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ERNANI
(Giuseppe Verdi)
Besuch am
19. Juli 2023
(Premiere)
Bei der traditionellen Suche nach einer Opern-Rarität zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele im Festspielhaus fiel die Wahl in diesem Jahr auf die frühe Verdi-Oper Ernani. Ein Werk mit einer derart skurrilen Handlung, dass man es entweder nicht ernst nehmen kann oder das man, wie Regisseurin Lotte de Beer, als Vorbote des absurden Theaters auf die Spitze treiben muss.
Das Libretto wirkt in der Tat wie eine Reise in ein unwirkliches Absurdistan. Drei Männer, der jugendliche Bandit Ernani, der greise Aristokrat Silva und der spanische König Karl buhlen um die schöne Elvira. Drei Männer, von Rache, Eifersucht, Machtbesessenheit und fragwürdigen Ehrvorstellungen zerfressen, die tieferen Liebesgefühlen keinen Raum lassen. Selbst dem Titelhelden nicht, dem einzigen Verehrer, dem Elvira ihre Gunst schenkt. Entsprechend grob geht Verdi mit den Figuren um, als wollte er sich mit der Brechstange von dem zuckersüßen Belcanto-Ballast Bellinis und Donizettis befreien. Psychologische Feinheiten sucht man vergebens, sind auch nicht beabsichtigt.
Bei Lotte de Beer, Intendantin der Wiener Volksoper, führt der zerstörerische Aktionismus der Herren in ein Inferno der Gewalt, ohne Sinn und Gewinn an Lebensqualität. Mit einem fadenscheinigen Ehrbewusstsein nimmt sich Ernani ohne Rücksicht auf die Liebe Elviras das Leben, Silva nimmt die Gastfreundschaft so ernst, dass er seinen verhassten Rivalen schont, um ihn dann durch eine Intrige in den Selbstmord zu treiben. Und König Karl, besessen von der Vorstellung, sich zum Kaiser Karl V. aufschwingen zu können, poltert wie Jarrys Roy Ubu mit koboldhafter Behändigkeit über die Bühne. Absurd, wenn er eigens das Grab Karls des Großen im Aachener Dom aufsucht, um den Geist von Karls vermeintlichem Sinn für Milde und Gerechtigkeit einzusaugen, sich nach seiner Krönung zum Kaiser jedoch eine lächerlich große Krone aufsetzt und umso brutaler gegen seine Widersacher vorgeht.
Foto © Karl Forster
Hier leisten die Statisten der Stunt-Factory und auch die Mitglieder des Prager Philharmonischen Chors akrobatische Höchstleistungen. Die Gewaltorgien sind wie ein Ballett des Grauens durchchoreografiert. Brutal wie die Wagner-Söldner, leichtfüßig wie eine Tanzcompagnie durchbrechen sie Mauern, morden, foltern und vergewaltigen. De Beer spart nicht mit Theaterblut, das reichlich an die weißen Wände von Bühnenbildner Christof Hetzer spritzt. Absurder geht es nicht. Was Elvira betrifft, gehen am Ende alle drei Männer leer aus. Sie überlebt das Massaker nicht.
Letztlich entpuppt sich das Werk als Demontage einer völlig demoralisierten Welt. Der Beifall des Bregenzer Premierenpublikums für das Regie-Team fällt recht zurückhaltend aus. Dass es angesichts dieser hoffnungslosen Zukunftsschau gelassen reagiert, kommentiert die Regisseurin so: „Ich kann mit einem Lächeln auf das Stück schauen. Es ist komisch, berührend und leider sehr, sehr tragisch.“ Wohlgemerkt: Hier ist nicht von einem Beckett-Stück die Rede, sondern von einer Verdi-Oper. Einem frühen, problematischen Werk, das ohne die szenische Überspitzung de Beers allenfalls einen Sonderplatz im Kuriositätenkabinett der Oper einnehmen dürfte.
Enrique Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker versucht erst gar nicht, die Härten der Musik zu glätten. Die wenigen wirklich kantablen Lyrismen sind kurzgehalten oder brechen abrupt ab. Selbst die alles andere als verklärenden Todesszenen Ernanis und Elviras werden nicht durch lange und erst recht nicht durch zärtliche Abschieds-Duette oder Romanzen gemildert.
Vokal stützt sich die Produktion auf ein hervorragendes Solistenquartett. Elvira, die sensibelste Rolle, füllt Guanqun Yu mit einer idealen Mischung aus Wärme und Selbstbewusstsein aus, klangschön und mit makelloser Legato-Kultur. Der Titelrolle des Ernani verleiht Saimir Pirgu mit seinem biegsamen Tenor Strahlkraft ohne jede forcierte Anstrengung. Franco Vassallo bringt mit seinem substanzreichen Bariton genügend Kraft für die brutale Rolle des spanischen Königs Karl mit und Goran Jurić kann der an sich nicht sonderlich differenzierten Partie des alten Silva mit seinem fundierten Bass einige psychologische Feinheiten abgewinnen. Einen großen Part hat der vortreffliche Chor zu leisten.
Stürmischer Beifall für die musikalischen Akteure und eher verhaltene Reaktionen auf das szenische Team. Insgesamt ein interessanter Kontrast zum Herzstück der Festspiele, Puccinis Madama Butterfly auf der Seebühne.
Pedro Obiera