O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Karl Forster

Aktuelle Aufführungen

Vom Gewitter verweht

MADAME BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)

Besuch am
20. Juli 2022
(Premiere)

 

Bregenzer Festspiele, Festspielhaus

Die Enttäuschung bei allen Beteiligten ist groß, als die erste große Neuinszenierung der Bregenzer Festspiele nach zweijähriger Zwangspause nach 59 Minuten von einer gewaltigen Gewitterfront über dem Bodensee von der Seebühne ins Festspielhaus verweht wird. Für 5300 Besucher des Puccini-Hits Madama Butterfly, der von den Veranstaltern aus unerfindlichen Gründen in „Madame Butterfly“ umbenannt wird, ist die Vorstellung vorzeitig beendet, 1700 können die zweite Hälfte des Werks wenigstens in einer „halb-szenischen“, im Grunde konzertanten Form im Festspielhaus zu Ende hören. Was zumindest das hohe musikalische Niveau der Aufführung nicht trübt.

Das Herzstück jeder Bregenzer Seebühnen-Produktion, die spektakuläre Bühnenbild-Konstruktion, kommt allerdings nur begrenzt zur Geltung. Für das fernöstliche Liebes-Drama kreierte Michael Levine ein gewaltiges, gewelltes Papierblatt, das wie vom Wind auf den See geweht wirken soll. Trotz seines Gewichts von 300 Tonnen. Damit schuf er eine Spielfläche von 33 Metern Länge und einer Höhe von 23 Metern, die die Darsteller über verschiedene, teilweise halsbrecherisch steile Pfade begehen müssen. Im Rohzustand wirkt der „Papierfetzen“ wie eine eisige Gletscherwand, erzeugt durch die raffinierte Lichttechnik von Franck Evin und überraschende Video-Effekte von Luke Halls jedoch beeindruckende Stimmungswechsel. Und darauf legt Regisseur Andreas Homoki besonders großen Wert. Ihm ist bewusst, dass die relativ aktionsarme Oper ein psychologisch fein gestricktes Kammerspiel ist, filigrane Details in der Personenführung auf der riesigen Bühne von den Zuschauern allerdings kaum wahrgenommen werden können. Umso schwerer wiegen die publikumswirksamen Lichteffekte, umso schmerzlicher trifft es das Team, dass gerade die im Festspielhaus nicht zu realisieren sind.

Immerhin kann man sich eine Stunde lang von den Möglichkeiten des szenischen Designs überzeugen. Regisseur Homoki vertraut der atmosphärischen Kraft der Bühne so stark, dass er auf aktionistischen Beipack weitgehend verzichtet. Er nutzt die langen Wege, die die Sänger bewältigen müssen, um Ruhepunkte zu schaffen und die Stimmung zur Geltung kommen zu lassen.

Foto © Karl Forster

Homoki tut gut daran, auf modische Aktualisierungen zu verzichten. Deutlich trennt er die japanische, durch das blütenweiße, papierne Bühnenbild, entsprechende Kostüme und einen ständig umhergeisternden Ahnen-Chor symbolisierte Welt der Butterfly von der hemdsärmelig selbstbewussten Aura Amerikas, ausgedrückt durch eine große Flagge. Den kolonialistischen Habitus deutet Homoki erfreulich dezent an, indem die Amerikaner die Papierwand nicht durchschreiten, sondern sich Zugänge herausbrechen müssen.

Die Gefahr, nationalen Klischees zu erliegen, ist groß. Noch schwieriger ist es, die Titelfigur angemessen zu charakterisieren: Das 15-jährige Mädchen, das seine Religion und Familie für einen leichtfüßigen Abenteurer aufgibt und in unerschütterlicher Treue drei Jahre lang mit dem gemeinsamen Kind auf die Rückkehr des Gatten wartet, der inzwischen eine Amerikanerin geheiratet hat, und das mit einem rituellen Seppuku ihrem Leben ein Ende setzt.  Homoki zeigt Cio-Cio-San nicht als unterwürfiges Naivchen, sondern als selbstbewusste Frau, die mit eiserner Konsequenz an die Kraft der Liebe glaubt, bitter enttäuscht wird und mit Entschlossenheit zum Dolch greift, mit dem sich bereits ihr Vater auf Geheiß des Kaisers umgebracht hat.

Am Pult der wie immer klangprächtig aufspielenden Wiener Symphoniker steht mit Enrique Mazzola ein Kenner der italienischen Oper, der die Süße und Dramatik der Musik mit sicherem Gespür zum Klingen bringt und den Sängern genügend Zeit zum Atmen lässt. Alle Hauptrollen sind für die 25 folgenden Aufführungen wie gewohnt mehrfach besetzt. In der Premiere beeindruckt Barno Ismatullaeva in der Titelrolle mit einem stimmlich brillanten, darstellerisch hintergründigen und alles andere als sentimentalen Psychogramm. Für die unsympathische Partie des Pinkerton bringt Edgaras Montvidas genügend tenorale Strahlkraft mit. Der Bariton Brian Mulligan verkörperte einen warm tönenden Sharpless und Annalisa Stroppa setzte mit der relativ kleinen Rolle der Suzuki markante Akzente.

Das Seebühnen-Spektakel wird in diesem Jahr durch eine Inszenierung der Opern-Rarität Sibirien von Umberto Giordano ergänzt, die ein Team aus Moskau leiten wird. Ein interessanter Beitrag im Fadenkreuz des Ukraine-Kriegs.

Pedro Obiera