O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Thorsten Schnorrbusch

Aktuelle Aufführungen

Tralala, so ist das Leben

HEUTE ABEND: LOLA BLAU
(Georg Kreisler)

Besuch am
16. März 2022
(Premiere am 29. Juli 2021)

 

Prinz-Regent-Theater, Bochum

Es ist immer wieder schön, neue Dinge zu entdecken. Vor allem, wenn es sie seit über drei Jahrzehnten gibt. Wie beispielsweise das Prinz-Regent-Theater südlich der Bochumer Innenstadt. 1991 von einem Kreis freier Künstler gegründet, wird es seit Mitte 2018 von Anne Rockenfeller und Hans Dreher mit einem achtköpfigen Team geleitet. Ein kleines, aber feines Theater, das auf der Rückseite des Medienhauses Bochum, einem ehemaligen Zechengebäude, über eine schöne Bühne mit 100 Zuschauerplätzen verfügt. Hier kann man sich gleich heimisch fühlen.

Obwohl das mit der Heimat gerade heute Abend so eine Sache ist. Denn auf dem Programm steht Heute Abend: Lola Blau von Georg Kreisler. 1971 in Wien uraufgeführt, ist das „Musical für eine Schauspielerin“ laut Kreisler ein Stück über Ohnmacht, aber eben auch Heimatverlust. Lola Blau gerät in die Wirren des „Anschlusses“ in Österreich 1938. Vollkommen unpolitisch versteht die jüdische Sängerin nicht, was das Brimborium um diesen Herrn Hitler soll. Schneller als gedacht wird ihr allerdings bewusst, dass es sie ganz konkret betrifft. Sie fliegt aus ihrer Pension, verliert ihr Engagement und erlebt, dass ihr Freund Theo nicht, wie verabredet, am Bahnhof Basel auftaucht. Aus der Schweiz wird sie ausgewiesen, ehe sie in Amerika die große Karriere startet. Da erfährt sie, dass Theo abgefangen und nach Dachau verbracht wurde, von wo aus er nach London fliehen konnte. Ein mögliches Wiedersehen mit ihrer großen Liebe treibt sie nach Kriegsende nach Wien zurück. Hier muss sie erkennen, dass sich im Grunde nichts verändert hat. Die einfache Frau auf der Straße fühlt sich für nichts verantwortlich, und Theo wird verhaftet, nachdem er mit den Worten „Du Judensau“ auf der Straße angegriffen und verprügelt wurde. Die großen Lieder auf der großen Bühne wird sie auch weiterhin nicht singen, sondern in einem kleinen Cabaret die kleinen Lieder, für die es kein Publikum gibt.

Foto © Thorsten Schnorrbusch

Es ist ein kleines, böses, aber wahrhaftiges Stück, eben ein echter Kreisler. Kerstin Sommer, seit zehn Jahren Regie-Assistentin im Prinz-Regent-Theater, legt damit ihre erste Produktion als Regisseurin vor. Sie überzeugt mit abwechslungsreicher Personenführung, zeigt einige originelle Ideen und sorgt im Wechselspiel von Radioübertragung und Bühnenspiel für die nötige Spannung zwischen Weltgeschehen und persönlicher Befindlichkeit. Das ist gelungen und auch von der Technik gut handhabbar. Weil das Theater kein festes Ensemble hat, fiel die Wahl für die Besetzung auf Stephanie Linnenberg als Schauspielerin und Mirela Zhulali als Pianistin. Letztere sicher überqualifiziert, aber eine wunderbare Ergänzung. Und bei ihr gelingt Mara Zechendorff, die für Bühne und Kostüm zuständig ist, auch ein ansehnliches Äußeres. Mit halblangen Hosen, Frack und Zylinder ist Zhulali ein Hingucker am elektrischen Piano. Weniger überzeugt das Kostüm bei Linnenberg. Im Österreich-Abschnitt ist das Kleid höchst unvorteilhaft geschnitten, in Amerika fehlt es arg an Glamour und zurück in Wien wird es sehr unbestimmt. Da ist viel verschenkt, für das selbst ein kleines Budget keine Ausrede ist. Erfreulicher gestaltet sich die Bühne. Vorne rechts ist ein kleiner Tisch mit einem Radio aufgebaut. In der Bühnenmitte sind zwei große Koffer das zentrale Element, an dem Linnenberg sich abarbeiten kann. Auf der linken Seite ist das Piano aufgestellt, hinter dem eine große, rote Fahne angebracht ist, die sich umgeklappt als „Hakenkreuzfahne“, allerdings mit einem Ungleichheitszeichen an Stelle des Hakenkreuzes, entpuppt. Aus der Idee hätte man mehr entwickeln können, aber es bleibt bei ein paar Umhüllungen der Schauspielerin, was allerdings dem Stück geschuldet sein mag.

Wer nicht weiß, dass es sich um ein Kreisler-Stück handelt und das auch am Versmaß nicht erkennt, könnte schon nach den ersten Minuten glauben, dass Linnenberg selbst die Texte verfasst hat, die sie vorträgt. So sehr hat sie das Stück verinnerlicht, und man nimmt ihr jeden Vortrag sehr persönlich ab. Vor allem, wenn die Darstellerin immer weiter an Sicherheit gewinnt und mit ungewöhnlicher Mimik das Publikum zunehmend fesselt. Da nimmt man ihr die Naivität zu Beginn des Stücks ebenso ab wie die wachsende Desillusionierung, mit der sie erkennen muss, dass sich trotz des größten Glücks, nämlich das Ende des Krieges, wenig geändert hat. Weil sich Menschen nicht ändern.

Zhulali unterstützt das Solo auf der Bühne nicht nur am Klavier, sondern spielt Linnenberg auch zu. Die schönste Szene ist sicher die, als die Pianistin als Bordpassagier mit der Darstellerin „spricht“, also mit Stock und Hut mit dem Rücken zum Publikum steht, während der Text aus dem Off kommt. Die Angelszenen scheinen indes eher einer zurückliegenden Corona-Zeit zu entstammen, funktionieren aber jetzt noch als künstlerisches Element der Distanz zwischen zwei Welten. Ihr Piano-Spiel ist über jeden Zweifel erhaben, insbesondere wenn sie „instrumental ausbricht“ und von neuer Musik bis Mozart edle Kostproben gibt.

Am Ende des Abends steht die Erkenntnis, dass Menschen nicht lernfähig zu sein scheinen, sich aber zwei Akteurinnen in die Herzen des Publikums spielen können. Ein schöner Erfolg.

Michael S. Zerban