O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bildschirmfoto

Aktuelle Aufführungen

Kunst im Dialog

LICHTBRINGER
(Richard Wagner, Arnold Schönberg, Ludwig van Beethoven)

Gesehen am
5. März 2021
(Premiere/Stream)

 

Bundeskunsthalle Bonn

Max Klinger und das Kunstwerk der Zukunft, so heißt eine monumentale Ausstellung, die derzeit in Kooperation mit dem Museum der bildenden Künste Leipzig in der Bundeskunsthalle Bonn gezeigt wird. Für den Grafiker, Maler und Bildhauer Max Klinger, der von 1857 bis 1920 lebte, stellte die Musik eine wichtige Inspirationsquelle dar. Er unterhielt Kontakte zu führenden Musikern seiner Zeit und widmete den Komponisten Beethoven, Wagner und Brahms herausragende Werke. Sein berühmtes Beethoven-Denkmal aus dem Jahr 1902 markiert den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn und gilt gleichzeitig als herausragendes Beispiel romantischer Beethoven-Verehrung. Angeregt von Richard Wagner, strebte Klinger die Überwindung von Gattungsgrenzen im Sinne eines Gesamtkunstwerks an, in dem Malerei, Plastik, Grafik, Architektur – möglichst auch Musik – zu einer harmonischen Einheit verschmelzen. Dieser künstlerische Ansatz spiegelt sich auch in der Gestaltung der Bonner Max-Klinger-Ausstellung wider und lädt zu einer Erweiterung des klassischen Kunstbegriffs durch die Musik ein. Die emotionale Wechselwirkung zwischen diesen beiden Schwesterdisziplinen ermöglicht eine ganz besondere Kunsterfahrung und eröffnet neue Erlebnishorizonte. Im Mittelpunkt der Ausstellung, die rund 200 Werke aus allen Schaffensbereichen Klingers umfasst, steht die monumentale Beethoven-Skulptur von 1902. Dieses Ausnahmewerk gilt als Höhepunkt der spätromantischen Beethoven-Verehrung und bildet einen Beitrag zum Beethoven-Jahr 2020.

Um diesen Erlebnisraum mit Musik zu füllen und die Ausstellung als Gesamtkunstwerk zu präsentieren, gibt es ein einzigartiges Konzert des Beethoven-Orchesters Bonn in Kooperation mit der Bundeskunsthalle Bonn. Unter dem bezeichnenden Titel Lichtbringer – Beethoven Orchester Bonn meets Max Klinger soll die Verbindung von Musik und Kunst greifbar gemacht werden. Den Auftakt machte das Siegfried-Idyll E-Dur WWV 103 von Richard Wagner. Der Titel der Urfassung dieser symphonischen Dichtung lautete Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als Symphonischer Geburtstagsgruss. Seiner Cosima dargebracht von Ihrem Richard. Richard Wagner komponierte das rund zwanzigminütige Orchesterwerk heimlich im Jahr 1870. Er schrieb das Werk für seine Frau Cosima zur Erinnerung an die Geburt ihres ersten Sohnes Siegfried, auch „Fidi“ genannt.

Bildschirmfoto

Uraufgeführt wurde es im engsten Familienkreis am 25. Dezember 1870, der zugleich Cosimas 33. Geburtstag war, durch Mitglieder des Zürcher Tonhalleorchesters auf einer Treppe in Wagners Landhaus Tribschen bei Luzern, wobei die engen Platzverhältnisse eine Kammerbesetzung nötig machten. Da die Komposition als Geschenk für Cosima gedacht war, verweigerte sie lange die Veröffentlichung des Werkes. Wagner verwendete vornehmlich Motive mit idyllisch-verklärenden Klangfarben aus seinem Musikdrama Siegfried, dem dritten Werk der Tetralogie Der Ring des Nibelungen. Das Beethoven-Orchester Bonn unter der Leitung seines GMD Dirk Kaftan spielt in Kammerorchesterbesetzung diese wunderbare symphonische Dichtung sehr filigran und zart und betont dabei die verschiedenen Klangfarben, die das musikalische Idyll auch emotional greifbar werden lassen. Durch die Kameraführung, die immer wieder einzelne Musiker aus dem Orchester im Kontrast zu den Exponaten der Ausstellung zeigt, ist tatsächlich auch im Stream die Aufführung als Gesamtkunstwerk zu verstehen. Die geschickte Einblendung einer Richard-Wagner-Skulptur zum Finale des Idylls unterstreicht die besondere Verbundenheit von Max Klinger zu Richard Wagner sowohl optisch als auch musikalisch.

