O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jörg Landsberg

Aktuelle Aufführungen

Selbstfindung zwischen Mensch und Natur

DAS SCHLAUE FÜCHSLEIN
(Leoš Janáček)

Besuch am
24. September 2021
(Premiere)

 

Theater Bremen

Die Oper Das schlaue Füchslein basiert auf einer Fortsetzungs-Erzählung von Rudolf Těsnohlídek, die 1920 in einer vom Komponisten gelesenen Tageszeitung erschien. Der mit Wald und Natur verbundene Förster in diesem 1924 im Nationaltheater Brünn uraufgeführten Spätwerk von Leoš Janáček begegnet bei seinen Wanderungen durch Wald und Natur dem Füchslein Schlaukopf. Für beide entspannt sich eine erotische Zauberstimmung, die als elementare Naturkraft Faszination und Antrieb für die Handlung darstellt. Bei den Abenteuern des Füchsleins treten Tiere mit ausgesprochen menschlichen Eigenschaften auf und Menschen, die von der Natur verzaubert werden. Das Abenteuer des Lebens im Wald führt das Füchslein von Kindheit, wilden Spielereien und Verliebtheit schließlich zu einer großen eigenen Kinderschar und plötzlichen Tod durch einen Wilderer. Eine Bühnenproduktion des Werkes erfolgte lange Zeit entweder mit einem Arsenal putziger, als Tiere kostümierter Sänger oder als Sinnbild für eine melancholische Abschiedsstimmung eines alternden Komponisten mit verklärtem Blick auf das vergangene Leben.

Das muss aber so nicht sein, wie Tatjana Gürbaca in ihrer neuen Bremer Realisierung des Werkes jetzt zeigt. Hier gibt es eine immer wieder überraschende, weitgehende Überlappung der Sphären. Man merkt oft gar nicht, dass im Moment Tiere mit so altbekannten menschlichen Charakterzügen und Schwächen agieren, oder der Förster eine Hinwendung zur Ursprünglichkeit des Füchsleins empfindet, die ihn an die alte, wohl vergangene Zeit der Liebe zu seiner Frau erinnert. Er stattet das Füchslein mit Stiefeln aus, deren Einengung es nur als Einschränkung seiner Freiheit empfinden kann. Auch die Verbindung des Füchsleins zum Fuchs, mit dem es schnell eine Kinderschar in Mannschaftsstärke hat, weist eine Zuneigung und Innigkeit auf, die jeder Mensch sich wohl genauso wünschte. Diese schwebende Verstrickung der Welten von Mensch und Tier wird noch durch die Mitwirkung von nicht weniger als zehn Mitgliedern des Kinderchores gesteigert. Die Kinder übernehmen dabei Rollen wie den jungen Frosch oder die Heuschrecke und andere Waldbewohner.

Die Bühne von Henrik Ahr ist dominiert durch einen schräg gestellte, helle Kreiskonstruktion, die alle Ensemblemitglieder zum Balancieren während ihrer Auftritte zwingt und durch Drehung im Untergrund den Dachsbau sichtbar werden lässt. Die Szene mit den fantasievollen Kostümen von Silke Willrett präsentiert sich in der atmosphärisch gelungenen Lichtregie von Stefan Bolliger nicht selten im warmen Abendlicht, aber noch häufiger im silbernen Mondlicht.

In der von Christoph Heinrich glänzend gesungenen und dargestellten Rolle des Försters kommt es zu der am intensivsten erlebten emotionalen Begegnung der Sphären. In ihm streiten die Sehnsucht nach vergangener Lebensintensität und Liebe mit der Erkenntnis von Vergänglichkeit nach dem Tod des Füchsleins. Die Verzweiflung an diesem Zwiespalt spielt der Sänger auch körperlich eindrucksvoll und bewegend aus. Er findet am Ende Ruhe durch das Sich-Fügen und Annehmen des ewigen Kreislaufs der Natur, ohne die der Mensch nicht existiert. Die Apotheose des Werkes nach dem Tod des Füchsleins vermittelt genau diese Botschaft. Heinrich schont sich stimmlich und darstellerisch nicht und gelangt in aller Leidenschaft dabei auch mitunter an die Grenzen seiner ausdrucksstarken Bass-Stimme.

Marysol Schalit fügt mit dem Füchslein ihrem umfangreichen Repertoire eine weitere Partie hinzu und vermag durch die unverstellte und unbezähmbare Jugendlichkeit zu überzeugen. Das Gespür der Sängerin für die intrikate Musiksprache Janáčeks gewährleistet ein Rollenporträt von anrührender Innerlichkeit und Tiefe.

Auch Nadine Lehner erweitert mit dem Fuchs ihr Rollenrepertoire am Bremer Haus. Sie bewegt sich stimmlich auf dem ihr eigenen, hohen Niveau. In der Darstellung bewegt ihr stiller und scheinbar unbewegter Abgang nach dem plötzlichen Tod ihres geliebten Füchsleins als Beispiel für eine archaische Andersartigkeit der Welt der Tiere ganz besonders.

Zum überzeugenden Ensemble gehören weiterhin Christian-Andreas Engelhardt als Der Schulmeister und Mücke, Daniel Eggert als Der Pfarrer und Dachs sowie Stephen Clark als der Wilderer.

Kinderchor und Chor unter der Leitung von Alice Meregaglia bestechen durch eine überzeugende Aneignung der so spezifischen Janáčekschen Stimmführung.

Generalmusikdirektor Marko Letonja leitet die Bremer Philharmoniker und gibt mit dieser Produktion seinen Einstand. Gespielt wird eine kammermusikalische Fassung von Jonathan Dove. Das erfolgt nicht aus Corona-Einschränkungen oder weil gar die komplexe Partitur zu anspruchsvoll wäre, sondern aufgrund der von Letonja erkannten Chance, Janáčeks sehr spezifische Tonsprache neu hörbar zu machen. Und das gelingt auf frappierende Weise.

Nachdem auch wohlmeinende Freunde zu Lebzeiten das Klangbild „verbessert“ haben oder als schroff empfundene Tongebungen abgemildert haben, folgten ganze Generationen, die das Klangbild romantisch, sprich mit möglichst dickem Strich und großer Besetzung aufgeladen und klangschön übersetzt haben. Erst nach der Revision durch John Tyrrell und Charles Mackerras fand man zu einem durchsichtigen Spiel zurück. Dabei waren die letzten Jahrzehnte durch Interpretationen gekennzeichnet, die gerne dissonante Cluster und dynamische Zuspitzungen betont haben.

Aber jetzt, auf der Basis der weiterentwickelten Orchesterkultur und der filigranen Durchsichtigkeit der vorliegenden Fassung sowie vor allem den herausragenden solistischen Leistungen im Bremer Orchester findet Letonja zu einem gewissermaßen neu-romantischen Bogen ohne künstliche Klangballungen oder rhythmische Zuspitzung. Janaceks auf Volksmusik und Naturklängen basierende, so empathische Musiksprache kommt so glänzend zur Geltung.

Die großen Leistungen des gesamten Ensembles werden vom Publikum lange gefeiert.

Achim Dombrowski