Gegenwart seiner Entstehungszeit spielt – im Schloss des Grafen Almaviva, Aguasfrescas bei Sevilla um 1780 – ist dieser historisierenden Ausstattungsinszenierung an keiner Stelle anzumerken. Deren Hauptaugenmerk gilt der sich munter drehenden Bühne, die man vollgestellt hat mit maurisch-arabesk angehauchten Kästen, Treppen, Bögen, Toren und einem, ausgerechnet, unbenutzt bleibenden Himmelbett, womit die Regie, ganz und gar unfreiwillig, zu Protokoll gibt: Was wir hier machen, liebes Publikum, hat mit Euch, hat mit Eurer Welt da draußen nichts zu tun. Wir machen Oper. Eine Nicht-Haltung zum Stück, die in der Konsequenz ihre eigene Überflüssigmachung betreibt. Immer nur neu ausstatten zu wollen, muss jede Inszenierung in den Sinkflug zwingen. – Was also bleibt von Breslau?

In jedem Fall, dass dort schön musiziert wurde: seitens des städtischen sinfonischen Orchesters, dessen gepflegte Spielkultur sich problemlos aus dem Graben vermittelt ebenso was das junge Gesangs-Ensemble des Hauses angeht, dessen Elan diese Aufführung überhaupt trägt. Sitznachbarin Marianna sieht es wohl ähnlich, jedenfalls ist das einer Körpersprache zu entnehmen, die mir hierzulande eher selten unterkommt. Wenn Susanna, die an diesem Abend eine Aleksandra Laska ist, in ihre Arien, Duettinos, Terzette einsteigt, wenn sie kokett ihren zudringlichen Grafen Adam Kutny in die Schranken verweist, sind Mariannas Augen ganz weit und glänzen. Ist die Arie zu Ende, klatscht sie, wie es die Kinder machen, schnell und hell. – Irgendwann fällt der Vorhang, und der stumme Diener der Breslauer Oper verabschiedet sich, wie er uns begrüßt hat: elegant.

Georg Beck