O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Janosch Abel

Aktuelle Aufführungen

Vom Winde verdreht

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)

Besuch am
19. Januar 2020
(Premiere)

 

Konzert Theater Bern

In Bern nimmt die Risikobereitschaft, die Oper mit unverständlichen und respektlosen Anschauungen an die Wand zu fahren, nicht ab. Und das im Hinblick darauf, dass das Haus in der Schweizer Hauptstadt in der letzten Saison allein in der Sparte Musiktheater einen Schwund von satten 12.000 Zuschauern zu verkraften hat.

Es kommt einem Kamikaze-Akt gleich, Regisseur Nigel Lowery für ein hochemotionales Drama zu engagieren. Das wäre in etwa so, als verpflichtete man Otto Waalkes für ein Remake von Jenseits von Afrika. Wobei der Blödelbarde womöglich mit einer weit reiferen Arbeit aufzuwarten hätte. Lowerys Lesarten sind gelinde gesagt infantil und gehen kaum in die Tiefe. Für eine Opera buffa mag der Brite eine gute Wahl sein. Für Puccinis komplexes Meisterwerk Madama Butterfly ist es jedoch ein sehr fragwürdiges Experiment. Seine unausgegorene Interpretation des berühmten Zweiakters von 1904 ist denn auch zu einem Ärgernis allererster Güte verkommen.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Im Stadttheater Bern, das zum Vierspartenhaus Konzert Theater Bern gehört, ist der Ferne Osten inexistent. Cio-Cio-San wird in der Berner Untertitelung und im Programmheft Cho-Cho-San geschrieben. Ein künstlerischer Kniff oder einfach nur peinlich? Die Titelheldin ist jedenfalls weder Japanerin noch Geisha, sondern eine quirlige B-Schauspielerin in einem heruntergekommenen Schaubudentheater. Warum sie ausgerechnet als Scarlett O’Hara und mit ausladendem Reifrock durch eine Disneylandschaft mit Kita-Ästhetik schwebt, die obendrein ein Schiffsdeck andeutet, bleibt schleierhaft.

Lowery, der auch für die Ausstattung verantwortlich zeichnet, greift zu seinem geliebten Farbpinsel. Das Resultat ist kein fernöstliches Kolorit, wie er in Puccinis Partitur und im Libretto von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica angelegt ist, sondern zeigt lediglich stilisierte Monster-Lotusblüten in Pink und Orange. Der Chor tritt als Wichtelvariante von Onkel Sam auf, und der Frauenheld Pinkerton ist ein unflätiger Cowboy mit dem Charme eines Wüstenkaktus‘. Sein Vertrauter Sharpless besitzt frappante Ähnlichkeit mit Abraham Lincoln. Viel Sinn macht das nicht. Später stellt sich heraus, dass diese Berner Madama O’Ohara auch eine Zeitreise durchs 20. Jahrhundert darstellt. Auch hier will sich partout kein Zusammenhang ergeben mit dem Schicksal einer minderjährigen Japanerin, die im Original von einem Marineoffizier zum Schein geheiratet, geschwängert und dann verlassen wird.

Der zweite Akt mit erstem und zweitem Teil wird von Lowery immerhin in ein Wohnviertel bei einem Schiffshafen verlegt. Der befindet sich aus dramaturgischer Überlegung wohl in Los Angeles und nicht in Nagasaki. Cio-Cio-San hat sich mit ihrer Dienerin Suzuki auf eine karge Dachterrasse verkrochen. Der Blick auf die Bucht, wo sie die Rückkehr von Mister Right herbeisehnt, bleibt ihr jedoch wegen Hochhaus und Hafenkran verwehrt. Suzuki ist keine fürsorgliche Untergebene, sondern eine schlecht gelaunte Amazone, die gelangweilt an ihrer Zigarette zieht und bei jeder Gefühlsregung ihrer Herrin die Augen verdreht.

