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Tumulte wie bei der Deutschen Erstaufführung 1959 in Berlin provoziert Arnold Schönbergs fragmentarische Oper Moses und Aron zwar längst nicht mehr. Doch verlangt sie noch immer jedem Opernhaus einen musikalisch und szenisch derart gewaltigen Kraftakt ab, dass die Zahl der Aufführungen in den letzten 60 Jahren überschaubar geblieben ist. Zumal auch dem Publikum ein hohes Maß an Konzentration und Aufnahmebereitschaft abverlangt wird. Im Rheinland ist es in langen zeitlichen Abständen bisher nur in Düsseldorf, Köln und bei der Ruhrtriennale gezeigt worden. Umso willkommener ist eine Neuproduktion der Bonner Oper zu begrüßen, die vom Premierenpublikum mit großem, uneingeschränktem Beifall goutiert wird.
Die ersten zwei auskomponierten Akte fertigte Schönberg bereits in den Jahren 1931 und 1932 vor seiner Emigration in die USA an, bevor er sich, der zum lutherischen Glauben konvertierte Jude, 1933 demonstrativ zu seinen jüdischen Wurzeln bekannte. In seiner Oper personifiziert er diverse Gottesvorstellungen durch das Brüderpaar Moses und Aron. Die Konfrontation eskaliert ohne Versöhnung und lässt die Brüder am Ende des zweiten Akts ratlos zurück. Eine Lösung findet Schönberg auch nicht im Text des dritten Akts, den er zwar verfasste, aber aus nachvollziehbaren Gründen unkomponiert ließ. Das offene Ende der Oper wird so zum Programm des Werks.
Foto © Sebastian Hoppe
Mit seiner dogmatischen Vorstellung von dem „einzigen, ewigen, allgegenwärtigen, unsichtbaren und unvorstellbaren Gott“, der das Volk Israels aus der Knechtschaft befreien soll und ihm ein Land verheißt, in dem „Honig und Milch fließen“, überfordert Moses die Glaubensfähigkeit des Volks. Sein redegewandter Bruder Aron vermag die Menschen immerhin mit einigen spektakulären Zaubertricks dazu zu bewegen, Moses auf dem Auszug aus Ägypten zu folgen. Als Moses das Volk jedoch 40 Tage lang allein lässt, um in der Einsamkeit des Berges Sinai die Gebote Gottes zu empfangen, erweist sich Moses‘ Vorstellung vom „unvorstellbaren“ Gott für die Menschen als Illusion. Die sich gegen Aron aufschaukelnde Wut und Verzweiflung führt zum sichtbaren Bild des „Goldenen Kalbs“, mit dem die Menschen ihre materiellen und sexuellen Bedürfnisse ausleben und ihr Gottesbild sichtbar machen können. Der zurückkehrende Moses sieht schließlich seine Mission, die Menschen von der Kraft eines abstrakten, unsichtbaren und unvorstellbaren Gottes zu überzeugen, als gescheitert.
Ein Werk, das viel über Glaubenszweifel Schönbergs verrät, aber auch über die Unsicherheit der Menschen im Umgang mit dem eigenen Glauben und mit vermeintlichen oder tatsächlichen Heilsbringern. Der Aufstieg der Nationalsozialisten zur Entstehungszeit der Oper ist schließlich ein Musterbeispiel für die Verführbarkeit des Volks durch einen Sieg und Heil versprechenden Führer.
Auf direkte Anspielungen auf die Entstehungszeit verzichtet Regisseur Lorenzo Fioroni konsequent und konzentriert sich auf den religiösen Aspekt der Oper und das zeitlos aktuelle Problem der Verführbarkeit des Menschen. Anfänglich in naiv pittoresken, wie einer Kinderbibel entnommenen Bildern, in denen Moses und Aron wie Kasperlepuppen über die Bühne trippeln und niedliche Schäfchen streicheln und den Worten Gottes aus einem putzig brennenden Dornbusch lauschen. Die kindliche Attitüde lassen beide fallen, als sie beginnen, das in schwarze elegante Roben des 19. Jahrhunderts gekleidete Volk von ihrer Mission zu überzeugen. Unter anderem mit einer eindrucksvollen Videoproduktion des sich in eine Schlange verwandelnden Hirtenstabs. Zum Aufbruch in die Wüste streifen sie ihre Kostüme ab und folgen Moses und Aron in blütenweißer Unterwäsche.
Foto © Sebastian Hoppe
Das alles geschieht mit einer beklemmend dynamischen Führung der grandiosen Protagonisten und des riesigen, durch das Vocalconsort Berlin verstärkten Opernchors. Und zwar mit einem Druck, der die Spannung des ersten Akts zum Bersten bringt. Einen unerwartet scharfen Schnitt setzt der Regisseur zum zweiten Akt, in dem das Volk während der Abwesenheit Moses dem „Goldenen Kalb“ huldigt. Das Götzenbild ist aber in Bonn ebenso wenig zu sehen wie die Menschen. Als Masse ebenso wenig wie in den Ensembles mit den opferbreiten Greisen, den nackten Jungfrauen und verzückten Jünglingen. So ekstatisch die Musik aufschäumt, so konsequent entzieht sich Fioroni jedem Versuch, die ausgedehnte Szene als Gewalt- und Sexspektakel darzustellen. Die Sänger sind allesamt im Background postiert, sichtbar wird lediglich eine enge Kammer, in der Moses von den herab prasselnden Geboten Gottes geradezu erschlagen wird. Gebote in Form von Müll und Requisiten. Verzweifelt rennt er gegen die Wände, reißt sich die Kleider vom Leib, beschmiert sich und die Kammer mit roter und schwarzer Farbe und scheint eher vom Teufel besessen als von Gott gesegnet zu sein. Nach seiner Rückkehr trifft er auf ein Leichenfeld und seinen eingeschüchterten, in sich versunkenen Bruder, der den Exzess nicht verhindern konnte.
Es ist eine diskussionswürdige Lesart des Werks, die der Regisseur präsentiert. Ebenso wenig durchgängig schlüssig wie Schönbergs Antworten auf zentrale Fragen des Glaubens und der Menschheit. Eine harte Darstellung, die in dem souveränen Dirigat Dirk Kaftans ihre musikalische Entsprechung findet. Das komplexe Zwölf-Ton-Geflecht der Partitur heizt er mit expressivem Druck auf und behält selbst in den massivsten Chorpassagen den Überblick. Und Chordirektor Marco Medved ist es gelungen, die wohl schwierigste Chorpartie der Opernliteratur bewundernswert präzise einzustudieren. Schließlich hat der Chor neben den beiden Protagonisten die größten und diffizilsten Aufgaben zu bewältigen.
Die von Schönberg rezitativisch angedeutete Sprechrolle des Moses verkörpert Dietrich Henschel mit geradezu alttestamentarischer Strenge und Größe. Im Kampf mit den Zehn Geboten während des Tanzes um das „Goldene Kalb“ leistet er mit akrobatischer Gewandtheit körperliche Schwerarbeit. Kongenial stellt Martin Koch den Aron mit seiner stimmlichen Eleganz als eine Figur dar, die als Antipode zum strengen Moses den Aron nicht als eitlen Populisten versteht, sondern als Menschen, der Verständnis für die spirituellen Grenzen und Bedürfnisse der Menschen zeigt. Beides vorbildliche Leistungen.
Das Bonner Theater begleitet die außergewöhnliche Produktion mit einem ausführlichen Programmheft inklusive Libretto, einer sehenswerten Ausstellung im Foyer sowie einem umfangreichen Rahmenprogramm.
Pedro Obiera