O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Barbara Braun

Aktuelle Aufführungen

Charme eines Klassikers

IM WEIßEN RÖSSL
(Ralph Benatzky)

Besuch am
1. Juli 2018
(Premiere am 30. Juni 2018)

 

Renaissance-Theater, Berlin

Es ist der Klassiker des deutschen Schwanks schlechthin – Im Weißen Rössl, uraufgeführt in Berlin in 1897 – damals noch ohne Musik – dann 1930 in der Operettenfassung von Erik Charell mit Musik von Ralph Benatzky. Sieben Verfilmungen, zig-tausend Aufführungen in Deutschland, Österreich, Australien, England, Amerika, Argentinien, Frankreich und so weiter. Und jetzt auch mal wieder in Berlin zu sehen, im architektonisch so ansprechenden, kleinen Renaissance-Theater aus dem Jahr 1922, mit der einmaligen großfigurigen Intarsiendekoration an der gesamten Rückwand des Theaters von dem vielseitigen Künstler César Klein, die dem Theater den liebevollen Beinamen „Schmuckkästchen in der Hardenbergstraße“ gegeben hat.

Wie es sich für ein Lustspiel gehört, gibt es viele Verwirrungen, ehe sich die richtigen Liebespaare finden: Der fesche Zahlkellner Leopold ist in die schöne, verwitwete Besitzerin des Weißen Rössl verliebt, die aber in den Stammgast Rechtsanwalt Dr. Siedler, der wiederum nur Augen für die junge Ottilie hat, Tochter des Tricotagefabrikanten Giesecke aus Berlin, der einen lästigen Prozess gegen seinen Konkurrenten Sülzheimer führt, der seinen Sohn Sigismund zur Verhandlung schickt. Giesecke kommt auf die geniale Idee, Sigismund mit Ottilie zu verkupeln. Leider hat der sich in die brave Professorentochter Klärchen verguckt.

Das Renaissance-Theater verfügt über eine kleinen Bühne und gerade mal 545 Plätze, da muss sich ein Regisseur und sein Team schon etwas ausdenken, damit alles gut passt. Regisseur Torsten Fischer und seine Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos gestalten das Einheitsbild, das das Foyer des Weißen Rössl darstellt: rustikale Holztäfelung, inklusive Hirschgeweih und eine sehr nützliche Drehtür. Projektionen dahinter deuten die jeweilige Lage an – ob Bootshafen, Seeblick oder Gebirge. Ansonsten gibt es nur einen Stammtisch und eine lange Sitzbank. Das wichtigste Element zentral oberhalb der Drehtür: Der Balkon zum begehrten Zimmer Nr. 4, welches eine so zentrale Rolle im Stück spielt.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Im Raum verteilt sind sechs Musiker, die unter der Leitung von Harry Ermer vom Klavier aus die musikalischen Nummern mit einer Vielzahl von Instrumenten wie Geige, Cello, Hackbrett, Mundharmonika, Tuba, Akkordeon oder Schlagzeug spielen. Oftmals werden die Originalnummern mit diversen Anspielungen auf Strausssche Walzer oder Wagnersche Liebesnächte ergänzt – sehr zum Amüsement des Publikums.

Fischer bringt die Geschichte zwar ins 21. Jahrhundert – dezent angedeutet von der Giesecke-Tochter Ottilie, die erst mit der Bestätigung auf dem Smartphone die landschaftliche Schönheit des Wolfgangsee wahrnimmt, und einem Pop-up-Zelt, das als Liebesnest für sie und Dr. Siedler dient – aber es bei Dirndl und Lederhosen gemütlich belässt. Lediglich die vielen kleinen, ironischen Pointen, die die gegenseitigen kulturellen und kulinarischen Unterschiede zwischen der deutschen und österreichischen Kultur ausmachen, werden mit Genuss ausgekostet – man muss eben wissen, dass eine Bulette und ein Fleischpflanzerl eigentlich auf dem gleichen Rezept basieren.

Bei dieser heimatlichen Komödie der Irrungen und Wirrungen kann jeder Darsteller seine Persönlichkeit ausbauen, ohne dass Charme und Flair verlorengehen. Allen voran Boris Aljinović als ewig klagender Berliner, der sich nur schwer im ländlichen Salzkammergut zurecht findet. Dass er es dann letztendlich doch schön findet, liegt an der großartigen Angelika Milster, die in mehreren Rollen jodelnd und ausdrucksstark fast durchweg präsent ist, auch wenn sie mal stumm eine Kuh mimt. Andreas Bieber ist der fesche Zahlkellner Leopold, der alles im Griff hat, nur nicht seine Chefin Josepha Vogelhuber. Die wird von Winnie Böwe verkörpert, die schön, aber steif in ihm nur den Angestellten sieht und lediglich Augen für den flotten Dr. Siedler alias Tonio Arango hat. Er sieht schnell seinen Vorteil in der Geschichte und findet Ottilie toll, hipp und frech von Annemarie Brüntjen gespielt. Hinzu kommen noch Nadine Schori als hübsches, lispelndes Klärchen und der Sigismund von Ralph Morgenstern, die mit Leichtigkeit und Schwung in einer bezaubernden Tanznummer in der schmissigen Choreografie von Karl Alfred Schreiner die gegenseitige Befreiung ihrer Hemmungen feiern. Obwohl mehrmals betont wird, dass Kaiser Franz Joseph schon längst tot ist, erscheint der doch leibhaftig, würdig verkörpert von Walter Kreye, als augenzwinkernde Referenz an Vergangenheit und Tradition.

Das vorwiegend ältere Publikum singt bei den bekannten musikalischen Nummern wie Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist, Die ganze Welt ist himmelblau und Es muss was Wunderbares sein gleich mit. Am Ende: Großer Jubel für alle Beteiligten.

Zenaida des Aubris