O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Hauptsache „politisch korrekt“

DER „ZIGEUNER“BARON
(Johann Strauss Sohn)

Besuch am
6. Juni 2021
(Premiere)

 

Komische Oper Berlin

Ganz im Stil des Hauses wird das – Corona-bedingt reduzierte – Publikum persönlich vom Intendanten Barrie Kosky begrüßt. Seine launigen Kommentare zur jetzt doch noch stattfindenden Premiere werden vom Publikum lautstark applaudiert – besonders seine Anmerkung, dass diese Produktion die wohl best – oder zumindest längstgeprobte Inszenierung sei.  Immerhin sollte dieser Zigeunerbaron schon vor acht Monaten stattgefunden haben.

Beim derzeitigen Titel dieser in der Vergangenheit sehr populären Operette von Johann Strauss Sohn zeigt sich schon die heutige Einstellung zum Werk – das Wort Zigeuner wird in Anführungszeichen gesetzt.  Ohne wäre die Bedeutung nach Ansicht einiger Mitmenschen ja heutzutage total politisch inkorrekt – entweder stereotyp, klischeehaft oder rassistisch besetzt. Tobias Kratzer und Stefan Soltesz haben eine neue, schlanke Version der Oper erarbeitet, die sowohl das Libretto wie die Partitur auf knapp zwei pausenlose Stunden kürzt.

Leider vergeht die Zeit im Lupentempo, auch wenn die Geschichte des Abenteurers Sandor Barinkay aus der Sicht des sich nach den alten Zeiten sehnenden Grafs Homonay geschildert wird: Wie in einem kleinen ungarischen Dorf an der Donau Mitte des 18. Jahrhunderts die Türken vor den Christen überstürzt fliehen mussten und sowohl die Tochter des Anführers als auch eine Kriegskasse hinterließen. Die Kriegskasse wurde vergraben, die Tochter Saffi von der Zigeunerin Czipra großgezogen, die fortan auf den verwüsteten Gütern des verstorbenen Gutsbesitzers Barinkay lebt. Auch der reiche Schweinezüchter Kalman Zsupan möchte sich einen Teil des verwahrlosten Grund und Bodens aneignen, da doch der junge Erbe Sandor Barinkay verschollen sei. Aber Barinkay kehrt zurück und wird von Czipra gleich erkannt. Sie meint, ihm sollte sein rechtsmässiges Besitztum wieder zugesprochen werden. Das gefällt dem Schweinezüchter Zsupan gar nicht. Er willigt aber sofort ein, als Barinkay um die Hand seiner Tochter Arsena anhält. Arsena liebt aber Ottokar – den Sohn von Arsenas Gouvernante – und weist Barinkay ab. Czipra erklärt den übrigen Zigeunern, dass Barinkay ihr rechtmäßiger Herr sei. Nochmals wirbt Barinkay um Arsena, doch sie verlacht den „Zigeunerbaron“. So erklärt Barinkay Saffi zu seiner Braut. Saffi träumt in der Brautnacht, wo die türkische Schatz versteckt liegt – er wird auch gefunden. Graf Homonay wirbt für den Krieg gegen Spanien. Zsupan und Ottokar lassen sich anwerben und Barinkay stellt seinen Schatz dem Staat zur Verfügung. Jetzt erzählt Czipra, dass das vermeintliche Zigeunermädchen Saffi die Tochter des letzten Paschas ist. Betrübt beschließt Barinkay, auf die Ehe mit einer solchen Standesperson zu verzichten, und wird ebenfalls Soldat. Alle Männer kommen aus dem Krieg mit den Spaniern siegreich zurück. Barinkay wird zum Baron geadelt, er wiederum preist die Zigeuner, die sehr zum Sieg beigetragen haben. Nun kann Barinkay standesgemäß seine Saffi heiraten.

Tobias Kratzer probiert, diese Geschichte aus der zurzeit sehr modischen Perspektive der Heimatlosigkeit und Entwurzelung, ebenso wie aus der der interkulturellen Liebe zu zeigen. Das gelingt ihm nur sehr bedingt auf eine eher parodiehafte Weise, die dem Stück nicht in die politisch korrekte Denke des 21. Jahrhunderts hilft.

Bleibt also die Musik, die so viele bekannte Melodien enthält.  Hier wurde auch gekürzt, was vielleicht nicht so ins Gewicht fiele, wenn man das Orchester nicht auf der Hinterbühne platziert hätte. Diese Einteilung war schon Teil des ursprünglichen Konzeptes von Kratzer und nicht erst Corona-bedingt, lässt er verlauten. Sein Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier hat es so umgesetzt, dass es nur ein Einheitsbühnenbild gibt, das eine dreibögige Kulisse des heruntergekommenen Schlosses der Barinkay zeigt – witzigerweise ein Nachbau der Innenaustattung der Komischen Oper. Dahinter wird das Orchester verbannt. So viel Distanz und Material kann dem Orchestersound nicht dienlich sein. Da hilft auch kein Operettenexperte wie Stefan Soltesz – die Musik klingt einfach dumpf und schleppend, und es fehlt jeglicher Strausssche Pfiff.

Die Komische Oper ist bekannt für ihr gutes und spielfreudiges Sängerensemble. Das ist es auch, dass dann doch diese Oper sehens- und hörenswert macht. Allen voran der strahlenden tenorale Auftritt von Thomas Blondelle – gut aussehend und vor Vitalität nur so strotzend, kehrt er in die Heimat zurück, um auch hier als Held und glücklicher Lover hervorzugehen. Bariton Dominik Köninger gibt einen nostalgischen Offizier der k.u.k.-Monarchie als Graf Homonay. Mirka Wagner verleiht der Saffi ihren – oftmals etwas zu – saftigen Sopran, und Alma Sadé als Arsena meint, als Schweinezüchtertochter mit klaren Sopranhöhen doch auf etwas Besseres im Leben Anspruch zu haben. Bass Philipp Meierhöfer mimt einen neureichen Schweinezüchter mit viel Sinn für Komik. Dazu kommen Katharina von Bülow als selbstbewusste Zigeunerin Czipra, die immer willkommene Mezzosopranistin Helene Schneidermann als Erzieherin Mirabella und Tenor Julian Habermann als Ottokar, der blasse Sohn von Mirabella.

Der Abend endete mit einer erneuten Ansprache von Kosky – diesmal vergibt er auf der Bühne seinen jährlichen Flipper-Preis an Mitarbeiter hinter der Bühne. Dieses Jahr geht er an die Chef-Disponentin Saskia Lintzen, die sicherlich das stressreichste Jahr ihres Daseins an der KOB hinter sich hat mit täglichen Änderungen, die erstmal umgesetzt und dann kommuniziert werden mussten. Ein zweiter Flipper geht an den szenischen Produktionsleiter Sebastian Ukena, der auch für die Umsetzung der Pandemieregeln verantwortlich war.

Glücklich wieder eine Aufführung live im Opernhaus erleben zu können, feiert das Publikum Solisten, Orchester, Chor und Preisträger mit einhelligem Applaus.

Zenaida des Aubris