Die Personenführung ist im ersten Akt possenhaft angelegt und kommt im zweiten Akt praktisch zum Stillstand. Das mag auch daran liegen, dass die üppigen Kulissen, die an die Comicverfilmung Sin City erinnern, kaum Bewegungsfreiheit lassen. Und wenn sich etwas tut auf dieser Terrasse mit Ikea-Gartentischchen und bunter Lichterkette, sind es hochtheatralische Gesten, die in die Ära des Stummfilms gehören. Der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit ist ein groteskes Kabuki-Theater mit lebensgroßen Manga-Puppen, die das musikalisch starke Intermezzo konterkarieren.

Foto © Janosch Abel

Lana Kos hat sich ein denkbar schlechtes Setting ausgesucht für ihr Debüt als Cio-Cio-San. Oder blieb der Partnerin von Regielegende Giancarlo Del Monaco am Ende gar nichts anderes übrig? Böse Zungen behaupten, dass Bern ein Auffangbecken für zweifelhafte Solistengrößen ist. Man kann mit Sicherheit sagen, dass ein Star vom Kaliber einer Olga Peretyatko den Bettel noch vor den Proben hingeschmissen hätte. Kos galt noch vor wenigen Jahren als ein hoffnungsvolles Stimmwunder, das die Bühnen dieser Welt erobern würde. Ihre gesangliche Leistung als Butterfly bleibt aber deutlich unter diesen Erwartungen. In der Mittellage verfügt die Sopranistin über eine ausgeprägte und schön timbrierte Klangfülle. Ihre Höhen sind jedoch wiederholt unsicher und nicht astrein. Im Forte ist der Klirrfaktor für eine 35-Jährige relativ hoch. Dieses mündet vereinzelt in ein unschönes Gellen, das mit zusätzlichem Vibrato verstärkt wird. Dass Lana Kos als Cho-Cho-San ihrem Cowboy den Hintern hinstrecken und am Schluss als Irre im Hochzeitskleid und mit Fleischermesser vor ihrem Sohn herumfuchteln muss, ist der Regie geschuldet. Ebenso die heldenhaften Gesten, die an Pavarotti & Co. erinnern.

Xavier Moreno presst sich als Benjamin Franklin Pinkerton wacker durch den Abend. Obschon er ansehnliche Kantilenen hinkriegt und über Material in der Stimme verfügt, wirkt sein stählerner Tenor dauerhaft forciert. Sein Spiel findet ausnahmslos im overacting statt. Todd Boyce ist als Konsul Sharpless einer der wenigen souveränen Sänger und Schauspieler. Sein Bariton hat Grandezza, und Boyce stellt dem tolldreisten Treiben erfolgreich etwas Seriosität entgegen. Verheißungsvolle Töne kommen auch von Mezzosopranistin Eleonora Vacchi, die ähnlich wie Boyce die Gunst der Minute nutzt und ihrer schnoddrig angelegten Suzuki kurze Augenblicke menschlicher Wärme und Zuneigung verleiht.

Péter Halász unternimmt am Pult alles, diesem Unsinn auf der Bühne musikalischen Hochgenuss entgegenzusetzen. Das gelingt dem Dirigenten mit dem bestens aufgestellten Berner Symphonieorchester leider nur bedingt. Halász präsentiert zwar einen vollmundigen, breit aufgefächerten und luziden Klangkörper, der jedes Puccini-Herz höherschlagen lässt. Und der Chor unter Zsolt Czetner summt souverän. Leider funktioniert Augenschließen und durch nicht wirklich. Die Gründe sind genannt.

Das dicke Ende dieser verdrehten Seifenoper ist der angedeutete erweiterte Suizid von Cio-Cio-San, die den gemeinsamen Sohn mit in den Tod nimmt. Lowery ist sich seiner Sache offensichtlich aber nicht ganz so sicher, denn das Morden geschieht in den Kulissen. Der grandiose Schlussakkord des Maestros im Graben kann den über alle Maßen gescheiterten Opernabend nicht mehr retten. Der Applaus nach dem Vorhang ist derart mager, dass sich Lowery erst nach langem Bitten auf die Bühne wagt, wo er für sein peinliches Schülertheater prompt sonore Buhrufe erntet.

Peter Wäch