O-Ton

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Foto © Tanja Dorendorf

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Ein dunkler Schacht zum Schluss

I CAPULETI E I MONTECCHI
(Vincenzo Bellini)

Besuch am
21. Mai 2022
(Premiere)

 

Bühnen Bern

Bühnen Bern zeigen mit der Belcanto-Perle I Capuleti e i Montecchi von Vincenzo Bellini ihre letzte Saisonproduktion im Musiktheater. Regisseur David Hermann darf ran, und er hat ein klares Konzept für diese Romeo-und-Julia-Version. Es ist eine Anlehnung an die Lesart von Barrie Kosky und dessen umjubelten Macbeth für Zürich. Doch Hermanns Anschauung hat Tücken, der Motor stottert. Während die Solisten, allen voran Mezzosopran Evgenia Asanova, beeindrucken, hat das Berner Symphonieorchester unter dem Dirigat von Sebastian Schwab zu viel Kraft und ist dadurch vor allem eins – laut.

Es ist ein sonniger Frühsommertag, draußen gibt es tagsüber 28 Grad und es ist lange hell. Doch Regisseur David Hermann entführt die Premierengäste für Bellinis I Capuleti e i Montecchi in einen dunklen Schacht, der sich keilförmig gegen das Bühnenende hin verengt. Markiert wird dieser Fluchtraum von nächtigem, teils transparentem Vorhangstoff, der bis zur Decke reicht. Man kann darin auch leicht ein Kirchenschiff erkennen, denn gläubig sind in diesem Stück nahezu alle Charaktere und sei es bloß die Ergebenheit der Capulets gegenüber ihrem Patriarchen Capellio. Das devote Gebaren offenbart sich auch in den mausgrauen Kostümen der mafiösen Bande, in der Axel Aust geschickt eine Schwarz-Weiß-Ästhetik bedient.

Vincenzo Bellini vertonte den Romeo-und-Julia-Stoff 1830 für das Teatro La Fenice in Venedig, wo das Werk unter dem Titel I Capuleti e i Montecchi uraufgeführt wurde. Ein Jahr später landete der gebürtige Sizilianer mit Norma seinen größten Erfolg. Das Libretto zur bekanntesten Lovestory zweier Veroneser schuf Felice Romani nicht etwa nach Shakespeare, er ging weiter zurück zur Quelle und bediente sich dort an der Novelle von Matteo Bandellos. So spielt Bellinis Oper im 13. Jahrhundert. In Bern ist das nicht der Fall, die Handlung ist mit der kühlen Ästhetik und dem vagen Symbolismus eher aus der Zeit gefallen, was der Authentizität nicht schadet.

Eingefleischte Opernfreunde ahnen es jedoch früh: Am düster-dunklen Setting wird sich bis zum dramatischen Schluss des Zweiakters nicht viel ändern. Bei Barrie Koskys Macbeth war es ebenso, doch der Regisseur sorgte trotzdem für drei Stunden Hochspannung. Bei Hermanns Lesart machen sich hingegen schon nach 20 Minuten erste Schwächen bemerkbar. Liegt es daran, dass Bellinis berückende Komposition im Gegensatz zur Verdi-Oper keine markanten Arien aufweisen kann? Oder sind finstere Bühnenschluchten kurz vor Sommerbeginn keine gute Ausgangslage? Die Anstrengungen, die David Hermann und Assistentin Kathrin Elmiger unternehmen, um Abwechslung ins Geschehen zu bringen, wirken überstürzt und scheinen nicht immer durchdacht.

Die nahezu leere Bühne von Bettina Meyer muss belebt werden. Vorhänge haben die unwiderstehliche Eigenschaft, dass man sie ständig neu drapiert oder sich hinter ihnen versteckt. Und das genau macht das Ensemble in der Oper unentwegt – allerdings nicht immer mit nachvollziehbarer Logik. Geradezu grotesk ist der Moment, in dem eine blitzblanke Einbauküche aus Schöner Wohnen aufpoppt und Romeo sich anschickt, seine Geliebte zu bekochen. Der Stilbruch mit Spaghetti alla verdura verstört, weil er einerseits komisch ist und andererseits nicht ins Bild passt.

