Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
SKATEPARK
(Mette Ingvartsen)
Besuch am
12. August 2023
(Premiere)
Nach den ersten fünf Minuten war es langweilig“, antwortet der etwa zwölfjährige Junge auf die Frage seiner Mutter, wie ihm die Vorstellung gefallen habe. „Ja“, gibt die Mutter zurück, die ein paar Reihen von ihrem Sohn entfernt saß, „da hätten wir uns 70 Minuten sparen können“. Kürzer und prägnanter kann man den heutigen Abend kaum zusammenfassen. Mette Ingvartsen stellt ihr neues Stück Skatepark in der Jahrhunderthalle Bochum im Rahmen der Ruhrtriennale vor, einem vom Land Nordrhein-Westfalen hoch subventionierten, jährlich stattfindenden Festival unter der in diesem Jahr letztmaligen Leitung von Barbara Frey.
An der Kasse wird einem kein Programmheft oder Abendzettel ausgehändigt, sondern explizit auf die Audioeinführung auf der Netzseite des Festivals verwiesen. Die Seite selbst ist unleserlich, weil dort die geltenden Rechtschreibregeln nicht beachtet werden. Also weiter zur Audioeinführung. Schließlich will sich niemand dem Neuen verschließen. Wer Das Wort zum Sonntag, eine Sendereihe der Kirchen in der ARD, mag, wird sich im Tonfall gleich heimisch fühlen. Irritierend ist, dass in dem Beitrag nur von Frauen die Rede ist, am Stück werden auch Männer oder zumindest Jungen teilnehmen. Man verliert ohnehin schnell die Lust am Zuhören, weil die Sprecherin einen unerhörten Drang zu Schönfärberei, Fremdwörtern und Anglizismen hat. Also folgt man lieber dem Hinweis, den Saal bereits eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn zu betreten, weil es dort einen inszenierten Vorlauf gebe.
Im Saal ist eine Bühne aufgebaut, die von einem Architekturbüro entworfen wurde, das sich auf die Einrichtung von Skateparks im öffentlichen Raum spezialisiert hat. Das sind Anlagen, in denen verschiedene Elemente aufgestellt werden, um – bevorzugt – Jugendlichen zu ermöglichen, sich auf Rollbrettern oder Rollschuhen auszutoben, Hohlkehlen zu durchqueren und auf erhöhte Ebenen zu gelangen. Mittlerweile gehört es zum „guten Ton“ einer Stadt, eine oder mehrere solcher Anlagen aufzubauen. Das Besondere der Anlage in der Jahrhunderthalle ist, dass sie mobil sein muss, was den Besucher nicht interessiert.
Foto © Katja Illner
Ingvartsen hat im Vorfeld Skater aus der Stadt aufgefordert, an der Veranstaltung teilzunehmen, und tatsächlich sind einige Jugendliche der Einladung gefolgt. Die laufen nun ihre Runden. Ausdrücklich will die Choreografin nicht den Spitzensport zeigen, sondern ein Abbild des Geschehens auf einer solchen Anlage zeigen. Echte Höhepunkte sind also nicht zu erwarten, gibt es auch nicht, aber ganz verzichten will man auch nicht darauf, die Jugendlichen ihr Können zeigen zu lassen. Eben so, wie man es in der Stadt kennt. Da dürfen die Rollbretter schon mal die Emporen hochfahren, über eine Stange rutschen, gar über gestapelte Skateboards springen. Und weil es ja eine künstlerische Aufführung ist, hüpfen zwischen den Rollbrett- und Rollschuhfahrern noch zwei Hiphopper herum. „Witzige“ Einfälle gibt es auch. Ingvartsen, die selbst auftritt und singt, hat sich das Gesicht bunt geschminkt, und zwischenzeitlich tragen einige der jungen Leute Masken. Dazu dröhnt eine Musik, entweder selbstgespielt oder aus den tragbaren Lautsprechermonstern, zu der zwischenzeitlich auch gesungen werden darf. Scheitern ist ausdrücklich zugelassen. Davon gibt es denn auch reichlich.
Ihren Anspruch, eine Tanzsprache auf fahrenden Brettern weiterentwickeln zu wollen, kann die Choreografin nicht einlösen. Wie auch? Ohnehin liegt die Faszination der sportlichen Aktivitäten nicht im Zuschauen, sondern sich selbst auf Bretter oder Rollschuhe zu stellen, sich auszuprobieren, die eigene Motorik weiterzuentwickeln, körperliche Grenzen mehr oder minder zu erreichen oder im besten Falle zu überschreiten. Dass man sich dazu mit Gleichgesinnten auf entsprechenden Anlagen in der Stadt trifft, hat mit Gruppe reichlich wenig zu tun. Es sei denn, man möchte als Gruppendynamik werten, dass die freundlicheren Fahrer Rücksicht nehmen, um nicht andere über den Haufen zu fahren. Als Außenstehender – und da ist es ja wieder, das echte Leben – kann man kurz am Rande des Geschehens verweilen, um sich darüber zu freuen, dass Jugendliche sportliche Leistungen erbringen, um dann den eigenen Spaziergang fortzusetzen. Zu mehr taugt es kaum. Und das ist auch an diesem Abend so.
Wenn das Publikum im ausverkauften Areal der Jahrhunderthalle auf dichtgedrängter Tribüne begeistert applaudiert, liegt das wohl eher an der Körperertüchtigung als am zeitgenössischen Tanz. Wie ja auch in Fußballarenen gejohlt wird. Allerdings sind dort im Laufe eines interessanten Spiels mehr tänzerische Leistungen zu sehen als an diesem Abend.
Michael S. Zerban