O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Palm

Aktuelle Aufführungen

Zwei Grandseigneurs auf unterschiedlichem Niveau

KLAVIER-FESTIVAL RUHR
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. und 27. Juni 2023
(Einmalige Aufführungen)

 

Klavier-Festival Ruhr, Mercatorhalle, Duisburg, Anneliese-Brost-Musikforum, Bochum

Auch bei seinem zwölften Auftritt im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr verbreitet Krystian Zimerman in der voll besetzten Mercatorhalle eine besondere Stimmung, die nicht nur seinen phänomenalen musikalischen Fähigkeiten zu verdanken ist. Der charismatische Künstler besticht durch ein unverrückbar individuelles, vor allen Moden und äußeren Einflüssen gesichertes Profil, mit dem er bisweilen an einen einsamen Mönch in einem effektsüchtigen Musikbetrieb erinnert.

Was nicht mit unflexibler Starrheit zu verwechseln ist. Natürlich hat sich der 66-jährige Künstler im Laufe seiner glanzvollen Karriere entwickelt und gewandelt. Treu geblieben ist er seiner Suche nach einer perfekten Klang- und Anschlagskultur, die er nach wie vor am überzeugendsten in der Musik seiner Landsleute Karol Szymanowski und Frédéric Chopin entfalten kann. Wobei sein Einsatz für den hierzulande wenig beachteten Szymanowski mit dessen klanglich und harmonisch idiomatischer Gratwanderung zwischen Romantik und Moderne besonderes Interesse verdient. Und so kann Zimerman mit vier frühen Préludes und vier später entstandenen, erheblich kühner tönenden Mazurkas des Komponisten die Meriten seines außergewöhnlichen Spiels besonders eindringlich herausstellen: eine Anschlagskultur mit feinsten Nuancen, verbunden mit einer souverän atmenden und gestaltenden Phrasierung, die vergessen lässt, dass ein Flügel im Unterschied zu einem Streichinstrument eine hoch mechanisierte Maschine ist.

Luca Lombardi und András Schiff – Foto © Christian Palm

Darauf singen zu können wie eine menschliche Stimme oder eine Violine, das war auch das Ziel von Frédéric Chopin. Und das gelingt Zimerman auch in den poetisch-lyrischen Teilen von Chopins 3. Sonate in h-Moll. Es zeugt von Zimermans Meisterschaft, wenn er die Kontrolle über Klangschönheit und Anschlagskultur selbst in aberwitzigen Tempi nicht verliert. Tempovorstellungen, denen man, etwa im Finalsatz der Sonate, nicht immer zustimmen muss, die aber musikalisch und spieltechnisch perfekt beherrscht werden.

Mit diesen Prämissen bewegen sich auch seine Interpretationen zweier Partiten von Johann Sebastian Bach auf hohem Niveau, auch wenn er mit seinem fein polierten Klang und der geläufigen Rasanz, mit der er die schnellen Sätze angeht, die stilistischen Unterschiede der Sätze bisweilen überspielt und einebnet, so dass der tänzerische Duktus der Sätze verlorengeht.

Einwände auf sehr hohem Niveau, zumal gerade zu Bach viele musikalische Wege führen. Das Publikum reagiert mit standing ovations, wofür sich der Künstler mit einer Chopin-Zugabe bedankt.

Krystian Zimerman – Foto © Peter Wieler

Viel vorgenommen hat sich András Schiff bei seinem 24. Auftritt im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr im voll besetzten Bochumer Anneliese-Brost-Musikforum. So viel, dass der Abend geradezu aus dem Ruder läuft. Klassiker von Haydn und Beethoven umrahmen drei neuere, schlimme historische Ereignisse des letzten Jahrhunderts reflektierende Stücke, mit denen der an sich eher stille Pianist mit langen Worten seine These begründet, dass Kunst und Politik nicht zu trennen seien. Dazu gehörte auch die Uraufführung eines Auftragswerks des italienischen Komponisten Luca Lombardi. In Gedenken an die Reichspogromnacht nennt es Lombardi Novembernacht, wobei er mit noch ausschweifenderen und allgemeineren Ausführungen zur politischen Bedeutung der Musik den ersten Programmteil auf fast zwei Stunden aufbläht. Allerdings erst, nachdem Schiff abweichend vom Programm mit Ausschnitten aus den Goldberg-Variationen und dem Musikalischen Opfer auch noch dem „größten Musiker aller Zeiten“, Johann Sebastian Bach, huldigt.

Schiffs Interpretationen können die ermüdenden Folgen der verkorksten Disposition des Abends nur begrenzt auffangen. Haydns Sonate Nr. 20 in c-Moll und Beethovens Waldstein-Sonate als Eckpfeiler des Programms gestaltet der Grandseigneur der Pianistenszene mit der Klarheit und vornehmen Zurückhaltung, die man von ihm gewohnt ist. Mustergültig saubere, aber mitunter arg glatt polierte Darstellungen. Eine ästhetische Haltung, die den neueren Werken erheblich weniger gut bekommt. Etwa Karl Amadeus Hartmanns Sonate 27. April 1945 mit ihrem Bezug auf den Tag, als die Nazis das KZ Dachau öffneten. Die Elendszüge erschütterten Hartmann seinerzeit tief. Doch genau dieses Gefühl stellte sich bei Schiffs Interpretation nicht ein. Die elektrisierend fiebrige Unruhe des Werks überspielt Schiff mit seiner geradezu braven und fehlerfreien Wiedergabe des Notentextes. Nicht viel besser ergeht es Leoš Janáčeks Erster Sonate X.1905, mit der der Komponist an die blutigen Befreiungsaktionen Mährens von der habsburgischen Herrschaft erinnert.

Besser kommt Schiff Lombardis Novembernacht entgegen. Ein dunkel tönendes Nocturne, basierend auf einer exotisch anmutenden Tonskala, durchsetzt mit diversen Zitaten und nicht allzu schroffen Brüchen und Ausbrüchen.

Insgesamt ein überladenes Konzert auf musikalisch zwiespältigem Niveau.

Pedro Obiera