Die Titelpartie des Romeo ist mit Evgenia Asanova bestens besetzt. Ihr Held in Hosen ist ein scheinbar unerschrockener Rebell, der breitbeinig im Leben steht und seine Unsicherheit hinter dem Rauch einer hastig gerauchten Zigarette verbirgt. Der Jüngling, der im Kampf den Sohn von Capellio tötete und als Versöhnung mit dessen Familie seine Tochter heiraten möchte, ist bei Asanova ein ambivalenter Hasardeur und er verfügt sogar über magische Zauberkräfte. Ähnlich wie Neo aus der Matrix-Serie kann er Gegenstände bewegen und ungeliebte Zeitgenossen mit einem Handstreich zu Boden werfen. Die Mezzosopranistin betört bei ihrer intensiven Rollengestaltung mit sattem Volumen und dunklen Schattierungen, die rubinrot in der Mittel- und Tieflage durchschimmern.

Giada Borrelli ist Giulietta, die verunsicherte junge Frau, die sich nicht entscheiden kann, ob sie vor der Zwangsvermählung mit Tebaldo mit Romeo die Flucht ergreifen oder Papas Willen erfüllen soll. Ihr heller und mit Metall durchzogener Sopran ist höhensicher und hat Spannkraft. Dafür klingt Borrelli in den Spitzen noch etwas schrill. Für Matheus França ist der unnachgiebige Chauvi Capellio eine Paraderolle, in der er seinen kellertiefen Bass mit Zornesröte anreichern kann. Als dessen Vertrauter Lorenzo, der auch Giulietta aus der Not helfen will, klingt der Bass von Christian Valle an diesem Abend zwar sonor, doch leicht monoton. Auch im wenig nuancierten Spiel dürfte Valle noch aufdrehen. Von Filipe Manu als Tebaldo hätte man gerne mehr gehört, denn er bringt mit seinem azurblauen Tenor jede Kantilene formschön zum Strahlen und seine Legati sind Spitzenklasse.

Dem Männerchor Bühnen Bern, unter Zsolt Czetner gewohnt stimmstark, kommt in Hermanns Lesart auch die Rolle der Animateure zu: Die Herren in Grau müssen das starre Bühnenbild mit reichlich Agilität konterkarieren. Choreograf Jean-Philippe Guilois nimmt das einen Tick zu ernst, denn oft enden die hyperaktiven Einsätze und spontanen Tänzchen in purem Klamauk. Dafür gelingt Hermann ein starkes Schlussbild. Das helle Rechteck, das während der Handlung in verschiedenen Größen symbolhaft auftaucht und auch als Sarg gedeutet werden kann, wird für Romeo und Giulietta zum Fluchtweg ins Jenseits, und Bernhard Bieri sorgt für das passend prickelnde Licht.

Sebastian Schwab setzt am Pult des Berner Symphonieorchesters zu stark auf Volumen und lässt es entsprechend laut krachen. Bellinis feine Melodiebildungen und Instrumentensoli verlieren auf diese Weise an Glanz, die typischen filigranen Zeichnungen des Belcanto-Meisters kommen unter die Räder. Aus dem Graben erschallt Verdi und nicht dessen Landsmann aus Sizilien. Schwab gelingen auch klangschöne wie intime Momente, und er hat die Tempiwechsel nach anfänglichem Stottern und Schlingern mit dem Chor gut im Griff. Dem Soufflé Belcanto täte als Ganzes weniger Hitze gut.

Bühnen Bern beenden die Saison im Musiktheater wie sie mit Verdis Don Carlos begonnen haben – nämlich dunkel und duster. Am Schluss bräuchte es vielleicht eher ein farbenprächtiges Bouquet, damit sich die Zuschauer für ein neues Abo entschließen. Ob das mit Hermanns Reminiszenz an den Film noir gelingt, ist schwer vorauszusagen. Die Trophäe in diesem unbeabsichtigten Wettbewerb geht jedenfalls an das Theater Orchester Biel Solothurn und Regisseur Yves Lenoir, die das Opus ab November 2021 schlüssiger und vor allem weit emotionaler auf die Bühne gebracht haben.

Peter Wäch