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Foto © Contra-Kreis-Theater

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Noch ’n Gedicht

DER MUSTERGATTE
(Avery Hopwood)

Besuch am
18. Januar 2022
(Premiere am 7. Januar 2020)

 

Contra-Kreis-Theater, Bonn

Am 15. November 1915 fand am Eltinge Theatre in New York die Premiere des Stückes Fair and Warmer von Avery Hopwood statt. Es folgten 376 Aufführungen. Den eigentlichen Durchbruch aber feierte das Stück unter einem anderen Namen. Am 13. Oktober 1937 durfte es unter dem Titel Der Mustergatte seine filmische Uraufführung in Berlin erleben. In der Hauptrolle glänzte Heinz Rühmann, für den es eines der wichtigsten Stücke seiner Karriere wurde. Es folgten weitere Verfilmungen, und immer wieder kam der Mustergatte auch auf die Bühne. So wie bei den Schlossfestspielen Neersen 2019. Aber plötzlich ist alles irgendwie anders. Jan Bodinus, Intendant der Schlossfestspiele, nahm sich des Werks an und erfand es ein Stück weit neu. Plötzlich wurde aus dem Banker Billy Bartlett der Wirtschaftswunder-Finanzbeamte Willi Winzigmann, ein Mann, der ab 1957 zu den beliebtesten Filmfiguren der Deutschen wurde. Denn Bodinus konnte als Hauptdarsteller den Kulturjournalisten Stefan Keim gewinnen, der durch eigene Programme als Heinz-Erhardt-Imitator bekannt wurde. Ab dem 22. Juni dieses Jahres wurde das Stück auf der Freilichtbühne begeistert gefeiert, ehe es am 7. Januar 2020 auf der Bühne des Koproduzenten Contra-Kreis-Theater in Bonn zur Premiere kam.

Das Contra-Kreis-Theater ist nach eigenen Angaben Bonns ältestes Privattheater und seit 1950 in Betrieb. Heute präsentiert es sich als gemütliches Keller-Amphitheater in der Bonner Innenstadt, etwas versteckt vor der Münsterbasilika gelegen. Auf dem Spielplan findet sich Vergnügliches und Leichtverdauliches, offenbar der Stoff, mit dem sich Privattheater heute noch finanzieren können. Und so ist hier auch der geeignete Ort, um die Wiederaufnahme des Mustergatten gut zwei Jahre später zu feiern. Gerade vor einer Woche ist das Ensemble von einer Kreuzfahrt zurückgekehrt, nun ist die wunderbare Bühne von Christian Baumgärtel wieder im Kreisrund des Contra-Kreis-Theaters aufgebaut. Die Wände im 1950-er-Jahre-Stil tapeziert, im Hintergrund gleich vier Abgänge – Bad, Vorratskammer, Küche und Ausgang – vor dem Fenster eine Kombi-Musikbox, auf der sich wie im Mobiliar die 1970-er Jahre einschleichen. Ein tragbarer Miniatur-Fernseher, das orangefarbene Wählscheibentelefon als die Design-Errungenschaft ihrer Zeit. Vor dem Sofa in der Mitte des Raums ein orangefarbener Designer-Tisch mit dem Ernte-23-Aschenbecher, davor zwei Sessel. Selbst für ein Tigerfell ist Platz. Ein fünfter Abgang ist der zweite Ausgang, der zum Schlafzimmer der Wohnung führt. Damit ist schon die Bühne ein Augenschmaus für Retro-Fans. Aber Nuschin Rabet legt mit seinen Kostümen noch eins drauf. Da schmerzt es vor lauter Farbdrucken schon fast in den Augen. Gut, dass Willi Winzigmann hier im beigefarbenen Anzug einen farblichen Ruhepunkt bietet. Legendär die schwarzgerahmte Brille mit dem Fensterglas, die der kurzsichtige Erhardt trug, um sein Publikum nicht so genau erkennen zu müssen.

