O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Eine Stadt im Tanzfieber

BEAT BEETHOVEN
(Cocoondance Company)

Besuch am
24. Juli 2020
(Premiere am 23. Juli 2020)

 

Cocoondance Company, Bonn, Innenstadt

Es war, als sei der zeitgenössische Tanz plötzlich ausgelöscht. Weggewischt. Von heute auf morgen von der Bildfläche verschwunden. Es gab ein paar halbherzige Versuche, im Internet sichtbar zu bleiben, nach der Lockerung des Shutdowns die eine oder andere Veranstaltung für ein paar Besucher. Aber die Zentren, in denen sich üblicherweise Choreografen und ihre Tänzer aus der ganzen Welt präsentieren, wechselten nahezu übergangslos vom Shutdown in die Sommerpause. Als trügen sie keine Verantwortung, hielten sie die Türen geschlossen, offenbar finanziell ausreichend ausgestattet, um sich diesen verfehlten Luxus zu leisten. Die Leidtragenden waren neben dem Publikum vor allem die Solisten. Welcher Schaden daraus langfristig für die Tanzszene resultieren wird, ist noch gar nicht absehbar.

Die Cocoondance Company von Choreografin Rafaële Giovanola und Dramaturg Rainald Endraß hat jetzt ein Zeichen gegen das Vergessen gesetzt. Von den Behörden lange hingehalten, können sie endlich den lange geplanten Stadt-Parcours umsetzen. Das mediale Interesse ist – auch mangels anderer Themen – groß. Zehn Tanzstationen hat die Company im Bonner Stadtzentrum installiert. Ein zusätzlicher Dance Mob schließt die Tagesveranstaltung ab. Die eigentliche Idee war, dass Passanten zufällig auf die Tanzstationen stoßen und deshalb weitere Präsentationen besuchen. Nach der Vorstellung der Verantwortlichen hätten diese Passanten den Barcode auf den zahlreich ausliegenden Plakaten gescannt und weitere Stationen besucht. Ob das funktioniert hätte, darf bezweifelt werden. Aber jede Spekulation ist ohnehin überflüssig. Denn schon im Vorfeld des Nachmittags gab es zahlreiche Menschen, die sich für die Aufführungen interessierten.

Die Junior Dance Company vor der Oper – Foto © O-Ton

Es ist das eine, mehr als zehn verschiedene Choreografien einzustudieren, und das andere, einen Parcours zu organisieren. Da müssen die Stationen im Stadtgebiet gefunden und von den Behörden abgesegnet werden. Nicht klar wird die zeitliche Einteilung. Fährt man eine Route mit dem Fahrrad ab oder läuft man an ihr entlang? Die Company hat im Vorfeld aufwändig verschiedene Wege ausgearbeitet, hier aber wenig organisatorisches Geschick bewiesen. Schließlich wird für die teilnehmenden Journalisten noch eine vierte Route ausgearbeitet. Deren Stationen liegen dicht an dicht. Zeitlich wird das zu eng, vor allem, wenn man nicht ortskundig ist. Die Choreografien dauern in der Regel zwischen fünf und sieben Minuten, da bleiben bis zum nächsten Termin acht Minuten Fußweg. So entwickelt sich der geplante Tanzspaß zur Hetze von Ort zu Ort. Für Reflektion bleibt keine Zeit. Und letztlich müssen Stationen übersprungen werden. Das ist zwar von den Organisatoren eingeplant, aber ärgerlich für die Besucher.

Die Stationen sind einheitlich aufgebaut. Eine Flagge weist auf den Veranstaltungsort hin, wenn man das weiß. Vor Ort ist der Aktionskreis der Tänzer durch eine Kreidelinie abgegrenzt, zusätzlich aufgesprühte Fußabdrücke weisen auf den Mindestabstand des Publikums hin. An jeder Station ist ein Lautsprecher aufgebaut, der von einer Aufsichtsperson bedient wird, die auch dafür zu sorgen hat, dass die Besucher die Abstände einhalten. Über die Lautsprecher erklingt – mehr oder minder deutlich hörbar – die Musik, die Jörg Ritzenhoff für diesen Anlass komponiert hat. Zwar greift der Komponist auf Werke von Ludwig van Beethoven zurück, verfremdet sie aber so stark, dass selbst Kenner dieser Musik Schwierigkeiten haben, irgendetwas daraus zu erkennen. Stattdessen stehen Rhythmus und Wiederholung im Vordergrund. Wenn man denn etwas hört. Denn die transportablen Lautsprecher bringen oft nicht die Leistung, die notwendig wäre, die urbane Geräuschkulisse zu übertreffen.

