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Aktuelle Aufführungen

Sternstunde trotz Schwächen

HALBSIEBEN
(Ludwig van Beethoven, Nazanin Piri)

Gesehen am
18. Dezember 2020
(Livestream)

 

Musikschule Konservatorium Bern

Man kann es dieser Tage oft hören: Das Live-Erlebnis ist durch nichts zu ersetzen. Das stimmt. Vor allem deshalb, weil sich die überwiegende Zahl von Konzert-, Theater- und Opernhäusern bis Anfang des Jahres weigerten, sich mit dem Thema Internet auseinanderzusetzen. Das hat sich schon im ersten Shutdown bitter gerächt. Erst im neuerlichen Shutdown fangen einige Veranstalter an umzudenken. Und plötzlich entstehen Formate, die sehr wohl online funktionieren und auch denen Spaß machen, die sich nicht unbedingt uralte Proben-Mitschnitte anschauen wollen. Wer neugierig ist und nicht nur die allzu bekannten Adressen anklickt, kann auch schon mal unversehens auf eine Uraufführung stoßen.

Bei Musikschule Konservatorium Bern gibt es die Reihe Halbsieben, in der die Lehrkräfte einmal im Monat ein Konzert gestalten. Üblicherweise, so steht zu vermuten, strömen an diesen Abenden Schüler und Fans der Musiker in die Kramgasse, um einen vergnüglichen Abend zu erleben, der, wie der Name sagt, um halb sieben beginnt. Und weil sich das mit dem Publikum auch in der Schweiz erledigt hat, hat sich „konsibern“ entschlossen, das Dezember-Konzert live im Netz zu übertragen. Es trägt den Titel Beethoven now! Konzert anlässlich des 250. Geburtstags von Ludwig van Beethoven und verspricht ein interessantes Programm.

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Das sollte eigentlich kein besonderes Problem sein, denn konsibern veranstaltet nach eigenen Angaben sage und schreibe rund 250 Konzerte im Jahr. Und zunächst entsteht auch ein durchaus positiver Eindruck. Man kann das Programm als pdf-Datei abrufen, das mit einigen Anmerkungen versehen ist, die Lust auf die Veranstaltung machen. Der Livestream beginnt pünktlich und wird von der Musikpädagogin und Pianistin Annamaria Savona moderiert. Da könnte man erwarten, dass der Rest dann auch in Ordnung geht. Die Überraschung: Technisch funktioniert hier kaum etwas. Wer auch immer für die Übertragung zuständig ist, hat von Begriffen wie Akustik oder Mikrofonierung ganz sicher noch nichts gehört. Die An- und Zwischenmoderationen Savonas in gebrochenem Deutsch sind kaum hörbar. Und noch ehe man vor dem Monitor begriffen hat, dass es sich hier nicht um ein Versehen handelt, tritt das erste Duo auf.

Joanna Wicherek am Hammerflügel und Anna Spina an der Bratsche spielen die Nocturnes Opus 42 in einer Bearbeitung, in der sie Wert darauf legen, dass das Klavier nicht nur Begleitung ist, sondern in Dialog mit der Bratsche tritt. Das ist vielversprechend. Offenbar wird der Klang aber nicht an den Instrumenten abgenommen, sondern über ein Mikrofon, das irgendwo am Rande steht und den vollständigen Raumklang überträgt. Daraus resultiert eine kalte und harte Akustik, die dem Hammerflügel vielleicht noch zuträglich ist, aber furchtbar mit dem Klang der Bratsche kollidiert. Da kann sich Spina noch so sehr bemühen, den scharfen, schneidenden Klang überwindet sie nicht. Und das bei einer Bratsche, von der man sagt, sie sei der menschlichen Stimme am ähnlichsten.

Das Fiasko setzt sich in der Zwischenmoderation fort. Kaum verständlich, dass hier eine Uraufführung bevorsteht, noch dazu eine, die es in sich hat. Nazanin Piri hat sich intensiv mit Kompositionsmitteln und Motiven aus ausgewählten Klaviersonaten Beethovens auseinandergesetzt und für zwei Klaviere komponiert. Fernando Viani übernimmt den zweiten Flügel. Ihr Stück hat Piri Bruchstücke zu Beethoven für zwei Klaviere überschrieben. Es geht vergleichsweise harmlos mit quasi und fantasia los. Hier darf man sich noch an den auskomponierten Pausen erfreuen. Doch schon beim zweiten Bruchstück, einem Marsch, geht es zur Sache. Warum man jetzt noch am Mikrofon herumfummeln muss – das versteht wirklich niemand mehr. Aber längst zieht Piri den Hörer in ihren Bann. Beherzt greift die Komponistin zum Auftakt in die Saiten. Ein tiefer, dunkler Grundton betont den Marsch-Charakter, der von fliegenden, hohen Linien umwoben wird. Aufwühlender wird es im dritten Bruchstück – wie im Versuch, wieder Sprache zu gewinnen ist er überschrieben – ehe Piri im fugace brachial wird, Grenzen zu überschreiten versucht. Das Fieber der Komposition ergreift den Hörer. Piri ist keine Freundin der leisen Töne. Sie mag es, wenn sich das Klavier unter ihren Händen aufbäumt, der Raum in eine Klanggestalt verwandelt. Und sie erreicht den Hörer ungehemmt unter der Haut. Eine fantastische Viertelstunde geht entschieden zu schnell vorüber. Es bleiben die Fragen im Raum, warum nicht mehr von dieser gewaltigen Musik und warum sie nicht außerhalb der Schweizer Hauptstadt zu hören ist. Jetzt ist sie für eine Minderheit von rund 80 Hörern online zu hören gewesen. Das ist entschieden zu wenig. Gern hätte man noch ein paar Worte der Komponistin zu diesem Sturm auf den Tasten vernommen, aber das ist im Format nicht vorgesehen.

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Stattdessen wird die Umbaupause mit der Einblendung des nächsten Programmpunktes überbrückt.

Wenn man bei einer Live-Übertragung den Musikern die Wahl überlässt, wo sie sich gern hinstellen möchten, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Kamera keine vernünftige Perspektive mehr findet. György Zerkula entscheidet, sich parallel zu seiner Partnerin Taeko Szedlak-Oshima am Klavier zu stellen. Mit dem Erfolg, dass er in der nachfolgenden Aufführung permanent vor ihr steht. Funktioniert die Kameraführung beim ersten Duo noch halbwegs, zeigt sie bei Piri und Viani die unangenehmen Aspekte des Weitwinkels und kommt mit dem dritten Duo gar nicht mehr zurecht. Gut, das ist nach der fulminanten Uraufführung nicht mehr von großer Bedeutung, aber den Künstlern wird es nicht gerecht. Die präsentieren die Frühlingssonate, eine der am häufigsten gespielten Violinsonaten Beethovens, mit schönen Klavierläufen.

Eine Verbeugung aller Künstler im Anschluss an die Aufführung bleibt aus. Wie gern hätte sich das Publikum noch einmal bei allen bedankt. Das wird aus den Kommentaren im Live-Chat deutlich. Aber vielleicht hätte man dann auch Unmutsbekundungen für die Technik äußern wollen. Und wie das im Live-Chat aussieht, will man gar nicht wissen. Aber am 15. Januar wird man hier sicher noch mal reinhören. Dann stellen sich gleich drei neue Lehrkräfte vor.

Michael S. Zerban