Foto © Contra-Kreis-Theater

Die amphitheatralische Anordnung der Bühne bewirkt, dass das Publikum unmittelbar an den Akteuren auf der Bühne dran ist. Daran muss man sich erst mal gewöhnen. Die Geschichte bleibt im Grundgerüst gleich. Winzigmann ist Finanzbeamter und ein wahrer Mustergatte. Er liebt gleiche Abläufe, seine Kreuzworträtsel und seine Frau Wilma, mit der er mehr als drei Jahre verheiratet ist. Exzesse irgendwelcher Art sind ihm fremd, Alkohol ist ihm ein Graus. Wilma ist längst in den 70-er Jahren angekommen, will den Geist ihrer Zeit erleben. Da lässt sie sich gern von ihrem Ex-Freund ins Musical Hair einladen, obwohl am selben Abend die Nachbarn Hein und Blanche Becker erwartet werden. Hein mimt den Frauenhelden, ehe er sich zum Kartenspiel verabschiedet. Blanche und Willi beschließen, es den Ehegatten mal so richtig zu zeigen und bleiben zusammen in der Wohnung zurück. Schnell werden die versteckten Alkoholvorräte Wilmas ausfindig gemacht und zu einem Wolkenkratzer-Cocktail verarbeitet. Zaghafte Annäherungsversuche funktionieren nicht richtig, und schließlich sind die beiden froh, dass sie endlich schlafen können. Sie werden von den Ehepartnern entdeckt, es kommt zum üblichen Wirrwarr und zum Happy End. Boulevard vom Feinsten eben. Bodinus sorgt für ausreichend Bewegung auf der Bühne, um nicht eine Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen, und Kerstin Bruhn hat mit den Protagonisten wunderbare Tanzszenen zur 70-er-Jahre-Musik eingeübt, die zwar ungelenk wirken, aber vermutlich auch genau so sein sollen.

Die Besetzung ist großartig, und man glaubt den Darstellern ohne Weiteres, dass sie bis heute selbst großen Spaß am Auftritt haben. Stefan Keim hat aufgehört, Erhardt zu imitieren und spielt stattdessen einen bis in die pomadierten Haarspitzen glaubwürdigen Willi Winzigmann. Wilmas Texte sind nicht sonderlich ausgefeilt, aber eisern spielt Reinhild Köhncke darüber hinweg und zeigt den Zuschauern gleich, warum sie für den älteren Finanzbeamten gleichermaßen attraktiv wie für den jugendlichen Liebhaber ist. Blanche Becker tritt anfangs sehr zurückhaltend auf. Fast schon ein wenig enttäuschend. Allmählich baut Michaela Schaffrath die Rolle auf und erweist sich als ausgesprochen spielfreudige Darstellerin, die noch hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Martin Ross zeigt den vorgesehenen überdrehten Hein, der im Boulevard zuhause ist. Arg aufdringlich präsentiert Raphael Souza Sá den jungen Freddy Frediksen. Ein bisschen weniger schwül hätte auch noch funktioniert.

Das Publikum, gerade mal etwa ein Viertel der möglichen Plätze sind an diesem Abend verkauft, lässt sich nach und nach auf das Stück ein, applaudiert immer häufiger passend und unpassend und klatscht schließlich zu Staying Alive und ähnlicher Musik ausgelassen mit. Am Ende des Abends ist der letzte Skeptiker hinter der Maske überzeugt und kennt kein Halten mehr. 16 Aufführungen sind bis Februar noch vorgesehen. Wer mal für zwei Stunden einfach nichts von Impfungen, Schulschließungen und einer Außenministerin hören will, die gerade das deutsche Sendungsbewusstsein wiederentdeckt hat, ist hier bestens aufgehoben. Herrliche Wortdreher lenken ebenso wie komische Gedichte und vereinzelt ganz altmodische Zoten ab vom ideologischen Neusprech der Medien, den man wirklich nicht mehr hören kann. Das allein lohnt den Besuch in Bonn, ganz abgesehen von einem herrlich inspirierten Ensemble, einer witzigen Ausstattung und einer ungewöhnlichen Atmosphäre im Contra-Kreis-Theater.

Michael S. Zerban