Das zweite Stück an diesem Abend ist die Verklärte Nacht op. 4 in der Fassung für Streichorchester von Arnold Schönberg. Der Komponist verbrachte den Sommer des Jahres 1899 zusammen mit Alexander Zemlinsky in Payerbach, das südlich von Wien gelegen ist. Dort verliebte er sich in Mathilde Zemlinsky, die jüngere Schwester seines Freundes und Lehrers. Derart inspiriert komponierte er noch gleich an Ort und Stelle innerhalb von nur drei Wochen das Streichsextett Verklärte Nacht nach einem Gedicht von Richard Dehmel. Schönberg schrieb die Verklärte Nacht in seiner ersten, tonalen Schaffensphase. Das Opus 4 trägt zwar bereits die Zeichen der kommenden Neuerungen in sich, ist aber noch fest in der Musiktradition verwurzelt. So ist es nicht verwunderlich, dass der Tondichter der Komposition große Bedeutung beimaß und sie als seine erste wirklich vollgültige ansah – eine Wertschätzung, die sich auch in den beiden Bearbeitungen für Streichorchester aus den Jahren 1917 und 1943 zeigt. Das fünfstrophige, der Partitur vorangestellte Gedicht beschreibt den Gang eines Paars im Mondschein, bei dem die Frau ihrem Liebhaber gesteht, dass sie von einem anderen ein Kind erwartet. Dabei trifft sie auf großmütiges Verständnis bei dem Mann, der das Kind als eigenes annehmen will. Kaftan und dem Beethoven-Orchester Bonn gelingt es, die Ekstase in diesem Werk klangmalerisch herauszuarbeiten, ohne die Zerbrechlichkeit an bestimmten Stellen zu verlieren. Die wunderbaren Geigen- und Cello-Soli in dieser Orchester-Fassung werden sensibel betont, und die Darstellung der Ausstellungsexponate verstärken den emotionalen Effekt der Musik.

Bildschirmfoto

Natürlich darf in der Bundeskunsthalle, in der ein Beethoven-Orchester spielt, ein Stück des großen Bonner Komponisten nicht fehlen, zumal mit dem großen Beethovendenkmal von Max Klinger die Verbindung ja schon hergestellt ist. Und so spielen Kaftan und seine Musiker den zweiten Satz, das Allegretto aus der Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 in einer Fassung für Kammerorchester von Ludwig van Beethoven. Der Satz erscheint rätselhaft und geheimnisvoll. Das Thema erinnert an eine feierliche Prozession oder einen stilisierten Trauermarsch, voller Schwermut und Wehmut. Zu diesem Satz, der bei der Uraufführung am 8. Dezember 1813 in Wien sogar wiederholt werden musste, gibt es eine schöne Anekdote. Als Franz Liszt mal wieder zu Besuch im Hause Wahnfried war, setzte er sich ans Klavier und spielte diesen zweiten Satz. Siegfried Wagner erinnerte sich daran, wie sein alter Vater Richard dann unbemerkt den Raum betrat, um ganz anmutig und geschickt zu der Melodie zu tanzen. Der Dirigent Felix Weingartner soll zu dem ersten Akkord dieses Satzes gesagt haben, es „sei wie der Blick in einen Zauberspiegel. Und in diesem Zauberspiegel sieht man wie in einem Schattenreich in der Ferne Gestalten vorbeiziehen, die näher kommen und wieder verschwinden.“ Der ganze zweite Satz sei „eingefangen zwischen zwei Bläserakkorden, mit denen der Satz beginnt und endet, und der Blick in den Raum sich schließt.“ Der Satz habe auch einen großen Einfluss auf Franz Schubert gehabt, vor allem auf seine Liedkompositionen, die häufig das Thema Tod zum Inhalt haben. Und so schließt sich das Stück in seiner Wirkung, insbesondere wiederum in Kombination mit den sorgsam komponierten Kamerafahrten, die besonders das Beethoven-Denkmal Klingers mit dem großen Adler zu Füßen des Komponisten in unterschiedlichen Perspektiven einfangen, an die ersten beiden Werke an.

Vor dem Konzert und zwischen den einzelnen Werken tritt Dirk Kaftan in einen Dialog mit Eva Kraus, der Intendantin der Bonner Bundeskunsthalle und mit der Kuratorin der Max-Klinger-Ausstellung, Agnieszka Lulinska. Die Dialoge betrachten das Konzert im Rahmen einer Kunstaustellung aus den unterschiedlichen Perspektiven und verdeutlichen die unterschiedlichen Beziehungsebenen, die Musik und bildende Kunst zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Unter dem mehrdeutigen Titel Lichtbringer und der kammermusikalischen Interpretation dreier großer Werke ist ein wunderbares Konzert gelungen, dass alle Sinne anspricht und in diesen schwierigen Zeiten tatsächlich so etwas wie Licht vermittelt hat. Das Konzert ist in der Mediathek der Bundeskunsthalle und des Beethoven-Orchesters Bonn kostenfrei abrufbar.

Andreas H. Hölscher