Zum Finale gibt es die Live-Musik – Foto © O-Ton

Das Gesamtprogramm wird an drei Tagen wiederholt. Als Bonner hat man also die Möglichkeit, entgangene Stationen an den anderen Tagen aufzusuchen, zumal alle Aufführungen zwei Mal am Tag gezeigt werden. Beim Besuch von außerhalb bleibt es bei Schlaglichtern. Da haben sich etwa die beiden Tänzer Frédéric Voeffray und Marko Zelenovic eine Balustrade am Stadthaus ausgesucht, die sie nach eigener Choreografie bespielen. Die Besucher finden ihren Platz auf einem höhergelegenen Plateau auf der anderen Straßenseite und können sich so der akrobatischen Leistungen erfreuen, die die beiden zur Bearbeitung der Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus darbieten. Ein paar Meter weiter am Landgericht gibt es verfremdete Klänge der Waldstein-Sonate. Tänzerin Silvia Ehnis hat hier eine Choreografie auf einer drehbaren Scheibe entwickelt. Schon geht es weiter unter die Kennedybrücke. Dort vertanzen Kilian Löderbusch und Christoph Speit die Choreografie von Ada Sternberg und Löderbusch zu dem, was von der Dritten Sinfonie übriggeblieben ist. Ein Duett in witzigen Schrittfolgen, die die wenigen Minuten rasch füllen. Eine übermäßig lange Rotphase an der Ampel sorgt für Eile, die Treppe zum Opernhaus zu erklimmen, um auf dem Vorplatz die Cocoondance Junior Company zu erleben, die zu Rafaële Giovanolas Choreografie auf die Zitate zur Fünften Sinfonie tanzt. Auch hier kurzer Applaus. Dann geht es durch die Innenstadt rasch zur Wiese am Kaiserplatz, wo bereits sechs Tänzerinnen und ein Tänzer warten, um die Choreografie von Fa-Hsuan Chen zu zeigen, die unterschiedlichste Variationen aus der Grundform der Linie entwickelt.

Giovanolas Idee, dass sich hier bereits die Besucher und Tänzer der vorangegangenen Stationen sammeln, um dann in einem gemeinsamen Umzug zum Grünstreifen an der Poppelsdorfer Allee in einer großen Kakophonie weiterzuziehen, funktioniert aus irgendeinem Grunde nicht. Immerhin ist der Zuspruch des Publikums enorm, und so stehen die Besucher dichtgedrängt an den Rändern des Grünstreifens oder sitzen am unteren Wiesenrand, während auf Kopf die Musiker Roland Peil, Alfonso Garrido und Maxim Zettel gemeinsam mit dem Komponisten ihre Instrumente aufgebaut haben. In einem großen Finale bekommen dann noch mal die Tänzer aller zehn Stationen Gelegenheit, sich zu präsentieren. Die Vorstellung Giovanolas, dass sich hier womöglich Besucher unter die Tänzer mischen, um einfach mitzumachen, erfüllt sich nicht. Ist aber auch nicht schlimm.

Auf dem Rückweg gibt es dann endlich Gelegenheit, das umfangreiche gastronomische Angebot in der Innenstadt wahrzunehmen und bei einem kleinen Abendessen das Geschehen zu reflektieren. Der Parcours war auch für die künstlerischen Leiter der Cocoondance Company eine erste Erfahrung. Und die Idee ist großartig, um den Tanz in der Stadt sichtbar werden zu lassen. Dabei auch die Stadt aus einer anderen, neuen Perspektive zu erleben, geht in der Hatz ein wenig unter. Besuchern, die zufällig an einer Tanzaufführung vorbeikommen und womöglich innehalten, bleibt kaum mehr als der Konsum. Es gibt also noch einiges Verbesserungspotenzial, wenn man diese Großveranstaltung wiederholen will. Und der Parcours ist es unbedingt wert, wiederholt zu werden, wenn nicht gar zu einer jährlichen Sommerveranstaltung ausgebaut zu werden.

Michael S. Zerban