O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jörg Landsberg

Aktuelle Aufführungen

Hass- und Gewaltrausch

EIN MASKENBALL
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
7. November 2018
(Premiere am 21. Oktober 2018)

 

Theater Bremen

Die Opernsparte des Bremer Theaters verfolgt eine nachhaltige Ensemblepolitik: Nicht nur die Sänger der Produktionen werden nach Möglichkeit regelmäßig überwiegend aus den eigenen Reihen besetzt, auch die Regisseure und ihre Teams kehren mit einer gewissen Regelmäßigkeit an das Haus zurück. Nach Rigoletto und Barbier von Sevilla inszeniert Michael Talke nun Ein Maskenball von Giuseppe Verdi.

Talke und seinem Team geht es vorrangig darum, die potenziell gefährliche Dynamik in einer durch und durch verstellten oder verlogenen Gesellschaft zu zeigen, die sich durch Ablenkung oder Verdrängung von Konflikten immer weiter in einen rauschhaften Strudel von Verstrickung und Gewalt mit tödlichem Ausgang manövriert.

Der König liebt die Frau seines besten Freundes und politischen Gefolgsmannes. Als sein Verrat dem Freund bekannt wird, schließt sich dieser einer politisch motivierten gewalttätigen Gruppe an, die den Herrscher ermorden will. Die Motive dieser Verschwörergruppe liegen in den politischen Konflikten der Vergangenheit, die in deren Familien unheilbare Wunden geschlagen haben. Als der König sich in einer Haltung des Verzichts von der Frau seines Freundes lossagen und auf seine Liebe verzichten will, ist es bereits zu spät: Die losgetretene Welle des Hasses reißt ihn auf einem Maskenball durch die Hand seines gewaltberauschten Freundes in den Tod.

Die politische Komponente einer solchen Gewaltandrohung in einer monarchistischen Gesellschaft führte zur Zeiten Verdis zu langen und für den Komponisten unerquicklichen Diskussionen mit der Zensur. Im Zuge der Auseinandersetzungen musste er sogar aus Neapel fliehen.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Die Inszenierung zeigt deutlich die zunächst unterdrückte, dann sich Bahn greifende Gewalt aus Rache auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene einer nicht verstandenen, subjektiv oder objektiv Unrecht erleidenden Zahl von Individuen und Gruppen, die nicht untereinander kommunizieren, sich immer tiefer verstricken, bis der politisch oder privat motivierte Mord wie unausweichlich geschieht.

Im Bühnenbild von Barbara Steiner lösen sich die Bauten im Laufe der Handlung immer mehr auf, sie fallen wie hohle Kulissen in sich zusammen. Da kann auch das bunte und strahlende Bild des Maskenballs am Ende nichts mehr ändern. Die Kostüme von Regine Standfuss im exaltierten Schmuddelbarock sowie die bei Solisten und Chor durch schwarz bemalte Augenhöhlen teilweise wie Lemuren agierenden Gestalten tragen zum Bild einer verkleideten, vergnügungssüchtigen, party-gierigen Höflingsgesellschaft bei. Die Lichtgestaltung hatte Christopher Moos. Gustavo und Amelia in ihrer Liebe sind darin verloren.

Die Regie überzeugt konzeptionell, erschließt sich jedoch im Programmheft überzeugender als auf der Bühne, die durch die beschriebene, sehr dominante Gestaltung der Bild- und Kostümwelt sowie eine mitunter mangelnde Personenführung leider oft statisch bleibt.

Sehr überzeugend allerdings gelingt die Charakterisierung Renatos und dessen Paarbeziehung mit seiner Frau Amelia. Die beiden Protagonisten lassen uns in eine tief-frustrierte Ehe blicken, in der sich die beiden Partner nichts mehr zu sagen haben. Daran ändert ganz offensichtlich auch das Kind des Paares nichts mehr. Birger Radde als Renato spielt und singt diesen verstummten und verzweifelten Mann in all seiner Begrenzung und schmerzlichen Ausweglosigkeit. Nach dem entdeckten Verrat durch seinen Freund und König ist er nicht mehr in der Lage, sich anders aus dieser Situation zu befreien als durch Gewalt und Mord. Eine eindrucksvolle, archetypische Charakterstudie, dabei glänzend gesungen. Patricia Andress als seine Frau Amelia kann die Verzweiflung und tiefe Zerrissenheit zwischen den Männern sehr glaubhaft spielen. Ihre stimmliche Gestaltung lässt keine Wünsche offen, und ihre makellose Kantilene lässt tiefes Mitgefühl mit ihrer ausweglosen Lage empfinden.

Luis Olivares Sandoval als König Gustavo lässt seinen in Bremen bewährten Belcanto-Tenor in uneingeschränkter Strahlkraft und Finesse erstrahlen. Ihm gelingt auch gegen Ende der Handlung ein überzeugender Umschwung mit der Absicht auf den Verzicht seiner Amelia, der jedoch zu spät kommt.

Iryna Dziashko glänzt und brilliert in den Koloraturen des Pagen Oskar, nicht ohne auch darstellerisch den hinter der Fassade schlummernden Abgründen Gestalt zu geben. Romina Boscolo überzeugt als einziger Gast im Ensemble mit dunkel-timbrierter Altstimme als Wahrsagerin Ulrica. Erfrischend die spielfreudige, jugendliche Gestaltung des Matrosen Cristiano durch Dongfeng Xie.

Chor und Extrachor unter der Leitung von Alice Meregaglia überzeugen als Männerchor sowohl in der Verschwörergruppe wie auch in den gemischten Chorszenen zum Beispiel bei den Ballszenen.

Die Bremer Philharmoniker unter der engagierten Leitung von Marco Comin spielen einen exzellenten Belcanto-Stil bei einfühlsamer Begleitung der Sänger und sind dabei gleichzeitig in der Lage, die schnell umschlagenden Stimmungen in Partitur und Handlung ausdrucksstark umzusetzen. Comin debütiert am Bremer Haus und qualifiziert sich sogleich zu einem potenziellen Ensemblemitglied der Zukunft, der die Orchesterarbeit auf hohem Niveau prägen kann.

Das Bremer Publikum kennt und schätzt die Arbeit seiner Künstler. Großer Beifall und Bravorufe für viele Mitglieder des Ensembles.

Achim Dombrowski